Ein Stresstest für die US-Demokratie
Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Krennerich über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA sorgt derzeit für viel Gesprächsstoff. Doch auch in Europa produzieren Wahlen immer wieder negative Schlagzeilen. Prof. Dr. Michael Krennerich vom Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der FAU über die bisherigen Lehren aus dem US-Wahlkampf und die möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Wahlausgang. Der Wahlrechts- und Menschenrechtsexperte, der gerade das Buch „Freie und faire Wahlen? Standards, Kurioses, Manipulationen“ veröffentlicht sowie den „Bericht zu Wahlrecht und Wahlorganisation in Europa“ für die Venedig-Kommission des Europarates erstellt hat, blickt aber auch auf die Frage, wie es derzeit um freie und faire Wahlen in Europa bestellt ist.
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA ist in die heiße Phase gegangen. Schlagzeile jagt Schlagzeile. Nach dem ersten Aufeinandertreffen von Joe Biden und Donald Trump vor laufenden Kameras war sogar vom „schlimmsten TV-Duell aller Zeiten“ die Rede. Was lehrt der bisherige Wahlkampf?
Er zeigt, dass die US-Demokratie einem Stresstest ausgesetzt ist. Das Gros der Wahlwerbung ist dort negativer Natur und von Desinformationen und Diffamierungen durchzogen. Gerade Donald Trump steht für eine Verrohung der politischen Kultur, eine Spaltung der Gesellschaft und trägt mit der Missachtung demokratischer Spielregeln und seinen unbegründeten Wahlbetrugsvorwürfen zur Delegitimierung der Wahlen bei.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie Ihrer Ansicht nach auf die Durchführung und den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen?
Bei Wahlen in Zeiten von Covid-19 müssen sowohl die Gesundheit der Beteiligten gewissenhaft geschützt als auch demokratische Wahlstandards gewahrt werden. Die Ausweitung der Briefwahl zur Verringerung des Infektionsrisikos nutzte Donald Trump für unbelegte Wahlbetrugsvorwürfe, was insbesondere dann brisant wird, wenn die Ergebnisse der Briefwahlstimmen sich von den zuvor ermittelten Ergebnissen der Wahllokale unterscheiden sollten. Offen ist auch, inwieweit ihm sein verharmlosender Umgang mit der Pandemie und sein leichtfertiger Umgang mit der eigenen Corona-Erkrankung schaden. Zumindest verfängt seine Strategie, sich nachträglich als tatkräftiger Krisenmanager zu profilieren, nicht weit über seine eigene Anhängerschaft hinaus. Leider ist sein Herausforderer allzu blass. Trotz aller Umfragen zugunsten von Joe Biden bleibt es spannend.
Wahl ist nicht gleich Wahl. Sie haben als Experte und Beobachter bereits zahlreiche Wahlen in Europa und im außereuropäischen Ausland begleitet. Was unterscheidet nationale Wahlen in Demokratien und Autokratien?
Der wichtigste Unterschied ist, dass bei Wahlen in Autokratien die Regierungsmacht nicht zur Disposition steht. Um Wahlunterstützung zu demonstrieren und Niederlagen zu verhindern, kontrollieren und manipulieren Autokraten die Wahlen und die öffentliche Meinung. Der Wahlwettbewerb ist so massiv zugunsten der Amtsinhaber verzerrt. Da braucht es oft gar keinen offenen Betrug am Wahltag mehr.
Inwiefern können die US-Wahlen Ihrer Ansicht nach als freie und faire Wahlen gelten?
Trotz aller Defizite genügten die US-Wahlen bislang demokratischen Standards. Ein Vorbild für einen demokratischen Wahlgang sind sie jedoch nicht: Das System der „Wahlmänner“ ist aus der Zeit gefallen. Es besteht ein Flickenteppich an einzelstaatlichen Regelungen, wer wie wählen darf. Die Wählerregistrierung ist mangelhaft und die Wahlkreisziehung ist mitunter parteipolitisch motiviert. Die Wahlkampfausgaben sind schwindelerregend hoch und der Wahlkampf ist in hohem Maße geprägt von Desinformationen und schlimmen Auswüchsen eines „Negative Campaigning“. Auch manche Verfahren der Stimmabgabe sind überholt und störanfällig. Donald Trumps Vorwürfe eines systematischen Wahlbetrugs entbehren jedoch der Grundlage. Er selbst ist das Problem – und man kann nur hoffen, dass er im Falle einer Wahlniederlage das Ergebnis akzeptiert.
Blicken wir auf Europa: Die Präsidentschaftswahl in Belarus wird von anhaltenden Protesten im Land begleitet. In Ungarn wird immer wieder die Verletzung von Grundrechten durch die Regierung kritisiert. Wie steht es derzeit um freie und faire Wahlen in Europa?
Im Allgemeinen noch gut. Aber es gibt Ausreißer und besorgniserregende Entwicklungen: In Belarus sind die Wahlen unter dem Autokraten Aljaksandr Lukaschenka bislang allesamt undemokratisch. Bereits bei den Präsidentschaftswahlen von 2006 und 2010 kam es dort zu Massenprotesten, die gewaltsam unterdrückt wurden. So langanhaltend wie 2020 waren sie allerdings noch nie.
Im Zuge der Erosion der Demokratie in Polen und Ungarn wiederum schlagen illiberale Herrschaftspraktiken auf den Wahlwettbewerb durch. Demokratische Wahlen benötigen eben ein demokratisches Umfeld. Dies schließt staatliche Neutralität im Wahlkampf sowie die ungestörte Wahrnehmung nicht nur des Wahlrechts, sondern auch von Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit ein. Auch eine ausgeglichene Medienberichterstattung sowie ein politisches Klima möglichst frei von Desinformationen, „Hate Speech“ und Gewalt gehören dazu.
In Ihrem neuen Buch „Freie und faire Wahlen?“ blicken Sie auch auf so manche Kuriosität in Bezug auf das Wahlrecht. Welches Kuriosum hat Sie nachhaltig beeindruckt?
Abgesehen von den vielfältigen Manipulationsversuchen findiger Autokraten sorgen die Details von Wahlverfahren immer wieder für Staunen. Während afrikanische Länder für gewöhnlich Stimmzettel oder elektronische Wahlmaschinen benutzen, bestand bis vor kurzem in Gambia eine einzigartige Form der Stimmabgabe: Dort steckten die Wahlberechtigten gläserne Wahlmurmeln in unterschiedlich farbige Wahlbehälter der Kandidatinnen und Kandidaten. Das hat doch was, oder?
Weitere Informationen
Prof. Dr. Michael Krennerich
Tel.: 09131/ 85-23271
michael.krennerich@fau.de