Landkarten synaptischer Signalkomplexe
An allem, was wir tun, sind Nervenzellen beteiligt: wenn wir uns bewegen genauso, wie wenn wir sehen, hören, denken, oder uns an etwas erinnern. So leiten Nervenzellen zum Beispiel Sinneseindrücke aus dem Auge oder dem Ohr an spezialisierte Zentren im Gehirn. Dort werden diese Erregungsmuster dann durch weitere Nervenzellen verarbeitet und uns schließlich bewusst. Allerdings läuft es bei der Signalübertragung im Nervensystem nicht so einfach wie beim Stromkreis, in dem sich auf Knopfdruck ein Schalter öffnet und Strom fließt.
Für die Signalverarbeitung ist eine Vielzahl von Proteinen zuständig, an denen Prof. Dr. Ralf Enz, Professor für Biochemie und Medizinische Molekularbiologie an der FAU, und sein Team forschen. Sie untersuchen die Interaktion zwischen Proteinen im zentralen Nervensystem, unter anderem in der Netzhaut des Auges und der Cochlea, dem Teil des Innenohrs, der die Hörinformation aufnimmt und an das Gehirn weiterleitet. Ihr Ziel ist herauszufinden, wie Signalwege in diesen sensorischen Geweben funktionieren und wie Störungen zu Erkrankungen wie Blindheit, Schwerhörigkeit oder Tinnitus führen.
Ein Zusammenspiel von Proteinen
Beim Prozess der Signalübertragung zwischen Nervenzellen sind die chemischen Synapsen – Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen – entscheidende Strukturen. So sendet der Endpunkt der ersten Nervenzelle, die pre-Synapse, Botenstoffe aus. Diese als Neurotransmitter bezeichneten Botenstoffe diffundieren über den synaptischen Spalt zu ihren Rezeptoren an der nachgeschalteten Nervenzelle, der post-Synapse. Je nach Rezeptortyp bewirkt das Andocken der Neurotransmitter eine Erregung oder Hemmung der nachgeschalteten Nervenzelle.
Das klinge zunächst einfach, sei aber in der Realität wesentlich komplexer, erklärt Enz. Einige Neurotransmitterrezeptoren besitzen eigene Ionenkanäle. Das sind röhrenförmige Proteine, die elektrisch geladene Teilchen, Ionen genannt, in die Zelle leiten, wenn sie sich öffnen. Eine Bindung des Neurotransmitters an diese Rezeptoren führt somit direkt zu einer Änderung des Erregungszustandes in den Nervenzellen. Andere Neurotransmitterrezeptoren hingegen besitzen keinen Ionenkanal, sondern regulieren die Aktivität von Signalkaskaden. Unterschiedliche Rezeptoren koppeln an unterschiedliche Signalkaskaden, die wiederum unterschiedliche zelluläre Vorgänge regulieren wie ein Öffnen oder Schließen weiterer Ionenkanäle oder die Genexpression, also zum Beispiel die Bildung eines Proteins.
Eine weitere Ebene der Komplexität chemischer Synapsen liegt in der Erkenntnis, dass Neurotransmitterrezeptoren nicht isoliert funktionieren. Wie einzelne Musizierende in einem Sinfonieorchester zeitlich und räumlich präzise zusammenspielen, so werden auch für die synaptische Signalübertragung eine Vielzahl von Proteinen präzise koordiniert: Ankerproteine sorgen dafür, dass die Rezeptoren an ihrem vorgesehenen Ort im Bereich der Synapsen bleiben. Adapterproteine sorgen für eine räumliche Nähe zwischen den Proteinen, die an der jeweiligen Signalübertragung teilhaben, denn nur so kann der Prozess effizient und störungsfrei ablaufen. Weitere Proteine kontrollieren die Menge der Neurotransmitterrezeptoren an Synapsen und regulieren ihre Aktivität. Alle Proteine, die hier zusammenwirken, werden in ihrer Gesamtheit als synaptischer Signalkomplex bezeichnet. Sind diese synaptischen Signalkomplexe in ihrem Aufbau oder in ihrer Regulation gestört, kann es zu Fehlfunktionen und Erkrankungen kommen.
Landkarte der Signalkomplexe
Enz und seine Arbeitsgruppe untersuchen diese synaptischen Signalkomplexe in Netzhaut und Cochlea. Sie analysieren, an welchen Synapsen welche Rezeptortypen vorhanden sind. Sie suchen nach neuen Proteinen, die an diese Neurotransmitterrezeptoren binden, sie regulieren und so Teil von synaptischen Signalkomplexen sind. Sie untersuchen die Funktion neu identifizierter Bindepartner im Hinblick auf die Aktivität der Rezeptoren, die Menge der Rezeptoren an der Zelloberfläche und auf die Wirkung für rezeptorgekoppelte Signalkaskaden. Außerdem beschreiben sie die Raumstrukturen von Kontaktflächen zwischen Rezeptoren und ihren neu identifizierten Bindepartnern. Die Forschenden der FAU entwickeln also Landkarten dieser synaptischen Signalkomplexe und schaffen damit die Grundlage, Störungen innerhalb der Informationsweiterleitung im zentralen Nervensystem auszumachen. Ihre Arbeit trägt wesentlich dazu dabei, Eingriffsmöglichkeiten zur Regulierung der synaptischen Signalkomplexe und damit neue Therapieansätze für neurologische Krankheiten zu finden.
Über die Autorin
Simone Harland ist seit 25 Jahren freiberufliche Journalistin und Texterin. Ihr Handwerk gelernt hat die Diplom-Sozialwirtin und Autorin von etwa 50 Sachbüchern im Harenberg Verlag. Sie schreibt für Zeitschriften, Unternehmen und Verlage und lebt am Meer.
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