Die wichtige Rolle der Kulturgeographie – nicht nur in der Corona-Krise
Mehr als Stadt, Land, Fluss
Krisen wie die Corona-Pandemie betreffen nicht nur das Gesundheitssystem, sondern verändern die gesamte Gesellschaft. Solche Zusammenhänge untersucht Professor Dr. Fred Krüger, Professur für Geographie an der FAU, und zeigt, wie wichtig dabei ist, das Vertrauen der Bevölkerung zu haben.
Weshalb melden sich Kulturgeographen in der Corona-Pandemie zu Wort?
Als Kulturgeographen beobachten wir die gesellschaftlichen Prozesse, die ja auch von der Umwelt stark beeinflusst werden, während wir Menschen umgekehrt natürlich auch die Natur stark verändern. Dabei beschäftigen wir uns in meiner Gruppe intensiv mit der Forschung zu Risiken und Katastrophen. Mein Kollege Dr. Klaus Geiselhart behält dabei besonders Gesundheit und Wohlbefinden im Blick und untersucht damit genau den Bereich, der in der Corona-Krise und bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eine zentrale Rolle spielt.
Beschäftigen sich damit nicht bereits Mediziner und Soziologen?
Natürlich tun sie das. Als Kulturgeographen aber schauen wir uns oft Zusammenhänge an, die andere Disziplinen nicht so genau im Visier haben: Zum Beispiel verringern Lärm, fehlendes Grün oder düsteres Tageslicht in Straßenschluchten das Wohlbefinden, während Ruhe, Parkanlagen in unmittelbarer Umgebung und Sonnenlicht durchs Fenster sich positiv auswirken. Berücksichtigen Stadtplaner solche Zusammenhänge, tun sie gleichzeitig sehr viel für das geistige und damit auch das körperliche Wohlbefinden der Menschen, die dort leben. Ganz ähnlich wirken natürlich auch die zum Teil sehr einschneidenden Maßnahmen zum Eindämmen der Corona-Pandemie auf die Emotionen der Menschen.
Gibt es nicht wichtigere Maßstäbe als die Gefühle der Menschen?
Zunächst einmal müssen die Verantwortlichen natürlich Menschenleben retten. In der Corona-Krise lag das Augenmerk daher anfangs vor allem darauf, das Ausbreiten von Covid-19 zu bremsen. Nur so konnte man einen Kollaps des Gesundheitssystems verhindern, bei dem ähnlich wie in Nord-Italien, Großbritannien oder in den USA sehr viel mehr Menschen gestorben wären. Gelungen ist dieses Eindämmen der Infektionen vor allem durch eine sehr starke Verringerung direkter Kontakte zwischen Menschen, die nicht zusammen in einem Haushalt leben. Große und bald auch kleinere Veranstaltungen wurden untersagt, Schulen und Kitas, Restaurants und Geschäfte wurden geschlossen. Genau diese Maßnahmen aber zogen ganze Kaskaden weiterer gesellschaftlicher Veränderungen nach sich, die ihrerseits das Wohlbefinden der Menschen erheblich beeinflussen.
Können Sie ein Beispiel einer solchen Kaskade nennen?
Als die Kitas und Schulen schlossen, mussten viele Eltern zuhause bleiben, um den Nachwuchs zu betreuen. Einige konnten zwar im Homeoffice weiterarbeiten, allerdings weniger effektiv und mit häufigen Unterbrechungen, weil die Kinder natürlich auch Aufmerksamkeit erfordern. Dadurch sinken die Produktivität und das Wohlbefinden wird meist auch nicht besser. Ohne Veranstaltungen von Sport bis zu Konzerten und Theater verringert sich für viele Menschen ebenfalls die Lebensqualität, während gleichzeitig viele freiberuflich tätige Musiker und Schauspieler mit oft schwerwiegenden Folgen ihre Einkünfte verlieren. Diese Kaskaden und viele weitere Wirkungen auf die Gesellschaft analysieren wir und wollen so unseren Blick erweitern, der bisher vor allem auf die Gesundheit und die Wirtschaft gerichtet ist. Das ist besonders dann wichtig, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung gelockert werden.
Wie sollten eigentlich solche Maßnahmen aus Ihrer Sicht aussehen?
Sie müssen vor allem möglichst einfach gehalten werden, nur dort eingesetzt werden, wo es nötig ist und gleichzeitig müssen die Maßnahmen zuverlässig sein. Beim Tsunami-Warnsystem in Indonesien sollen sich die Menschen zum Beispiel schnell zum nächsten höher gelegenen Ort begeben. Das versteht jeder und es ist auch einfach zu befolgen. Kommt es allerdings mehrmals zu Fehlalarmen, nehmen viele Menschen einen echten Alarm nicht mehr ernst. Ähnlich funktioniert in der Corona-Krise die Regel, mindestens 1,50 Meter Abstand von anderen einzuhalten. Allerdings funktioniert das nur, wenn die Menschen den Entscheidungsträgern auch vertrauen. Und dieses Vertrauen müssen sich die Verantwortlichen immer wieder aufs Neue verdienen. Das geschieht zum Beispiel, wenn strittige Maßnahmen auch einmal korrigiert werden. So hat niemand so recht das Verbot eingesehen, allein auf einer Parkbank zu sitzen. Diese Verordnung wurde rasch wieder kassiert und stärkte so das Vertrauen in die Regierung. In autoritären Systemen sieht das oft anders aus.
Mehr dazu unter https://www.geographie.nat.fau.de/das-corona-virus-und-die-politische-oekologie-von-gesundheit/
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Fred Krüger
Tel.: 09131/85-22641
fred.krueger@fau.de