Digital stöbern, flanieren und forschen

Schriftrollen
In den Universitätssammlungen liegen viele Schätze verborgen. Diese wurden jetzt geborgen und Wissenschaft und Öffentlichkeit gleichermaßen zugänglich gemacht. (Bild:FAU/Georg Pöhlein)

Digitalisierung von sechs FAU-Sammlungen

Was bedeutet das digitale Zeitalter für wissenschaftliche Sammlungen? Dieser Frage gingen FAU und Germanisches Nationalmuseum im gemeinsamen Forschungs- und Digitalisierungsprojekt „Objekte im Netz“ nach.

Antike Münzen, mittelalterliche Musikinstrumente, präparierte Körperteile, zoologische Modelle oder wertvolle Zeichnungen – so mancher Schatz schlummert in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen in aller Welt. Weit hinten im Depot, tief unten im Keller, ganz oben auf dem Dachboden. Denn nur ein Bruchteil der Objekte kann dauerhaft ausgestellt und für Wissenschaft und Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. „Die Digitalisierung eröffnet uns hier völlig neue Möglichkeiten, wir müssen sie nur produktiv und erfolgreich nutzen“, sagt Udo Andraschke, Leiter der zentralen Kustodie an der FAU. Er weiß, wovon er spricht, denn die Universität und das Germanische Nationalmuseum (GNM) haben gerade das mit 553.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Objekte im Netz“ abgeschlossen und ein eigenes zentrales Portal entwickelt, in dem die Sammlungen der FAU miteinander vernetzt und bestandsübergreifend recherchierbar sind.

Porträt von Udo Andraschke
Udo Andraschke leitet die Stabsstelle Sammlungen und Museen an der FAU. (Bild:FAU/Udo Andraschke)

Digitale Transferzone

Drei Jahre lang arbeiteten die beiden Institutionen in dem Projekt zusammen und wählten dafür sechs Sammlungen der FAU aus: die Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek, die Medizinische Sammlung, die Paläontologische Sammlung, die Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung, die Schulgeschichtliche Sammlung sowie die Musikinstrumentensammlung. Letztere ging 2010 mit der Zusammenlegung der musikwissenschaftlichen Seminare an die Universität Würzburg über. „Diese Sammlungen sind unterschiedlich gut erschlossen und unterscheiden sich stark in Bezug auf Materialität, Funktion und Herkunft ihrer Objekte“, erklärt Andraschke. Der Vorteil liegt auf der Hand: Gelingt es den Forschenden, diese sehr unterschiedlichen Bestände systematisch zu erfassen, digital zugänglich zu machen und miteinander zu vernetzen – sind die Ergebnisse auch auf andere universitäre Sammlungen übertragbar. Und von diesen „Kabinetten des Wissens“ gibt es in Deutschland rund 1.100, verteilt auf über 80 Universitäten. Allein die FAU besitzt rund 25 Sammlungen mit zahlreichen Objekten aus den unterschiedlichsten Disziplinen und rief schon im Jahr 2011 als eine der ersten Universitäten in Deutschland eine zentrale Kustodie ins Leben. Seitdem kümmert sich Udo Andraschke um die Sammlungsbestände.

„Sammlungen haben schon immer ein großes kreatives Potenzial. Sie waren von jeher Orte der Begegnung, der Bewegung, des Austauschs – also Transferzonen“, erklärt Andraschke. „Doch erst durch virtuelle Sammlungsräume können Forschende – und auch eine globale Öffentlichkeit – Tag und Nacht darin flanieren, nach Objekten recherchieren oder einfach nur stöbern und entdecken.“ Erst durch digitale Transferzonen und virtuelle Forschungsumgebungen wird also die Sicht- und Verfügbarkeit der Objekte in wissenschaftlichen Sammlungen erhöht. Und auch die Möglichkeiten der Interaktion sind im virtuellen Raum häufig deutlich vielfältiger als im analogen – ganz im Sinne des Wissenschaftsrats (vgl. Kasten). „Im digitalen Sammlungsraum können wir ganz anders mit Objekten umgehen, sie miteinander in Beziehung setzen – oder wir werden sogar auf solche Beziehungen hingewiesen“, so Andraschke. „Für wissenschaftliche Sammlungen ist das eine völlig neue Chance, mit den oft alten Beständen aktuelle Forschung zu betreiben.“ Deshalb ist es dem Kustos besonders wichtig, dass die Digitalisierung der Sammlungen auch nach „Objekte im Netz“ noch weitergeht.

Freude am Entdecken

Exponate
Mit der Software WissKI werden die Exponate aus bisher sechs FAU-Sammlungen nicht nur inventarisiert, sondern auch zueinander in Beziehung gesetzt. Dadurch lässt sich mit alten Beständen aktuelle Forschung betreiben. (Bild:FAU/Udo Andraschke)

Doch wie kommen die analogen Objekte ins Netz? Technische Grundlage des Forschung- und Digitalisierungsprojekts ist die virtuelle Dokumentationsumgebung WissKI. Das Kürzel steht für Wissenschaftliche KommunikationsInfrastruktur und ist eine speziell für die Erschließung, Erforschung und Publikation kulturellen Erbes konzipierte Software. Sie entstand in zwei DFG-Forschungsprojekten, an denen sowohl die FAU als auch das GNM maßgeblich beteiligt waren. „Wir setzen die browserbasierte WissKI-Software seit vielen Jahren erfolgreich für die digitale Dokumentation im musealen Bereich ein“, sagt Mark Fichtner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am GNM, und verantwortlich für den technischen Part im gemeinsamen Forschungsprojekt. Der Informatiker entwickelte zusammen mit zwei Kolleginnen und mehreren Hilfskräften – ausgehend von den Sammlungsbeständen der FAU und den alltäglichen Arbeitsabläufen – die Software WissKI zum virtuellen Sammlungsraum weiter.

Datenmodell
Das Datenmodell, mit dem die Objekte und Informationen über diese in den Kontext von Ereignissen eingebettet, zeitlich und räumlich verortet und mit beteiligten Akteuren verbunden werden. (Bild:Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg)

Dafür suchte das Forschungsteam um Fichtner und Andraschke zunächst den intensiven Dialog mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Museum, den Sammlungen und dem Masterstudiengang Digital Humanities. Im nächsten Schritt entwarf das Team ein Datenmodell, mit dem die Bestände erschlossen, erforscht, vernetzt und publiziert werden können. Das Modell besteht aus rund 90 so genannten Klassen – das sind Beschreibungseinheiten wie „physisches Objekt“ oder „Person“, und 150 Eigenschaften, mit denen die Objekte einheitlich beschrieben werden können. Darüber hinaus werden die Informationen in den Kontext von Ereignissen – wie Fund, Herstellung, Erfindung, Erwerb oder Restaurierung – eingebettet, zeitlich und räumlich verortet und mit beteiligten Akteuren verbunden. „Dieses Konzept geht weit über eine reine Inventarisierung mit digitalen Mitteln hinaus“, betont Fichtner. „Es entstehen vielfältige Schnittstellen – und je mehr Objekte im Sammlungsraum erfasst sind, desto größer wird das Beziehungsgeflecht innerhalb und zwischen den Sammlungen. Komplexe Rechercheabfragen und vielfältige Suchpfade sind möglich.“ Und Dank etlicher interaktiver Elemente können die Nutzerinnen und Nutzer von virtuellen Sammlungen die digitalisierten Objekte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, drehen, heranzoomen und miteinander vergleichen. Ein ganz anderer Zugang und Zugriff auf Objekte also, der durch das Toolkit der digitalen Technik und des World Wide Web möglich ist.

„Wir unterstützen die Freude am Forschen und Entdecken“, ist sich Udo Andraschke sicher. Und sie ist für den Zentralkustos der FAU ein ganz wesentliches Element wissenschaftlicher Sammlungen. „Indem wir digital stöbern, flanieren und entdecken finden wir oft etwas, wonach wir gar nicht gesucht haben. Und dann stellen wir neue Fragen, erweitern den Forschungshorizont und gelangen zu neuen Erkenntnissen.“ Ganz egal ob es um antike Münzen, zoologische Modelle oder wertvolle Zeichnungen geht.

Mehr Infos:

objekte-im-netz.fau.de/projekt


alexander – Aktuelles aus der FAU

Cover des FAU-Magazins alexander

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In der aktuellen Ausgabe geht es um das Digitalisierungsprojekt „Objekte im Netz“, Fledermäuse mit Rucksäcken und die Herausforderungen für die Demokratie durch Bio- und Digitaltechnologie. Außerdem haben wir mit dem FAU-Theologen Prof. Dr. Peter Dabrock über seine Zeit als Vorsitzender des deutschen Ethikrates gesprochen. „Student des Jahres“ Sagithjan Surendra erzählt im Interview von seinem Jugend-Förderwerk und Dr. Axel Adrian vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie erklärt, wie Künstliche Intelligenz im Rechtswesen eingesetzt wird.

FAU-Magazin alexander Nr. 113

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