Neologistik
Ohne Logistik wäre das Leben in der modernen vernetzten Welt undenkbar. Sie sorgt dafür, dass die Regale im Supermarkt mit allen Produkten des täglichen Bedarfs gefüllt sind, das dringend benötigte Ersatzteil für ein Flugzeug an nahezu jedem Ort der Welt in kürzester Zeit verfügbar ist oder die Bänder in der Automobilproduktion niemals stillstehen. Doch die moderne Logistik ist mehr als nur der effiziente Gütertransport von A nach B. Denn die Prozesse sind komplexer geworden. Sie reichen von der Beschaffung benötigter Rohstoffen über die Produktion von Waren bis zur Vermarktung und zum Versand. Und das in einer Welt, in der stetig mehr Individualisierung, höhere Geschwindigkeiten und geringere Kosten gefordert sind.
Komplex strukturierte Lieferketten
Am Lehrstuhl für Supply Chain Management setzen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FAU mit diesen Herausforderungen auseinander. „Die Logistik hat sich gewandelt. Durch die Tendenz zum Outsourcing und zur Verringerung der im eigenen Unternehmen durchgeführten Produktionsschritte haben sich zunehmend arbeitsteilige Lieferketten entwickelt“, betont Lehrstuhlleiterin Prof. Dr. Evi Hartmann. „Der Wettbewerb in den globalen Märkten, kurze Produktlebenszyklen sowie hohe und immer individuellere Kundenerwartungen haben Lieferketten ins Zentrum betriebswirtschaftlicher Entscheidungen gerückt.“
„Ziel des Supply Chain Managements ist es in erster Linie, die Effizienz der Prozesse zu verbessern, den Kundennutzen zu erhöhen sowie den Bedarf an Ressourcen zu optimieren, um im Endeffekt Kunden und Märkte wirtschaftlich erfolgreich mit Gütern zu versorgen.“
Denn im Ergebnis stehen nicht mehr Einzelhersteller miteinander im Wettbewerb. Stattdessen konkurrieren komplex strukturierte Lieferketten, die sich aus verbundenen, aber unabhängigen Unternehmen zusammensetzen. Die Partner innerhalb einer solchen logistischen Kette müssen sich gegenseitig über Störungen, Nachfrageschwankungen etc. im Betriebsablauf informieren und entsprechende Schnittstellen aufbauen. Dieses Supply Chain Management, also das Lieferkettenmanagement, geht über die klassische Ausrichtung der Betriebswirtschaftslehre und das System „Unternehmen“ hinaus, hin zu global verteilten Wertschöpfungsnetzwerken.
Konkret nehmen Professorin Evi Hartmann und ihr Team in den Blick, wie der Fluss von Waren, Informationen, Geld und Personal über die komplette Länge einer Wertschöpfungskette, also vom Lieferanten der Rohstoffe bis hin zum Endkunden, optimal geplant und gesteuert werden kann. „Ziel des Supply Chain Managements ist es in erster Linie, die Effizienz der Prozesse zu verbessern, den Kundennutzen zu erhöhen sowie den Bedarf an Ressourcen zu optimieren, um im Endeffekt Kunden und Märkte wirtschaftlich erfolgreich mit Gütern zu versorgen“, sagt die FAU-Wissenschaftlerin.
Hilfe durch Big Data
Ob Autos, Schuhe oder Lebensmittel: Nicht nur Konsumgüter müssen von A nach B gebracht werden. Auch bei Katastrophen kommen logistischer Planung und Ausführung eine tragende Rolle zu. Wie Big Data eingesetzt werden kann, um die Humanitarian Supply Chain noch schneller zu machen, erklärt Dr. Hendrik Birkel vom Lehrstuhl für Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management im Interview.
Im Fokus ihres Interesses stehen dabei eine Vielzahl an Herausforderungen, aber auch zahlreiche Trends, die die deutsche Logistikbranche und damit das Lieferkettenmanagement beeinflussen: Neben der Kostensenkung der logistischen Aktivitäten zählen dazu die Verbesserung der Flexibilität logistischer Systeme, etwa um auf individuelle Kundenwünsche eingehen zu können, sowie die Veränderungen der Ansprüche. Denn die Kunden möchten immer schneller beliefert werden. „Das erhöht den Druck auf die Konkurrenz, bei den Lieferleistungen gleichzuziehen oder diese sogar noch zu übertreffen“, sagt Evi Hartmann. „Das dadurch hervorgerufene höhere Paketaufkommen befördert beispielsweise die Nachfrage nach stadtnahen Logistikflächen. Die Flächenverknappung in den deutschen Ballungsgebieten schreitet durch diese Entwicklung weiter voran und fordert neue Lösungen bei der Flächennutzung.“
Vollautomatisierter Materialtransport
Eine weitere Herausforderung besteht zudem im Transfer von Information und Technologie. „Auch hier gilt der Online-Handel als einer der wesentlichen Treiber der Entwicklung – unser Konsum wird im logistischen Sinn grenzenlos“, sagt Hartmann. „Gleichzeitig beobachten wir den stetigen Trend zu Individualisierung von Produkten. Bei großen Sportartikelherstellern kann der Endkunde zum Beispiel fast jedes Detail seiner neuen Sneakers selbst bestimmen. Diese individuellen Angebote erhöhen die Komplexität der Logistik signifikant.“ Hinzu kommt das Thema Nachhaltigkeit, das im Lieferkettenmanagement eine immer größere Rolle spielt.
„Die Logistik in Deutschland muss grüner werden und tut dies auch“, betont Dr. Hendrik Birkel, der sich insbesondere mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit im Lieferkettenmanagement befasst. Der Post-Doktorand am Lehrstuhl für Supply Chain Management erklärt: „Logistikimmobilien, Fahrzeugflotten sowie Produktions- und Logistikprozesse werden nicht mehr ausschließlich auf Effizienz, sondern zunehmend auf Nachhaltigkeit geprüft. Wir müssen also auch in den Blick nehmen, welche Technologien und Kraftstoffarten für eine klimaneutrale Logistik benötigt werden.“
Zum Lieferkettenmanagement gehört auch die sogenannte Intralogistik, also die Material- und Warenflüsse, die sich innerhalb eines Betriebsgeländes abspielen. Ein Beispiel, wie sich die Logistik in diesem Bereich entwickelt, zeigt der Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS). Das Team um Markus Lieret entwickelt im Rahmen der Forschungsgemeinschaft Intralogistik/Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL) e. V. autonome Flugroboter für den vollautomatisierten innerbetrieblichen Materialtransport.
Die Idee hinter dem Forschungsprojekt AIRKom: Autonome Flugroboter bieten aufgrund ihrer Bewegungsmöglichkeit in der Luft und den daraus resultierenden kurzen Strecken, der erzielbaren Transportgeschwindigkeiten sowie ihrer wartungsarmen und kostengünstigen Bauform weitreichende Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel beim Flugzeug- oder Schiffsbau oder in der Automobilindustrie.
„Nachdem mittlerweile jedes Auto auf den Kunden abgestimmt wird, reicht es nicht mehr, einen Container mit ein und demselben Lenkrad oder Navigationsgerät ans Band zu stellen. Vielmehr muss das individuell gewünschte Teil in einem bestimmten Zeitkorridor ans Band geliefert werden, damit die Produktion nicht stillsteht“, erklärt Markus Lieret. „Bislang ist es so, dass ein Mitarbeiter mit einem Fahrrad oder Auto vom Lager ans Produktionsband liefern muss, wenn zum Beispiel ein Navi kaputtgegangen ist. Schließlich kann nicht einfach das nächste Gerät eingebaut werden, da dieses ja für ein anderes Auto bestimmt ist. Diesen Prozess des Nachlieferns von dringend benötigten Ersatzteilen wollen wir mit Drohnen automatisieren und damit vereinfachen.“
„Durch die Erweiterung der Intralogistik um die dritte Dimension, die Vertikale, kann bislang ungenutzter Raumbereich in den Materialfluss miteinbezogen und somit die am Boden für Logistikprozesse benötigte Fläche reduziert werden.“
Daneben beschäftigt sich AIRKom auch mit Innovationen im Bereich der Kommissionierung, also dem Zusammenstellen von individuellen Lieferungen. „Bei großen Onlineversandhändlern sind bereits mobile Roboter im Einsatz, die ganze Regale an den Kommissionierplatz bringen, damit die Mitarbeiter den vom Kunden gewünschten Kartoninhalt zusammenstellen können“, sagt Markus Lieret. „Wir wollen einen Schritt weiterdenken und nur noch einzelne Ladungsträger, also beispielsweise Plastikboxen, mit den entsprechenden Produkten transportieren.“
Der Vorteil der Flugroboter liegt für den FAU-Wissenschaftler auf der Hand: „Durch die Erweiterung der Intralogistik um die dritte Dimension, die Vertikale, kann bislang ungenutzter Raumbereich in den Materialfluss miteinbezogen und somit die am Boden für Logistikprozesse benötigte Fläche reduziert werden.“ Um die Grundlage für den Einsatz von Flugrobotern zu schaffen und die hierfür entscheidenden Technologien weiterzuentwickeln, greifen bei der Forschungsarbeit des Projekts AIRKom verschiedene Fachbereiche von der Elektrotechnik über die Informatik bis zum Maschinenbau ineinander.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Hofmann und einigen Studierenden arbeitet AIRKom-Initiator Markus Lieret an der Batterie- und Antriebstechnik der Flugroboter, sie entwickeln die Steuerungssoftware und Flugintelligenz. Zudem feilen sie an deren Routenplanung. Hinzu kommen Fragen der Arbeitssicherheit, wie zum Beispiel Abstürze oder das Herabfallen von Teilen verhindert oder der Lärm der Rotoren verringert werden kann, um sicherzustellen, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht durch die Flugroboter über ihren Köpfen gestört fühlen. Fest im Visier haben die beiden FAU-Wissenschaftler bei alledem das Projektende 2021.
Ihr Ziel: ein funktionsfähiger Prototyp, der völlig autonom, präzise und zuverlässig nach einem definierten Auftrag zum Beispiel die Box mit Gütern abholt, diese zu einem Zielort transportiert, dort ablegt, gegebenenfalls wieder aufnimmt und zurück zum Lagerplatz bringt, anschließend zur Ladestation fliegt und auf den nächsten Auftrag wartet. Egal ob im Forschungsprojekt AIRKom oder am Lehrstuhl für Supply Chain Management: FAU-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feilen hier wie dort mit ihren Konzepten, Ideen und Visionen an der Logistik von morgen.
Über den Autor
Michael Kniess arbeitet nach seinem Studium der Politikwissenschaft und Soziologie an der FAU und nach Abschluss eines journalistischen Volontariats als freier Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für heute.de, die Welt am Sonntag und die Nürnberger Zeitung.
FAU-Forschungsmagazin friedrich
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