Impulse, jenseits tagespolitischer Debatten
Dr. Eva Odzuck stellt herausragende Forschung zur Hobbeschen Philosophie vor.
Dr. Eva Odzuck macht Quellen aus der politischen Ideengeschichte für aktuelle Debatten fruchtbar. Die politische Philosophin sucht damit nach Antworten auf drängende politische Fragen sowie auf Herausforderungen für liberale Demokratien.
Wer entscheidet in einem liberalen Staat über Leben und Tod? Vor welche Herausforderungen stellen Bio- und Digitaltechnologie liberale Demokratien? Es sind jene zugleich aktuellen und doch auch ganz grundsätzlichen Fragen, die Dr. Eva Odzuck im wissenschaftlichen Alltag beschäftigen. „Die liberale Demokratie ist eines der anspruchsvollsten Staatswesen, das man sich vorstellen kann“, sagt sie. Am Lehrstuhl für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte der FAU forscht sie systematisch zu politischen Grundbegriffen und Grundprinzipien liberaler Demokratien. Sie betont: „Die liberale Demokratie setzt voraus, dass man bereit ist, sich auch über grundlegende politische Fragen zu informieren und über diese nachzudenken.“
Begriffliche Expertise
Genau das sieht Dr. Eva Odzuck als ihren wissenschaftlichen Auftrag an: „Unser Fachbereich beschäftigt sich mit politischen Grundbegriffen, Argumenten und Problemen, die seit über 2.000 Jahren Gegenstand des Politischen Denkens sind.“ In ihrer Arbeit macht die Wissenschaftlerin daher auch Quellen aus der politischen Ideengeschichte für aktuelle Debatten fruchtbar, um das Verständnis und die reflektierte Weiterentwicklung liberaler Demokratien zu ermöglichen. Insbesondere der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes, den sie als wichtigen Wegbereiter des Liberalismus betrachtet, steht dabei im Fokus ihres Interesses.
Die Freiheit des Einzelnen
In ihrer Dissertation liefert Dr. Eva Odzuck eine überzeugende körpertheoretische Neuinterpretation der Hobbesschen Philosophie und wendet ihre Forschungsergebnisse auf aktuelle Fragestellungen an, etwa auf die Frage nach der Freiheit des Einzelnen.
„Auch wenn Thomas Hobbes noch kein Widerstandsrecht kennt, arbeitet er mit der Figur eines vorstaatlichen, körperbasierten Rechts, und spricht jedem Individuum das Recht auf Selbsterhaltung zu“, erklärt die international anerkannte Hobbes-Expertin. „Seine Theorie muss daher die Frage beantworten: Wer entscheidet eigentlich, was Leben ist und wann demzufolge Lebensgefahr besteht: Der Staat? Jedes Individuum selbst? Experten?“ Unter veränderten Vorzeichen trete dieses Grundproblem liberaler Theorien auch heute im Kontext der Intensivmedizin und der rechtlichen Regelung der Sterbehilfe auf. Für Dr. Eva Odzuck ist damit die Frage verbunden, wie man die Schutzpflicht des Staates in Einklang bringen kann mit dem Freiheitsrecht des Einzelnen, selbst zu bestimmen, bis wann ein Leben als lebenswert zählt.
Auch der Begriff der „Gleichheit“ werde von Thomas Hobbes wesentlich vom Körper her verstanden. Die Wissenschaftlerin weiter: „Für ihn gleichen sich alle Menschen darin, tötbar zu sein.“ Darüber hinaus war es der politischen Philosophin wichtig, durch den Körperfokus den Blick auf die rhetorische Dimension von Thomas Hobbes’ politischer Philosophie zu lenken: „Er konzipierte Menschen als leidenschaftsgetriebene Körper, deren Bewegungen über Leidenschaftsappelle steuerbar sind. Thomas Hobbes entwickelte damit eine adressatenbezogene politische Rhetorik, in der er die unterschiedlichen Leidenschaften der einzelnen Zielgruppen mit individuellen Botschaften adressierte.“ Die Idee dahinter: „Menschen mit verschiedenen Leidenschaften können so zur Zustimmung bewegt werden und die gleiche Lektion lernen: Der souveräne Staat tut not.“
In einer neuen Veröffentlichung zeigt Dr. Eva Odzuck ähnliche Strategien beim digitalen politischen Micro-Targeting, also adressatenspezifischen Formen digitaler Wahlwerbung, durch die sich Parteien eine erhöhte Wirksamkeit versprechen. „Individuell zugeschnittene Anzeigen, die nur für den einzelnen Nutzer sichtbar sind oder nur an ausgewählte Gruppen versendet werden, können aber zu einer weiteren Fragmentierung der demokratischen Öffentlichkeit beitragen und fatale Folgen für die Demokratie haben: Durch fehlende Öffentlichkeit und Transparenz wird Vergleich, Kritik und Diskussion erschwert“, hebt sie hervor.
Eine herausragende Forscherin
Für ihre innovative politiktheoretische Forschung zum Werk des englischen Staatsphilosophen ist Dr. Eva Odzuck erst im Januar mit dem Preis für herausragende Forschung von Frauen in den Geistes- und Sozialwissenschaften von der Philosophischen Fakultät und vom Fachbereich Theologie der FAU ausgezeichnet worden. Derzeit arbeitet sie an ihrer Habilitation. In dieser entwirft sie einen modernen Freiheitsbegriff, der orientierende Funktion für die gesellschaftliche Debatte und Gesetzgebung im Bereich der Eingriffe in die menschliche Keimbahn übernehmen kann. „Mit der Möglichkeit, durch biotechnologische Verfahren gentechnisch veränderte Menschen zu erzeugen, sind natürlich viele therapeutische Hoffnungen verbunden. Aber auch alte Ideen von Designerbabys werden dadurch befeuert“, gibt Dr. Eva Odzuck zu bedenken. „Es stellt sich die Frage, wie man Grenzen zum Schutz des zukünftigen Menschen ziehen kann.“
Die Verantwortung der politischen Philosophie
Ein weiteres ihrer aktuellen Forschungsfelder betrifft die Digitaltechnologie. Hier ist Dr. Eva Odzuck an der FAU Emerging Fields Initiative (EFI) „Digitale Souveränität“ beteiligt und bringt in diese ihre demokratietheoretische und begriffsanalytische Kompetenz als politische Philosophin ein. Nur eine ihrer Fragestellungen: Wie kann der digitale Wandel politisch verantwortlich gestaltet werden, damit er die Funktionsbedingungen der Demokratie fördert?
Es sind jene Fragen, die oft sehr einfach klingen, aber grundsätzliches Nachdenken erfordern, die Dr. Eva Odzuck im wissenschaftlichen Alltag beschäftigen. Für die Wissenschaftlerin eine wichtige Aufgabe: „In der politischen Philosophie haben wir die große Verantwortung, zu aktuellen Problemen Stellung zu nehmen und mit ideenhistorischer und begrifflich-systematischer Expertise immer wieder neue Impulse zu geben, die über die tagespolitischen Debatten hinausgehen.“
alexander – Aktuelles aus der FAU
In der aktuellen Ausgabe geht es um das Digitalisierungsprojekt „Objekte im Netz“, Fledermäuse mit Rucksäcken und die Herausforderungen für die Demokratie durch Bio- und Digitaltechnologie. Außerdem haben wir mit dem FAU-Theologen Prof. Dr. Peter Dabrock über seine Zeit als Vorsitzender des deutschen Ethikrates gesprochen. „Student des Jahres“ Sagithjan Surendra erzählt im Interview von seinem Jugend-Förderwerk und Dr. Axel Adrian vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie erklärt, wie Künstliche Intelligenz im Rechtswesen eingesetzt wird.
Einzelne Exemplare liegen an der FAU aus. Gerne können Sie sich das Magazin auch kostenlos nach Hause oder an den Arbeitsplatz schicken lassen. Bitte füllen Sie dafür unser Abo-Formular aus.
Ausgewählte Beiträge können Sie auch online lesen in unserem Blog „FAU aktuell