Die Leiterin der Tafelhalle Nürnberg, FAU-Alumna Friederike Engel, im Interview

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Foto: Ulrich Hanzig

Interview mit FAU-Alumna Friederike Engel - seit 2020 Leiterin der Tafelhalle Nürnberg

Frau Engel, Sie sind seit April 2020 die neue Leiterin der Tafelhalle Nürnberg. Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft der Tafelhalle aus?

Die Tafelhalle ist seit vielen Jahren ein in das kulturelle Leben der Stadt Nürnberg und der Metropolregion fest verwobenes, erfolgreiches Veranstaltungs- und Produktionshaus. Da kann ich auf sehr vieles aufbauen! Es gibt zahlreiche fruchtbare Kooperationen, die noch lange nicht „auserzählt“ sind, wie beispielsweise mit dem ensemble KONTRASTE und anderen Akteuren und Akteurinnen der freien Szene, die ich weiterführen werde. Zudem ein großartiges Team, das größtenteils schon lange in der Tafelhalle arbeitet und unglaublich viel Erfahrung mitbringt und nicht zuletzt eine für Musik, Tanz und Theater bestens geeignete Bühne, die sowieso erst einmal viel Fantasie freisetzt.

Ich habe meine Stelle am 1.4.2020 angetreten, das heißt, die Saison 20/21 war fast vollständig geplant. Da ich bisher hauptsächlich im Stadttheater-System gearbeitet habe, fühlt sich dieser Einstieg etwas merkwürdig an. Aber ich werde diese erste Spielzeit sehr intensiv nutzen, um mich mit zukunftsrelevanten Themen auseinanderzusetzen. Für mich sind das Entschleunigung, Nachhaltigkeit, Kooperation und Austausch. Wie kommt man aus den alles einförmig werden lassenden Produktionsprozessen heraus? Wo beginnt eine künstlerische Arbeit und wie kann man das für das Publikum erfahrbar, sichtbar machen – also vom „Produkt“ wegkommen? Wie Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner sowie Künstlerinnen und Künstler zu neuen Arbeitsweisen ermutigen? Wie das Publikum dazu motivieren, nicht immer nur zu wollen, was es schon kennt? Wie können wir für Kunstschaffende verlässlicher Partner sein und trotzdem Luft für Neues schaffen? Wie die Tafelhalle national und international noch besser vernetzen? All diese Fragen stellen wir uns gerade gemeinsam im Team und mit den kooperierenden Künstlerinnen und Künstlern. Dass es weiter Musik, Tanz und Theater geben wird, steht für mich fest. Ebenso ein ausgewogenes Verhältnis aus Eigenproduktionen und Gastspielen. Relevante Themen gibt es zuhauf – da stelle ich ungern Listen auf. Wohin uns neue Arbeitsweisen führen werden, wird sich zeigen. Das ist eindeutig ein längerfristiger Prozess.

Sie haben von 2003 bis 2010 Theater- und Medienwissenschaften und französische Literaturwissenschaft an der FAU studiert. Warum haben Sie sich damals für die FAU entschieden?

Keine andere Uni hatte so etwas wie ein Experimentiertheater im Portfolio. Ich wollte Praxis. Da hat mich das gelockt. Durch mein bereits während der Schulzeit angefachtes kulturelles Interesse hatte ich außerdem das Gefühl, meine Kontakte und Netzwerke besser nutzen zu können, wenn ich erstmal in der Region bleibe.

In wieweit hat Ihnen das Studium an der FAU bei Ihrem Karriereweg geholfen?

Ich denke, vor allem die Möglichkeit Theorie und Praxis immer intensiv in Beziehung zueinander zu setzen – wir haben ja wirklich viel gemacht bei Arena oder im Ex – war die beste Vorbereitung auf das Danach. Auch Kooperationsangebote wie beispielsweise gemeinsam mit dem Theater Erlangen eine Late Night Reihe (Das Nachtfoyer) zu konzipieren, waren sehr hilfreich und eine gute Gelegenheit, vorab schon einmal Erfahrungen zu sammeln. Erlangen profitiert hier wirklich von seiner kleinen Größe und der guten Vernetzung zwischen Uni und Stadt.

Wie sah Ihr Start ins Berufsleben nach Ihrem Studium an der FAU aus?

Gegen Ende meines Studiums habe ich mit der akademischen Laufbahn geliebäugelt. Das hat mich fast ein bisschen überrascht, weil eigentlich anfangs immer klar war: Theater. Dann haben aber das Hauptstudium und die Magisterarbeit eine merkwürdige Sogwirkung erzeugt. Woraufhin ich als Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Romanistik angefangen und über ein Dissertationsprojekt nachgedacht, dann aber doch ziemlich schnell gefühlt habe, dass es ohne Theater nicht geht. Und dann bin ich in der Dramaturgie am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg gelandet – in einer seiner politisch wildesten Zeiten. Das war ein Wahnsinns-Start.

Wie verändert die Corona-Pandemie ihrer Meinung nach den Kultursektor?

Ich bin mir leider ziemlich sicher, dass die Corona-Krise im Kultursektor nachhaltige Schäden hinterlassen wird. Viele kleine, individuelle Produktionsstätten, Kompagnien, Soloselbstständige werden es wahrscheinlich nicht überstehen. Vielseitigkeit wird verloren gehen und – so meine Befürchtung – die Rationalisierung und Ökonomisierung des Kulturbetriebs werden weiter voranschreiten. Das wird wiederum zur Folge haben, dass es ungewöhnliche, leise, nicht einfach konsumierbare, unangepasste künstlerische Arbeitsweisen und Produktionen noch schwerer haben werden als ohnehin schon. Dem muss man entgegenwirken, wo immer man kann! Eine Hoffnung, die ich in Bezug auf Corona hege, könnte dabei vielleicht wiederum behilflich sein: Ein neues Verhältnis zur Zeit.  Ich denke, die Krise hat uns ermöglicht, Zeitlichkeit wieder anders zu empfinden. „Viel“ und „ständig“ war krisenbedingt über einen längeren Zeitraum nicht möglich. Ich hoffe, dass das nachhaltigen Einfluss auf uns hat – und mit dem Mechanismus des unmittelbaren Konsumierens, der ja auch den Kulturbetrieb stark bestimmt, bricht. Auch das „Lauter“ und „Mehr“ hat einen gewissen Dämpfer erfahren – vielleicht schenken wir unsere Aufmerksamkeit in Zukunft auch wieder den unaufdringlicheren Dingen?

Frauen in Leitungspositionen sind in Kulturbetrieben nach wie vor eher selten anzutreffen. Was sagen Sie dazu? Und was müsste getan werden, um das zu ändern?

Ich finde es schade, dass das so ist. Aber ich frage mich, ob es wirklich sinnvoll ist, immer bei den nicht vorhandenen Frauen anzusetzen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man die an Bord holt, um dann doch wieder nur bei einer Quote zu landen. Lasst uns doch mal über den elendigen Begriff „Leitungsposition“ sprechen. Oder gar überhaupt „Karriere“? Was bedeuten denn Führung, Macht und Erfolg heute in unserer Gesellschaft? Welche menschlichen Voraussetzungen braucht man denn dafür? Muss man das wollen? Das Problem ist doch, dass trotz allen Flache-Hierarchien-Gefasels ganz oft insgeheim noch eine Sehnsucht nach autoritären Herumbrüllern, nach den zielorientierten Machern, die nicht rechts und links schauen und bloß um Himmelswillen nicht persönlich werden, besteht. Wenn wir es als Gesellschaft schaffen, an unserem Menschenbild zu arbeiten, mehr auf Kooperation denn auf Konkurrenz zu bauen, dann wird sicher die Geschlechterfrage bald nicht mehr im Fokus stehen.

Die Tafelhalle Nürnberg ist ein Mehrsparten-Haus und zudem Teil des Nürnberger KunstKulturQuartiers. Welche Herausforderungen bringt die Leitung eines Mehrsparten-Hauses mit sich?

Allen Sparten gerecht zu werden ist schon eine Herausforderung, da sie alle unterschiedliche Planungsvorläufe, Produktionsbedingungen, inhaltliche und technische Expertise erfordern. Daraus resultieren die verschiedensten Veranstaltungstypen. Im Falle der Tafelhalle ist dann noch die besondere Herausforderung, dass die Sparten ja bestenfalls nicht einfach nur koexistieren sollen, sondern wir sie zusammendenken wollen. Das setzt auch bei den Kunstschaffenden die große Bereitschaft voraus, andere Arbeitsweisen auszuprobieren und sich darauf wirklich einlassen zu wollen. Ich glaube, das Schwierigste ist, immer offen zu sein für neue Begegnungen zwischen den Sparten, dabei aber nicht beliebig zu werden, nur um sich das Label „spartenübergreifend“ aufkleben zu können. Eine wirkliche gegenseitige Durchdringung zu erreichen, ist eine echte Herausforderung. Auch beim Publikum. Denn da bringt Mehrspartiges meist auch eine Aufspaltung mit sich. Manche Gäste kommen beispielsweise nur zu Konzerten und interessieren sich erstmal nicht für Tanztheater. Mein Ziel ist auf jeden Fall eine größere Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Sparten auf allen Ebenen zu ermöglichen.

Was ist für Sie das Faszinierende an Theater?

Dass es davon befreit ist, die Wirklichkeit zu sein! Dass es andere Perspektiven einnehmen, Behauptungen aufstellen, Dinge in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen kann und somit die Chance hat, ein dialektisches, widersprüchliches Verhältnis zur Realität einzugehen. Dass es gleichermaßen Sinne und Verstand betören kann, dass es live und flüchtig ist, auf Kooperation basiert und sich damit per se einer vollständigen kapitalistischen Verwertungslogik entzieht.

Im Kultursektor zu arbeiten und längerfristig Fuß zu fassen ist für viele ein Traumjob. Haben Sie einen Rat oder einen Tipp für Studierende, die diesen Traum verfolgen? 

Es gibt dafür schlicht und einfach kein Rezept. Und vielleicht sollten wir endlich einmal aufhören so zu tun, als ob es das gäbe. Das ständige Lebenslauf-Gepimpe, Zusatzqualifikations-Erhasche, schrecklich! Das Wichtigste ist das eigene fundamentale Interesse, ein Brennen für die Sache. Ohne das geht es nicht. Ist das vorhanden, sollte man sich idealerweise genau fragen: Woher kommt dieser Traum in einem? Und wie stabil ist er? Sozusagen ein Realitätscheck vollziehen. Denn der Kulturbetrieb ist ja erstmal recht prekär. Damit muss man leben können – auch wenn ich nicht hoffe, dass das bis in alle Ewigkeit so bleibt.  Wer nach dieser selbstkritischen Befragung mit seinem Wunsch im Reinen ist, hat gute Chancen. Nicht dass das jetzt bei mir genauso gelaufen wäre, aber aus heutiger Perspektive würde ich das sagen: Bleibt bei euch!

Sie haben während ihrer Studienzeit das Kunst- und Performancefestival „ARENA…der jungen Künste“ an der FAU geleitet. Haben Sie noch Kontakt zu Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dieser Zeit?

Ja, manche von ihnen, aber auch von den Unimaxen, sind noch heute meine engsten Freunde. Und auch beruflich ist es immer wieder schön zu sehen, wo sich die sogenannten Alt-Arenas so herumtreiben.

 

Vielen Dank für das Interview, Frau Engel.