Artenvielfalt, Ökosysteme und Klimawandel

Weltkugel mit Menschen (pixabay)
Bild: pixabay

Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität und soziale Gerechtigkeit – diese Aufgaben lassen sich nur im Dreiklang lösen

Der Kampf gegen die Erderwärmung und für eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn die Menschheit die Themen Klimaschutz, Biodiversität und soziale Gerechtigkeit fortan gemeinsam denkt und bei allen politischen Entscheidungen – global, national und regional – in ihren Wechselwirkungen gleichrangig berücksichtigt. Diese Aussage ist nach Ansicht deutscher Ko-Autorinnen und -Autoren die wichtigste Kernbotschaft eines neuen wissenschaftlichen Workshop-Berichtes zu „Artenvielfalt, Ökosystemen und Klimawandel“, den Expertinnen und Experten des Weltbiodiversitätsrates IPBES und des Weltklimarates IPCC erstmals gemeinsam erarbeitet haben. Er wird heute der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Einer der Hauptautoren ist Paläobiologe Prof. Dr. Wolfgang Kießling von der FAU.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler belegen, wie gesunde Ökosysteme langfristig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. „Ökosysteme mit hoher Biodiversität sind auch robuster gegenüber Klimawandel als andere – das zeigen vor allem paläontologische Daten,“ meint Wolfgang Kießling, Inhaber des Lehrstuhls für Paläoumwelt. Gleichzeitig legen ihre Ergebnisse aber auch offen, in welchem Ausmaß einseitig gedachte Klimaschutzkonzepte wie der großflächige Anbau von Energiepflanzen der Natur kurz- und langfristig schaden und ihre Fähigkeit mindern, das Klima zu regulieren und die Menschen mit ausreichend Nahrung, Trinkwasser und anderen überlebenswichtigen Dienstleistungen zu versorgen. Wolfgang Kießling hat sich vor allem mit der aktuellen Situation auseinandergesetzt – und diese ist wahrlich erschreckend. Bereits heute beträgt die durch Menschen versachte Klimaerwärmung mehr als ein Grad Celsius. Weniger als ein Viertel der Landfläche und nur mehr 13 Prozent der Ozeane gelten als vom Menschen weitgehend unangetastet. Insgesamt 96 Prozent der Biomasse aller Säugetiere sind Menschen und ihre Nutztiere. „Anthropogener Klimawandel und direkte menschliche Einwirkungen verstärken sich gegenseitig in ihren negativen Einflüssen auf Biodiversität und Klima“, fasst Kießling zusammen.

Klimaschutzpotenziale der Natur konsequent nutzen und gleichzeitig die Grenzen der Ökosysteme im Blick behalten

„Unsere Synthese verdeutlicht, auf welch vielfältige Weise sich das Klima und die Naturräume der Erde gegenseitig beeinflussen. Wir können sie deshalb nicht isoliert voneinander betrachten, denn für eine nachhaltige, sozial gerechte Entwicklung menschlicher Gemeinschaften ist beides essenziell: eine möglichst geringe globale Erwärmung und eine artenreiche, produktive und widerstandsfähige Natur“, sagt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), der die Arbeiten an dem Workshop-Bericht gemeinsam mit dem südafrikanischen Naturschutzexperten Prof. Dr. Robert J. Scholes koordiniert hat. Diese engen Wechselwirkungen stellen die Politik vor enorme Herausforderungen.

Plakative Beispiele dafür sind die Abholzung tropischer Regenwälder für den Anbau von Energiepflanzen wie Soja und Ölpalmen. Aber auch in Mitteleuropa stellt sich angesichts zunehmender Flächenkonkurrenz die Frage, wie Land- und Forstwirtschaft oder Küstennutzung betrieben werden müssen, um einen nachhaltigen Interessenausgleich zwischen Klima, Natur und Mensch zu erzielen – das heißt: die Artenvielfalt zu sichern, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren, den Ausstoß von Treibhausgasen zu minimieren und gleichzeitig die Kohlenstoffspeicher der Wälder und Böden, auch des Meeresbodens, im maximalen Umfang zu erhalten.

Beim Thema Wald stehe die Politik zum Beispiel vor der Wahl, große Monokulturen für die Rohstoff- und Energiegewinnung anzubauen oder aber den Aufbau artenreicher Ökosysteme voranzutreiben. „Angesichts des rasant voranschreitenden Klimawandels dürfen wir jedoch nicht davon ausgehen, dass unsere einheimischen Baumarten für ein künftiges Klima geeignet sind“, sagt Hans-Otto Pörtner. Die Anzeichen mehren sich, dass die angestammten Arten nicht widerstandsfähig genug sind. Das gilt sowohl für Baumarten in den mittleren Breiten als auch für jene in den tropischen Regenwäldern.

Der falsche Ansatz: Emissionen dürfen nicht mit Biodiversitätsschutz verrechnet werden

Angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erscheinen auch neue Strategien der Politik, Treibhausgasemissionen energieintensiver Branchen mit Renaturierungs- und Naturschutz-Maßnahmen zu verrechnen, als irreführend und kontraproduktiv. „Klimapolitisch macht es überhaupt keinen Sinn, den weiteren Ausstoß von Treibhausgasen dadurch zu legitimieren, dass ein existierender Wald nicht abgeholzt wird“, sagt Hans-Otto Pörtner. „Die Welt braucht kurzfristig drastische Emissionseinsparungen, um den Temperaturanstieg zu stoppen und gleichzeitig den Erhalt und Wiederaufbau großer, gesunder Ökosysteme, die uns langfristig in die Lage versetzen, der Atmosphäre mehr Kohlenstoff zu entziehen als durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wird. Die Leistungen der Natur sollten wir als zusätzliches Gut betrachten, welches es langfristig zu stärken gilt.“

Besondere Erfolgsaussichten hätte eine solche Klima- und Naturschutzpolitik, wenn sie mit der Verbesserung sozialer Gerechtigkeit einhergingen: „Es gilt, die Armut weltweit zu bekämpfen und die Verteilungsgerechtigkeit zu erhöhen. Vielen Menschen bleibt aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Not gar nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt durch Jagd, illegale Fischerei, Goldsuche oder aber durch andere Aktivitäten zu bestreiten, die zum flächendeckenden Raubbau an der Natur beitragen. Sie aus dieser Notlage zu befreien, wäre ein erster wichtiger Schritt für nachhaltigen Klima- und Naturschutz“, so Hans-Otto Pörtner.

Natur- und Klimaschutz als gemeinsames Leitbild allen politischen Handelns

Aus Sicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liefert der neue Workshop-Bericht wichtige Grundlagen für künftige politische Entscheidungen: „Erstmals werden die drei großen Krisen unserer Zeit – die Klimakrise, die Biodiversitätskrise und die soziale Krise – in einem Bericht von Expertinnen und Experten unterschiedlichster Disziplinen gemeinsam beleuchtet. Ganz klar ist, dass sich diese Herausforderungen nur lösen lassen, wenn die Maßnahmen eng verzahnt und gut aufeinander abgestimmt sind. An dieser Stelle muss in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein Umdenken einsetzen“, fordert Wolfgang Kießling.

Denkbar wäre zum Beispiel, ein Biodiversitätsgesetz im Stil des Klimaschutzgesetzes einzuführen. Auf diese Weise könne man das Thema „Naturschutz“ aus seiner bisherigen politischen Nische befreien und einen zukunftsweisenden Biodiversitätsschutz über Ministeriumsgrenzen hinweg etablieren. Künftig, so lautet ein Fazit der Wissenschaftler, müssten sich alle politischen Entscheidungen daran messen lassen, inwiefern sie bestmögliche Resultate für das Klima, die Biodiversität und die Menschen vor Ort erzielen.

Über den Bericht

An dem IPBES-IPCC Workshop-Bericht zu Artenvielfalt, Ökosystemen und Klimawandel waren insgesamt 50 Autorinnen und Autoren – davon neun aus dem deutschsprachigen Raum –  sowie ein 12-köpfiger wissenschaftlicher Lenkungsausschuss beteiligt. Der Bericht kann im englischen Original unter folgendem Link heruntergeladen werden: www.ipbes.net/BiodiversityClimateScience

Weitere Informationen

Prof. Dr. Wolfgang Kießling
Lehrstuhl für Paläoumwelt
Tel.: 09131/85-26959
wolfgang.kiessling@fau.de