„Das Becken bricht wie eine Salzbrezel“
Die Unfallchirurgie des Uni-Klinikums Erlangen behandelt komplexe Beckenbrüche – von der Unfallverletzung bis hin zur altersbedingten Fraktur
„Schmerzen kann ich an sich gut aushalten. Aber als sie mich da auf die Trage für den Krankenwagen gehoben haben, habe ich das ganze Dorf zusammengebrüllt, so weh hat es getan“, berichtet Heiner Berendt (Name geändert). Mitte April verletzte sich der 63-Jährige aus dem Landkreis Bamberg schwer, als er mit seinem Rennrad unterwegs war. In einer Kurve rutschte er auf einer Ölspur aus, stürzte und zog sich eine Hüftgelenks- und Beckenringfraktur und mehrere starke Prellungen zu. Das Rettungsteam brachte den Verletzten zur Akutversorgung ins Kreiskrankenhaus St. Anna in Höchstadt a. d. Aisch. Weil die Ärzte dort feststellten, dass der Bruch einen komplexen Eingriff erfordert, holten sie ihren Kooperationspartner – das Universitätsklinikum Erlangen – mit ins Boot. Hier wurde Heiner Berendt schließlich Ende April von den Spezialisten der Unfallchirurgischen Klinik – Orthopädische Chirurgie (Direktor: Prof. Dr. Mario Perl) operiert.
„Beim Beckenbruch gibt es zwei Altersgipfel“, erklärt der leitende Oberarzt und Leiter des Bereichs Beckenchirurgie am Uni-Klinikum Erlangen, Prof. Dr. Hans-Georg Palm. „Einen bei Männern zwischen 20 und 30 Jahren, die ein Hochrasanztrauma erleiden. Das heißt: Es wirkt eine hohe kinetische Energie auf den Körper ein – z. B. bei einem Verkehrsunfall oder einem Sturz aus großer Höhe. Der zweite Gipfel liegt bei älteren Frauen mit osteoporotisch veränderten Knochen, die leichter brechen – auch schon bei einem einfachen Sturz.“ Die Bruchmorphologie ist bei beiden Gruppen sehr unterschiedlich: Während bei großen Unfallverletzungen der Schaden sofort erklär- und sichtbar wird, sind Beckenbrüche bei alten Menschen oft nicht so schnell diagnostizierbar. „Manchmal klagt jemand schon längere Zeit über stark ausgeprägte Schmerzen in der Hüfte, im Rücken oder in der Leiste, aber erst bei einer Computertomografie (CT) oder einer Magnetresonanztomografie wird eine Fraktur erkennbar“, weiß Prof. Palm. In diesem Zusammenhang forscht der Beckenexperte schon seit mehreren Jahren zur Dual-Energy-CT, die Gewebe sehr differenziert darstellt und somit Altersbeckenbrüche noch besser sichtbar macht. Das Uni-Klinikum Erlangen nimmt zudem an der bundesweiten „AG Becken III“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. teil, die unter anderem Daten zur Epidemiologie und zu neuen operativen Techniken sammelt.
Auch wenn Heiner Berendt zu keinem der beiden Altersgipfel passt, war bei ihm die Sache klar: Er hatte ein Hochrasanztrauma erlitten und einen schweren Bruch der linken Hüftgelenkspfanne und der linken Beckenschaufel davongetragen. „Mithilfe von speziellen Plattensystemen, die sich der Anatomie perfekt anpassen, konnten wir das Gelenk und das Becken insgesamt anatomisch rekonstruieren“, berichtet Klinikdirektor Prof. Dr. Mario Perl, der zudem die Unfallchirurgie und Orthopädie am Kreiskrankenhaus St. Anna leitet. Die gute Kooperation zwischen dem Grundversorger in Höchstadt und dem hoch spezialisierten Maximalversorger in Erlangen zahlte sich für den Patienten aus: „Ich bin unendlich dankbar, dass ich am Ende in Erlangen gelandet bin“, sagt Heiner Berendt. „Ich wollte gar nicht so genau wissen, was sie hier genau mit mir machen. Ich wollte einfach, dass alles wieder gut wird und fühlte mich am Uni-Klinikum gut aufgehoben.“
Beckenbrüche im Alter
Angesichts der demografischen Entwicklung werden Altersbeckenbrüche zunehmen – also die Zahl jener Patienten, die aufgrund spröder Knochen schon bei „normalen“ Stürzen sogenannte Fragilitätsfrakturen erleiden. „Beim Becken eines alten Menschen ist es so wie bei einer Salzbrezel: Es bricht in der Regel zweimal – weil es so unelastisch ist“, erklärt Prof. Palm. Zum knöchernen Becken gehören das Hüftbein mit Darm-, Sitz- und Schambein sowie das Steiß- und das Kreuzbein. Je mehr Teile brechen, umso instabiler wird die Körpermitte. Dann kommt die operative Schrauben- oder Platten-Osteosynthese zum Einsatz, die die Knochen wieder miteinander verbindet. Dank der minimalinvasiven Operationstechniken, die das Team der Unfallchirurgie des Uni-Klinikums Erlangen dann anwendet, sinkt die Gefahr für Komplikationen, die Wundheilung wird beschleunigt und der Patient kann schneller wieder nach Hause beziehungsweise in eine Rehaklinik entlassen werden. Während vieler Eingriffe kontrolliert ein hochmodernes 3-D-Navigations- und Bildgebungssystem die Operateure: Ist das Instrument exakt angesetzt? Liegt die Platte oder die Schraube millimetergenau richtig am Hüftknochen? Und sind die großen Blutgefäße und die Nerven optimal geschützt? Das macht OPs noch sicherer und präziser. Hinzu kommt das universitäre Setting: Hockkomplexe Frakturen des Beckens bedürfen der interdisziplinären Zusammenarbeit. „So ist auch die internistische Betreuung von hochbetagten Menschen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Interprofessionell abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Pflege, Physiotherapie und Ärzten ermöglicht eine schnellstmögliche Genesung“, so Prof. Perl.
Für Heiner Berendt beginnt nun die Rehabilitation – nach nur einer Woche auf Station im Uni-Klinikum Erlangen. Frühmobilisation ist bei Beckenbrüchen entscheidend: „Schon am ersten Tag nach der OP sollte ich mich aufsetzen und mich hinstellen, am vierten Tag ein paar Meter mit den Krücken gehen – aber ohne mein linkes Bein zu benutzen. Sechs Wochen lang darf ich das jetzt nicht belasten“, sagt Heiner Berendt. Dass er seit vielen Jahren täglich Rennrad fährt, joggt oder ins Fitnessstudio geht, kommt dem Heilungsprozess nun zugute. Sogar im Krankenhausbett liegend „sportelte“ er, bewegte Oberkörper und Arme, bis seine Fitnessuhr täglich 20.000 Schritte zeigte. „Ich habe keine Entzündungen, die Genesung schreitet hervorragend voran. Sie haben mir gesagt, dass ich wohl nächstes Jahr wieder Rennrad fahren kann“, so der 63-Jährige. Etwas Geduld braucht Heiner Berendt nun also noch.
Weitere Informationen:
Jeannine Rauch
Tel.: 09131/85-33272
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