Für die Gesellschaft wirken

Prof. Dabrock bei einer Konferenz des Ethikrates
Prof. Dr. Peter Dabrock im Ethikrat. (Bild: Dt. Ethikrat/R. Zensen)

Prof. Dr. Peter Dabrock gibt einen Einblick in die Arbeit des deutschen Ethikrates.

Der FAU-Theologe Prof. Dr. Peter Dabrock war die letzten acht Jahre Mitglied des deutschen Ethikrates, davon vier Jahre als Vorsitzender. Beim diesjährigen Dies academicus, der unter dem Leitthema „KI in der Medizin: Die FAU als Innovationstreiber“ steht, hält Prof. Dabrock einen Impulsvortrag. In einem Interview gewährt er Einblick in die Arbeit des Ethikrates, spricht über dessen Bedeutung und erzählt von der größten Herausforderung als Vorsitzender.

Prof. Dabrock, welche Rolle spielt der Ethikrat für Politik, Wissenschaft und im Alltag?

Da der Ethikrat von Gesetzes wegen unabhängig ist, hatte ich in meiner Amtszeit nicht den Drang, bei all dem was wir taten, sofort einen anwendbaren Output schaffen oder eine unmittelbare Wirkung erzeugen zu müssen. Das ist, wenn man schaut, wie Politikberatung läuft, ein zu viel kurz gegriffenes Verständnis, dass Politik durch die Stellungnahmen des Ethikrates sofort ihre Richtung ändert oder direkt ein neues Gesetz auf Grundlage dieser macht. Vielmehr wirkt das auf unterschiedliche Art und Weise. Häufig hat man es gar nicht in der Hand, wie die Stellungnahmen wirken.

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

In der Geschichte des Rates wirkten manche unmittelbarer als andere, zum Beispiel zur Beschneidungsdebatte oder auch jetzt in der Corona-Pandemie zu den Öffnungsperspektiven und der Triage. Diese Stellungnahmen haben in den Medien dann als Referenz in der öffentlichen Debatte gedient. Es gibt aber auch Stellungnahmen zu Gesetzesinitiativen, die sich direkt an die handelnde Politik wenden oder solche, die mittelfristig Perspektiven auf eine Änderung unseres Verhaltens öffnen, so vermutlich die bald erscheinende Stellungnahme zum Tierwohl. Und mache sind auf langfristig wichtige Bereiche gerichtet, wie beispielsweise die Stellungnahme zur Keimbahnintervention. Diese Freiheit, in unterschiedlichen Themenfeldern zu wirken, und diese vollends zu durchdenken, ist das Großartige an dieser Institution. Das gibt es in dieser Form ansonsten im politischen Bereich in Berlin, ja weltweit so nicht.

Wie kommt der Rat zu einem Ergebnis?

Das Besondere an der Institution Ethikrat ist eben, dass strittige Themen durch die Zusammensetzung des Rates und seine Arbeitsweise aus vielen Perspektiven, von allen Seiten betrachtet und diskutiert werden. Dabei ist das Endergebnis nicht zwangsläufig ein Konsens, sondern vielmehr oft ein Korridor, der trotz unterschiedlicher Vorstellungen von fast oder sogar allen Ethikratsmitglieder geteilt werden kann. Innerhalb dieses Korridores gibt es aber verschiedene Optionen und Standpunkte. Statt Harmoniesauce oder Freude am Dissens wird das Festhalten tragfähiger Schnittmengen der Pluralität einer am Ende doch auf sozialen Zusammenhalt achtenden Gesellschaft gerecht. Um dahin zu kommen, muss man sehr intensiv arbeiten.

An Schnittstelle zwischen Politik, Öffentlichkeit und Wirtschaft: Gespräch des Vorstandes mit Bundespräsident Steinmeier anlässlich des 10jährigen Jubiläums des Ethikrates 2018.(Bild: Dt. Ethikrat/R. Zensenr)

Wie dürfen wir uns die Arbeit des Ethikrats vorstellen?

Die ist intensiv: Es wird auch immer an zwei Stellungnahmen zugleich gearbeitet. Die Ratsmitglieder teilen sich auf die jeweiligen Arbeitsgruppen auf und treffen sich einmal im Monat. Die jeweiligen Zwischenergebnisse der beiden Gruppen diskutiert das gesamte Plenum dann bei einem ebenfalls allmonatlich stattfindenden Treffen. Letztlich braucht es so für eine Stellungnahme im Normalfall etwa ein Jahr. Eine Geschäftsstelle unterstützt zudem die Arbeit des Rates. Es werden auch viermal jährlich öffentliche Veranstaltungen und einmal im Jahr ein parlamentarischer Abend mit den Mitgliedern des Parlaments durchgeführt. Als Vorsitzender gilt es neben der Leitung der Geschäftsstelle sowohl den Kontakt mit den Medien als auch mit den Ministerien, den anderen wissenschaftlichen Beraterinstitutionen sowie den internationalen Gegenstücken des deutschen Ethikrats zu pflegen. An Arbeit fehlt es also nicht.

Sie haben Mitte April ihr Amt niedergelegt und sind nun auch kein Ratsmitglied mehr. Wird ihnen die Arbeit fehlen?

Wenn nicht, dann hätte ich etwas falsch gemacht. Für mich, der Ethik nicht nur als theoretische Disziplin begreift, sondern auch als aktive Gestaltung der Gesellschaft, war es das schönste Amt, das ich mir überhaupt hätte vorstellen können. Auf der Schnittstelle zwischen Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft zu wirken, das empfand ich immer als einzigartiges Verantwortungsprivileg.

Die letzten Tage müssen eine besondere Herausforderung für Sie gewesen sein?

Mit der Corona-Krise rollt die größte gesundheitliche Bedrohung auf die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen zu. Ich dachte mir, dass der Ethikrat hierzu konkret und einstimmig etwas sagen muss, gerade weil dies ja einer der Bereiche ist, wo der Ethikrat angesiedelt ist. Außerdem wurden wir dann von Bundesgesundheitsminister Spahn auch um Positionen zur Triage und den Öffnungsperspektiven gebeten. Bei der Bearbeitung dieser Themen mit dramatischen Konsequenzen konnten wir nicht auf die üblichen Verfahrensweisen zurückgreifen. Es war also eine außergewöhnliche Herausforderung, bei 26 Ratsmitgliedern innerhalb von vier Tagen zu einer gemeinsamen Position zu gelangen. Wir mussten ja die persönlichen Arbeitsgruppentreffen durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzen. Es waren unglaublich intensive Diskussionen in diesen Tagen, aber am Ende haben wir die Stellungnahme einstimmig verabschiedet.

Womit werden Sie sich zukünftig beschäftigen?

Schon vor und während der Ethikratszeit war ja die Ethik der technischen und (bio-)wissenschaftlichen Durchdringung menschlicher Lebensformen mein Forschungsschwerpunkt. Weil sich da immer wahnsinnig viel Neues tut, werde ich mich in diesem wissenschaftlichen Feld auch zukünftig bewegen, allerdings ohne den institutionellen Hintergrund des Rates. Ich freue mich darauf, jetzt noch stärker auf das Thema KI, das ja auch für die FAU wichtig ist, und insbesondere KI im Gesundheitsbereich zu fokussieren. Auf diesem Feld gibt es für die Gesellschaft noch viel Diskussionsbedarf und Gestaltungsspielraum. Vor allem hier wird sich unsere Zukunft entscheidend gestalten.


alexander – Aktuelles aus der FAU

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In der aktuellen Ausgabe geht es um das Digitalisierungsprojekt „Objekte im Netz“, Fledermäuse mit Rucksäcken und die Herausforderungen für die Demokratie durch Bio- und Digitaltechnologie. Außerdem haben wir mit dem FAU-Theologen Prof. Dr. Peter Dabrock über seine Zeit als Vorsitzender des deutschen Ethikrates gesprochen. „Student des Jahres“ Sagithjan Surendra erzählt im Interview von seinem Jugend-Förderwerk und Dr. Axel Adrian vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie erklärt, wie Künstliche Intelligenz im Rechtswesen eingesetzt wird.

FAU-Magazin alexander Nr. 113

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