Warum das Corona-Virus ein Nährboden für Verschwörungstheorien ist

Porträt Carolin Lano
Carolin Lano vom Institut für Medien- und Theaterwissenschaft an der FAU. (Bild: Konrad Schmutzer)

FAU-Medienwissenschaftlerin Carolin Lano über Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten

Mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie haben sich Verschwörungstheorien fast genauso schnell ausgebreitet, wie das Virus selbst. Carolin Lano, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Medienwissenschaft der FAU spricht im Interview darüber, warum Corona ein guter Nährboden für Verschwörungstheorien ist und welche Rolle die Medien dabei spielen.

Frau Lano, warum gibt es so viele Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus?

Beim Coronavirus handelt es sich um eine unsichtbare Gefahr, deren mögliche Folgen uns überwiegend durch die Massenmedien vor Augen geführt werden. Dabei ließ sich beobachten, dass jede Berichterstattungsphase für sich genommen ihre eigenen Unschärfen produzierte, die Verschwörungstheorien wiederum als Steilvorlage dienten: In den ersten Märzwochen etwa dominierte eine Art Verkündigungsjournalismus, der kritische Distanz vermissen ließ. Es bestand scheinbar kaum noch ein Unterschied zwischen den Solidaritätsaufrufen großer Sendeanstalten und den opportunistisch angepassten Werbebotschaften großer Industriekonzerne. Statt wie sonst von ihm erwartet, berichtete der Journalismus nicht kritisch-distanziert, sondern verfiel in eine Haltung, welche die möglichen Folgen der eigenen Berichterstattung über den eigenen Berufsethos stellte. Ähnlich verfahren wird sonst bei Suiziden oder den Regelungen des Opferschutzes, wobei auch nicht alles aufgedeckt wird, was sich berichten ließe. Selbstverständlich entstand dadurch der Eindruck, dass man nicht die ‚ganze Wahrheit‘ erfährt.

War das der Zeitpunkt, an dem die Kritik an den Maßnahmen des Shutdowns und den Virologen lauter wurde?

Das könnte man so sagen. Ließ das journalistische Vorgehen in der ersten Phase die kritische Distanz vermissen, begann die Berichterstattung in der vorerst letzten Phase einen differenzierteren Blick auf die Folgen des Shutdowns zu werfen. Gleichzeitig wurden die einst zu unfehlbaren Medienorakeln auserkorenen Virologen und ihre Forschung teils unverhältnismäßig diffamiert, wie jüngst Christian Drosten durch die BILD-Zeitung. Allgemein lässt sich beobachten, dass die Corona-Krise als Medienereignis – das sie unzweifelhaft ist – aus Sicht der Verschwörungstheoretiker den Beweis für eine Verschwörung darstellt. Außerdem sehen diese die Pandemie als Bestätigung bereits vorhandener Erwartungen oder Ressentiments an – was Merkel-Gegner und Impfleugner gleichermaßen auf die Straße lockt. Das Ereignis ist dann nur eines von vielen in einer ganzen Serie, in der sich das Wirken der Verschwörung vermeintlich immer wieder von Neuem manifestiert. Vor allem aber werden wir gegenwärtig immer noch und auch von massenmedialer Seite mit einer massiven Komplexitätsreduktion konfrontiert, wie sie allgemein eigentlich eher der Verschwörungstheorie nachgesagt wird.

Inwiefern sind soziale Medien hierfür ein Verstärker?

Soziale Medien bieten Foren des niederschwelligen Austauschs und erleichtern das (Mit)Teilen von Informationen, die dabei oftmals aus dem Zusammenhang gerissen werden. Schließlich kann hier jeder senden und das unter Umständen sogar mit noch mehr Glaubwürdigkeit – zumal diese ohnehin im Auge des Betrachters liegt. Wenn noch dazu ein bereits vorhandenes Misstrauen gegenüber etablierten Massenmedien bedient wird, zeigen gezielt gestreute Falschinformationen ihre Wirkung; wie beispielsweise das Bild der angeblichen Särge von Bergamo, das tatsächlich aus Lampedusa von 2013 stammte. Auf Facebook wurde behauptet, diese Aufnahme sei fälschlicherweise von der ARD als Sinnbild für die verheerenden Coronafolgen in Italien missbraucht worden. Im Kern basiert diese Anschuldigung jedoch auf der Erfahrung, dass selbst angesehene Verlagshäuser und Sendeanstalten angesichts undurchsichtiger und sich rasant entwickelnden Nachrichtenlagen zuweilen Meldungen verbreiten, die sich hinterher als unzutreffend herausstellen. Dabei grenzt es schon sehr an Ironie, dass sich diese Tendenz durch den Zeitdruck der Onlineberichterstattung noch verstärkt. So hat sich mittlerweile eine eigenwillige Mediendynamik in Gang gesetzt: Je mehr Fehler der Presse unterlaufen, umso leichter das Spiel für Verschwörungstheoretiker. Wobei ich soziale Medien weniger als einen Nährboden als vielmehr als ein Triebmittel für Verschwörungstheorien begreifen würde: Die maßgeblichen Ursachen für ihren Erfolg liegen nicht nur in der Kommunikationsform, sondern in deren Wechselwirkung mit der Gesellschaft.

Gibt die Berichterstattung traditioneller Medien über Verschwörungstheorien diesen nicht noch mehr Reichweite?

Das Problem liegt auch hier wieder tiefer und ist nicht einfach aus der Welt zu schaffen: Berichte über Verschwörungstheorien bringen Quote, erhöhen die Klickzahlen und steigern die Auflage. Sie verfügen mitunter über ein unterhaltsames Faszinationspotenzial und dies wird von massenmedialer Seite gerne für die eigenen Zwecke ausgewertet. Das Verhältnis zwischen Massenmedien und Verschwörungstheorie ist daher stets ambivalent, denn auch Verschwörer leben von den Irritationen, die ihnen durch die Massenmedien – in Form der bereits erwähnten Unschärfen – als Rohstoff zur Verfügung gestellt werden. Eben diese Ko-Abhängigkeit zwischen den beiden kennzeichnet eine unheilvolle Mediendynamik der wechselseitigen Verstärkung.

Wie sollten Medien darüber berichten?

Selbstverständlich ist es wichtig, dass über Verschwörungstheorien berichtet wird, aber dies sollte möglichst differenziert erfolgen und dabei idealerweise auch die eigene Rolle kritisch hinterfragt werden. Dabei sollte man sich vergegenwärtigen, dass es sich beim Begriff der Verschwörungstheorie stets um eine abwertende Fremdzuschreibung handelt. Die Anhänger nur abzuwerten, bringt aber nichts – im Gegenteil. Die Verunglimpfung als „Verschwörungsspinner“ fungiert wohl eher nur als eine Beruhigungspille. Stattdessen sollte eine fundierte Recherche der wahren Auslöser erfolgen – wie gesagt: Die sozialen Medien mögen zwar Verstärker sein, aber die wahren Ursachen liegen wohl in der Gesellschaft.

Was kann jeder Einzelne gegen Verschwörungstheorien in sozialen Netzwerken tun?

Das wirksamste Mittel ist nach wie vor die Schulung der eigenen kritischen Urteilsfähigkeit. Um sich im Zweifelsfall zu informieren, empfiehlt sich ein Faktencheck, der zum Beispiel über das Angebot einschlägiger Seiten wie Correctiv.org erfolgen kann. Je mehr seriöse Quellen es für eine Nachricht gibt, umso verlässlicher ihr Inhalt. Auch die Bilderrückwärtssuche kann dabei helfen, die ursprüngliche Quelle zu recherchieren und zu entlarven, wenn etwas aus dem Zusammenhang gerissen wurde, wie im bereits genannten Fall der Särge von Bergamo.

Video: Das Medienereignis als Irritation

Im Rahmen der Ringvorlesung „Forschungsperspektiven der Theater- und Medienwissenschaft“ hat Carolin Lano zu „Das Medienereignis als Irritation – Corona-Verschwörungstheorien in der vernetzten Medienkultur“ einen Vortrag gehalten, der als Aufzeichnung auf dem Videoportal bereitsteht.

Weitere Informationen:

Carolin Lano
Institut für Theater- und Medienwissenschaft
carolin.lano@fau.de