Korallen auf der Roten Liste
Daten ausgestorbener Arten helfen, die Gefährdung besser abzuschätzen
Die Eigenschaften der in den letzten Jahrmillionen ausgestorbenen Korallenarten stimmen schlecht mit denen der heute für gefährdet gehaltenen Arten überein. Eine Forschungsgruppe der FAU schlägt daher in einem Fachartikel in „Global Ecology and Biogeography“ der Weltnaturschutzunion IUCN eine Überarbeitung ihrer Roten Listen für Korallen vor.
Dort ist rund ein Drittel aller 845 genannten Korallenarten, die Riffe bilden, als gefährdet verzeichnet. Diese Roten Listen der International Union for Conservation of Nature (IUCN) gelten als sehr zuverlässig, weil die besten Spezialistinnen und Spezialisten auf ihrem Gebiet regelmäßig untersuchen, wie sich der Bestand einer Art in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat.
Zusammen mit weiteren Faktoren wie Naturschutzmaßnahmen oder absehbaren Einflüssen wie dem Klimawandel zeigen diese Zahlen dann recht zuverlässig die Gefährdung der jeweiligen Art in der Zukunft. „Nur lässt sich ein solcher Trend für Korallenpopulationen kaum ermitteln“, nennt Prof. Dr. Wolfgang Kießling ein zentrales Problem der Roten Listen für Korallen.
Seine Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Paläoumwelt Nussaïbah Raja Schoob nahm die Gefährdung der Riffkorallen daher gemeinsam mit Forschungsteams von der University of Queensland im australischen St. Lucia und der University of Iowa im US-amerikanischen Iowa City mit einer völlig anderen Methode unter die Lupe.
Zunächst untersuchte die Geowissenschaftlerin, welche Eigenschaften die Korallenarten auf den Roten Listen gemeinsam haben. Bei der Gefährdung dieser Gruppe spielt der Klimawandel eine wichtige Rolle. Ähnliches geschah in den vergangenen fünf Millionen Jahren, als sich zwischen Nord- und Südamerika eine Landbrücke bildete, die eine vorher starke Meeresströmung vom Pazifik in die Karibik dauerhaft unterbrach.
Dadurch veränderten sich dort sehr wichtige Eigenschaften des Wassers wie Temperatur und Salzgehalt erheblich. Gleich 18 Gattungen von Korallen verschwanden damals aus der Karibik, sechs davon starben sogar weltweit aus. „Wir wollten nun wissen, welche Eigenschaften Korallenarten besonders empfindlich für einen solchen starken Wandel machten und welche Eigenschaften andererseits die Widerstandskraft gegen solche Einflüsse verbesserten“, erklärt Nussaïbah Raja Schoob.
Die FAU-Forscherin untersuchte daher eine Reihe von Parametern wie die größte Wassertiefe, in der die Korallen vorkommen, die Temperaturen, die ihre Larven vertragen, wie schnell die Korallen wachsen oder mit welchen Algen sie in Symbiose zusammenleben.
Mit Hilfe von maschinellem Lernen identifizierten Computerprogramme Gemeinsamkeiten sowohl der damals aus der Karibik verschwundenen wie auch der überlebenden Arten. Danach ermittelte die künstliche Intelligenz die gemeinsamen Eigenschaften der von der IUCN als gefährdet geführten Korallenarten. Gerade einmal 18 Prozent dieser Rote-Listen-Arten aber stimmten mit den auf Paläodaten beruhenden Resultaten des maschinellen Lernens überein.
„Dieses Ergebnis widersprach allen Erwartungen und hat uns daher sehr verblüfft“, erinnert sich Wolfgang Kießling. Irgendwo musste ein Fehler stecken. Nur wo? Wohl kaum in den Daten aus der Korallengeschichte der vergangenen Jahrmillionen in der Karibik: „Diese beruhen auf Fakten, die wir direkt beobachten und messen können“, erklärt Wolfgang Kießling. Sollte das Problem also in den Roten Listen stecken?
Dort wurde Nussaïbah Raja Schoob tatsächlich fündig: Das alte und sehr bewährte System der IUCN, aus der Populationsdynamik einer Art auf deren Gefährdung in der Zukunft zu schließen, stieß bei den riffbildenden Korallen nämlich rasch an seine Grenzen.
„Es gibt einfach kaum Daten zur Populationsdynamik“, erklärt Nussaïbah Raja Schoob. Die IUCN musste daher ihre Methoden anpassen und beurteilte das Gefährdungsrisiko nach den Veränderungen der Fläche, die Korallenriffe bedecken. „Diese Daten sind für den Schutz von Korallenriffen, die eine sehr wichtige Rolle für das Leben in den Meeren spielen, zwar extrem wichtig“, sagt Wolfgang Kießling.
Nur sagen sie aus einem einfachen Grund wenig über die Gefährdung einzelner Arten: „Korallen können ja auch außerhalb eines Riffes direkt am Meeresboden wachsen und tun das auch sehr häufig“, erklärt der Paläontologe. Daher gibt es auch von den als selten eingestuften Arten meist noch immer einige Milliarden Individuen, von denen viele verstreut am Meeresboden wachsen können – und die dort nicht so einfach alle gleichzeitig aussterben dürften.
„Unser Ergebnis zeigt, wie wichtig Daten von bereits vor langer Zeit ausgestorbenen Arten sein können, um das Risiko für heute lebende Organismen einzuschätzen“, erklärt Nussaïbah Raja Schoob. Die Erkenntnisse der Paläontologie können daher die bewährten Methoden der IUCN sehr gut ergänzen.
Auch wenn sich dadurch der Gefährdungsstatus einiger Korallenarten verringern könnte, liefert die Studie alles andere als eine Entwarnung: „Die Korallenriffe verschwinden ja trotzdem“, sagt Wolfgang Kießling. „Und mit ihnen ein fantastischer Lebensraum, der für die Ozeane sehr wichtig ist.“
Originalartikel: DOI: 10.1111/geb.13321
Weitere Informationen
Nussaïbah Raja Schoob
Tel.: 09131/85-23489 (English, Französisch)
nussaibah.raja.schoob@fau.de
Prof. Dr. Wolfgang Kießling
Tel.: 09131/85-26959 (Deutsch, English)
wolfgang.kiessling@fau.de