Bilder und Slogans, die im Kopf bleiben

Porträt Doris Gerstl
PD Dr. Doris Gerstl vom Institut für Kunstgeschichte der FAU. (Bild: Studio Zink, Regensburg)

FAU-Kunsthistorikerin PD Dr. Doris Gerstl über die Ästhetik von Wahlplakaten

Bald sind sie wieder überall zu sehen: Je näher der Tag der Bundestagswahl rückt, desto sichtbarer werden politische Plakate im Straßenbild. PD Dr. Doris Gerstl vom Institut für Kunstgeschichte der FAU hat sich in ihrer Habilitation mit der Ästhetik von Wahlplakaten befasst. Für die Kunsthistorikerin steht fest: Auch im digitalen Zeitalter sind klassische Plakate im Straßenbild aus einem Wahlkampf nicht wegzudenken. Nach wie vor erfüllen das entsprechende Motiv und die knappe Botschaft eine wichtige Funktion, wenn es um die Wahlentscheidung geht.

Sie haben Ihre Habilitation über die Ästhetik von Wahlplakaten geschrieben. Woher rührt Ihr Interesse, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?

Ausschlaggebend für mich war ein Plakat von Helmut Kohl im Bundestagswahlkampf 1994: der Kanzlerkandidat, umgeben von einer Menschenmenge, ohne Text. Ich habe mich gefragt, wie das als Wahlbotschaft funktioniert. Oder die Merkel-Raute am Berliner Hauptbahnhof 2013: reduzierte Gestik als exemplarisches Key Visual einer Partei. Bei beiden Beispielen tritt die Wirkmacht von visuellen Inszenierungen zu Tage. Als Kunsthistorikerin bin ich auf die Analyse von solchen Bildbotschaften fokussiert. Bei Plakaten kommt die Bild-Text-Korrespondenz hinzu: Slogan und Signet, welche Aussagen spiegeln sie inhaltlich und gestalterisch wider? All diese Fragen finde ich sehr spannend.

Für Ihre Arbeit haben Sie sich die Wahlplakate der Spitzenkandidaten der Parteien vor den Bundestagswahlen von 1949 bis 1987 genauer angesehen. Welches Plakat mit welchem Slogan ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

In diesem Zeitraum gab es viele eindrucksvolle Plakate. Konrad Adenauers „Keine Experimente“ von 1957 traf ebenso den Puls der Zeit wie die Serie der Programmplakate „Wir schaffen das moderne Deutschland“ der SPD im Jahr 1969 oder der FDP-Slogan „Leistung wählen“ mit dem telefonierenden Hans-Dietrich Genscher im Jahr 1976.

Was lässt sich aus der Ästhetik der einzelnen Parteien über deren Organisationsformen, Strategien oder Entscheidungsabläufe schließen?

In meiner Habilitationsschrift ist es mir auf der Basis der in den Archiven der Parteien erhaltenen Aufzeichnungen und Korrespondenzen gelungen, Entscheidungsprozesse für Plakate nachzuvollziehen. Aus den Diskussionen in den Wahlkampfgremien erschlossen sich die Strategien der Parteien, während in den Wahlprogrammen politische Ziele formuliert wurden. Gestaltungsfragen hat man in den ersten Jahren politischer Wahlwerbung in der Bundesrepublik zunächst ausschließlich innerparteilich diskutiert, dann mehr und mehr an Meinungsforschungsinstitute abgegeben. Von diesen erhofften sich die Parteien wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfen, sozusagen Garantien für Erfolg.

Wie haben sich die Wahlplakate im Zeitverlauf weiterentwickelt?

Bild- und druckverfahrenstechnisch haben sich Wahlplakate enorm weiterentwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Porträts von Spitzenkandidaten zeichnerisch bzw. sogar malerisch angelegt worden, dann folgte die Schwarz-Weiß- und schließlich die Farbfotografie. Die Formate wurden immer größer, von DIN A2 bis hin zu den Mega-Postern an Hausfassaden.

Lässt sich ein Bezug zwischen Ästhetik und Gewinnaussichten herstellen?

Ja, in jedem Fall. Eine Gestaltung am Puls der Zeit, die aktuelle Akzente setzt und die demokratische Willensbildung herausfordert, trägt zu einer gestiegenen Resonanz bei den Wählern und in den Medien bei. Sie schafft Aufmerksamkeit und ermöglicht Identifikation.

Wie fällt Ihr Fazit zu den aktuellen Wahlplakaten aus: Haben sie im Vergleich zu früher an Ästhetik gewonnen oder ist das Gegenteil der Fall?

Die nächste Bundestagswahl steht vor der Tür. Generell haben jede Zeit und inzwischen auch jede Meinungsgruppe ihre Erwartungshaltungen – in der fragmentierten Gesellschaft unserer Tage mehr denn je. Es ist eine gewaltige Herausforderung, potenzielle Wähler adäquat anzusprechen, sich von den Mitbewerbern zu distanzieren, die der Öffentlichkeit wichtigen aktuellen Themen zu veranschaulichen und das alles im zeitigen Vorfeld. Denn man darf nicht vergessen, dass für Gestaltungsfindung, Drucklegung und Plakatierungslogistik ein großer zeitlicher Vorlauf eingeplant werden muss.

Sind für Sie Wahlplakate als Mittel der Parteienwerbung auch vor der Bundestagswahl 2021 noch modern oder doch eher aus der Zeit gefallen?

Wahlplakate sind ein klassisches Medium, um Präsenz zu wahren. Im Vergleich zu flüchtigen Medien wie Hörfunkspots oder Web-Bannern ermöglichen sie viele unterschiedliche und wiederholte Werbekontakte im öffentlichen Raum. Das Plakat begegnet einem ohne jeglichen technischen Support, wie beispielweise Smartphone oder Tablet, und das mehrmals, möglicherweise auch an unterschiedlichen Stellen, also mit hoher Reichweite. Es wird daher seine Position im Mediamix behaupten – insbesondere in seinen Fortentwicklungen City Lights und LED-Boards.

Weitere Informationen:

PD Dr. Doris Gerstl
Tel.: 09131/85-26395
doris.gerstl@fau.de