Corona: Forschen und Kinder betreuen – geht das?
Frauen leiden unter den Einschränkungen der Corona-Krise stärker als Männer, da sie häufiger Kinder betreuen als Männer – darüber hat die Universitätsfrauenbeauftragte der FAU, Prof. Dr. Annette Keilhauer, in ihrem Beitrag geschrieben. Wir haben im Juni 2020 zwei Wissenschaftlerinnen gefragt, wie sie mit der Corona-Krise umgehen.
Sehr erschöpft – aber guten Mutes
PD Dr. Nadine Metzger arbeitet am Lehrstuhl für Geschichte der Medizin. Sie arbeitet seit der Corona-Krise im Homeoffice und betreut parallel zwei kleine Kinder.
Frau Dr. Metzger, wie geht es Ihnen mit all den zusätzlichen Anforderungen, die die Corona-Krise ausgelöst hat?
Ich bin sehr erschöpft. Aber ich bin guten Mutes – seit das Kleinkind wieder zur Tagesmutter gehen kann, hat sich die Lage signifikant verbessert. Auch, dass wenigstens hin und wieder das andere Kind in die Schule gehen darf. Und natürlich haben wir inzwischen auch unsere Online-Lehre am Laufen. Aber es ist natürlich immer noch so, dass ich nicht zu wissenschaftlicher Arbeit komme.
Wo haben Sie Ihre Prioritäten gesetzt? Und wo haben Sie die meisten Abstriche gemacht?
Die meisten Abstriche habe ich bei der wissenschaftlichen Arbeit gemacht, weil das etwas ist, das ich nur konzentriert machen kann. Den Fokus habe ich auf Kinderbetreuung, inklusive Beschulung unseres Erstklässlers, und auf Lehre gelegt. Es war wichtig, innerhalb von kurzer Zeit ein wirklich sinnvolles Online-Lehrangebot für die Studierenden zu konzipieren und umzusetzen – und das war sehr aufwändig.
Was hat Ihnen konkret geholfen, die zusätzlichen Anforderungen und Belastungen zu bewältigen?
Es war sehr fein, dass ich von meinem Chef und meinen Kolleginnen und Kollegen immer volles Verständnis hatte. Weil ich natürlich nicht so viel arbeiten konnte mit den Kindern zuhause. Wie soll man sich konzentrieren, wenn vor der geschlossenen Zimmertür ein Kleinkind nach der Mama brüllt? Ich habe in der heißen Phase zu kämpfen gehabt, am Tag überhaupt mehrere Stunden am Stück arbeiten zu können, während die Kolleginnen und Kollegen zwölf Stunden am Tag an der Online-Lehre gearbeitet haben. Allerdings habe ich den Vorteil, dass mein Mann nicht in Vollzeit berufstätig ist, sondern sich viel um die Kinder kümmert. Das hat mich vor dem Schlimmsten bewahrt.
Hat die Corona-Krise Einfluss auf Ihre Karriereaussichten?
Worüber ich schon nachdenke ist, wie sich die Karrierechancen verschmälern, wenn man monatelang nicht an der eigenen wissenschaftlichen Weiterqualifikation arbeiten kann. Ich habe zum Beispiel einen Forschungsantrag, den ich gern im März einreichen wollte, erst im Juni eingereicht. Das sind Verzögerungen, die sich in den Bewerbungen schlecht machen. Es ist noch völlig unklar, ob die aktuellen Umstände in die Bewertung wissenschaftlicher Leistung eingerechnet werden und wie das genau aussehen könnte. Prinzipiell ist man im akademischen Mittelbau ja großem Druck ausgesetzt: Man fragt sich angesichts des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, ob man in der Lage sein wird, dauerhaft diesen Beruf auszuüben – in einem gesicherten Arbeitsverhältnis. Dieser Druck vervielfacht sich natürlich, wenn man den Eindruck hat, dass man nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Gibt es aus Ihrer Sicht Ansatzmöglichkeiten der Uni, die Folgen der Corona-Krise für Wissenschaftler*innen mit Familie auszugleichen?
Das allerwichtigste wäre natürlich die automatische Vertragsverlängerung. Das ist besonders wichtig bei Leuten mit kürzeren Verträgen und auch bei Drittmittelverträgen. Für die Unis und ihre wissenschaftlichen Angestellten macht die Corona-Anpassung des WissZeitVG dazu ja jetzt den Weg frei.
Und in meiner speziellen Situation: Ich bin habilitiert, bei mir geht es jetzt darum, mich auf Professuren zu bewerben. Da ist es natürlich wichtig, dass geschaut wird: Hat sich die Person in der Corona-Krise um Kinder oder Angehörige kümmern müssen, oder nicht.
Die Soziologin Jutta Allmendinger hat vor ein paar Wochen gesagt, die Folgen von Corona würden uns in der Gleichstellung um drei Jahrzehnte zurückwerfen. Würden Sie das für die Gleichstellung im Wissenschaftsbetrieb auch so sehen?
Das glaube ich im Allgemeinen sofort. Für den Wissenschaftsbereich verläuft für mich allerdings die Grenze weniger zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Leuten mit und ohne Kindern. Da kommt eine Krise und plötzlich sind die Leute mit Kindern benachteiligt, weil es dann wieder Privatsache ist, ob man Kinder hat oder nicht. Während einem vorher die ganze Zeit gesagt wurde, der Staat interessiert sich für Leute mit Kindern und unterstützt sie und will, dass sie arbeiten und Kinder haben, und kümmert sich deswegen um ihre Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Was denken Sie, warum kümmern sich in der Krise die Frauen häufiger um die Kinder?
Frauen sind, das ist meine persönliche Meinung und gilt sicher nicht für alle, daraufhin erzogen, sich aufzuopfern – vor allem für die Familie –, bis hin zu eigenen Gesundheitsschädigung. Und das ist genau das Phänomen, das wir jetzt sehen. Dass es sehr viele Frauen gibt, die völlig über ihre Grenzen hinaus gehen. Das ist gesellschaftlich normal und akzeptiert und wird auch erwartet. Gilt sicher nicht für alle, aber bei mir ist es auf jeden Fall so, dass ich denke: Na gut, mein Mann hatte jetzt schon acht Stunden die Kinder, dann mach jetzt ich – egal wie viel ich an dem Tag schon gearbeitet habe.
Haben Sie positive Erfahrungen gemacht, die es ohne Corona nicht gegeben hätte?
Es war auch nett mit den Kindern zuhause. Ich habe sonst durch meinen fordernden Job nicht die Möglichkeit, mit meinen Kindern so viel Zeit zu verbringen, wie ich das vielleicht auch gern hin und wieder möchte. Es hat sich auch angefühlt wie eine Art Familienurlaub – nur dass man die ganze Zeit diesen beruflichen Druck und Ängste verdrängen muss. Aber wenn man sich gerade um Kinder kümmert, hat man meistens nicht so viel Zeit, sich Sorgen zu machen.
Was denken Sie, können wir aus der Corona-Krise für die Uni lernen?
Ich denke, dass die Krise sehr stark zeigt, wie fragil das System ist. Da braucht es nur wenig und alles fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Für einzelne Personen, aber letzten Endes auch für den ganzen Wissenschaftsbetrieb an sich. Weil der schon immer so ausgelegt ist, dass er am besten von Leuten gemacht wird, die keine Kinder haben, risikofreudig sind, keine Bindung eingehen wollen, häufig umziehen und dazu bereit sind, ihr ganzes Leben diesem Beruf zu opfern. Was sicherlich die Qualität der Unis nicht erhöht, egal ob in der Wissenschaft oder in der Lehre – denn was man da braucht ist Kreativität aus Diversität und ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Und dieses dem Wissenschaftsbetrieb inhärente Problem sorgt jetzt dafür, dass das System implodiert. Die Frage ist, ob die Leute, die an der Situation des akademischen Mittelbaus etwas ändern können, jetzt gewillt sind, das auch zu tun.
Zeit für mich gibt es derzeit nicht
Prof. Dr. Kathrin Castiglione musste während der Corona-Krise neben ihrer Arbeit als Leiterin des Lehrstuhls für Bioverfahrenstechnik zuhause zwei kleine Kinder betreuen. Sie erzählt, wie sie mit dieser Doppelbelastung umgegangen ist, und ob sie mit der Unterstützung der FAU zufrieden ist.
Wie geht es Ihnen im Home-Office?
Im Homeoffice geht es mir ganz gut. Mit der Arbeitsbelastung im Homeoffice weniger. Ich hatte zu Beginn der Pandemie einen zweijährigen und einen fünfjährigen Sohn – jetzt habe ich einen dreijährigen und einen sechsjährigen Sohn und die gehen jetzt beide seit vorgestern wieder in ihre Einrichtungen. Dadurch habe ich jetzt wieder ein bisschen mehr Luft und bin seitdem auch wieder ab und zu im Büro anzutreffen.
Wie gehen Sie mit der Doppelbelastung Beruf und Kinderbetreuung um?
Mit wenig Schlaf. Mein Mann und ich sind beide voll berufstätig und gerade der Dreijährige beschäftigt sich nicht selbst, sondern braucht wirklich Aufmerksamkeit. Wir arbeiten im Schichtsystem, wechseln uns je nach Terminlage auch mal im Stundentakt mit der Kinderbetreuung ab. Abends können wir dann beide arbeiten. Beim Hochladen der letzten Vorlesung habe ich die Zeiten durchgesehen, wann ich in der Regel meine Videos hochgeladen habe. Das war immer zwischen 23 Uhr und 2 Uhr morgens. Wenn die Vorlesung fertig sein muss, muss sie halt fertig sein. Dann muss man eben auch mal ein bisschen länger vorm Rechner sitzen.
Wie lange können sie ungestört am Stück arbeiten?
Bei wichtigen Terminen hat sich mein Mann immer frei genommen. So konnte ich auch an Berufungssitzungen teilnehmen, die zum Teil zehn Stunden gedauert haben. Jetzt ist der Kindergarten von meinem großen Sohn der limitierende Faktor, weil der bis zu den Sommerferien nicht mehr als dreieinhalb Stunden Betreuungszeit pro Tag anbieten kann. Es heißt zwar jetzt, die Kinder gehen wieder in ihre Einrichtungen, die Frage ist nur, in welchem Umfang. Und die Wochen davor waren es nur zwei Stunden. Auch hier sind wir einen kleinen Schritt weitergekommen, aber es bleibt eine Belastung. Und dann stehen die sechs Wochen Sommerferien an, wo es im Moment so aussieht, als würde es keine Ferienbetreuung durch die FAU geben. Zumindest gibt es derzeit noch keine Aussage dazu. Und danach ist Schulanfang für den Großen. Insofern fehlt momentan die Perspektive, wann es wieder leichter wird.
Wo machen Sie die Abstriche?
Die mache ich klar bei mir selber. Ich als Person existiere neben Arbeit und Familie eigentlich nicht mehr. Ich habe selbst das bisschen Sport, das ich derzeit noch auf die Reihe bekomme, mit Kinderbetreuung kombiniert. Wenn ich eine Runde laufen gehe – das ist das zeiteffektivste, was ich machen kann – dann nehme ich meinen größeren Sohn auf dem Fahrrad mit. Richtig Zeit für mich gibt es derzeit gar nicht.
Müssen Sie auch beruflich Dinge weglassen?
Im Moment würde ich noch nicht von Weglassen sprechen, sondern eher von Schieben. Es gibt ein paar Anträge, die ich auf den Weg bringen wollte, die jetzt einfach nach hinten rücken. Jetzt hoffe ich, dass ich das durch die ein wenig angestiegenen Betreuungszeiten der Kinder ausgleichen kann. Aktuell bin ich froh, wenn ich in der Woche meine 40 Stunden irgendwie unterbringe – ansonsten ist das Professorenleben ja kein 40-Stunden-Job. Ich arbeite auch sonst häufig noch, wenn die Kinder im Bett sind, damit ich einfach nicht so spät aus dem Büro komme – das war schon immer ein bisschen auf Kante genäht. Das ist bei jedem Paar so, bei dem beide voll berufstätig sind. Momentan merke ich allerdings, wie fragil dieses System ist. Das geht auf jeden Fall über die Belastungsgrenze.
Hat sich Ihr Arbeitspensum durch die Digitalisierung der Lehre erhöht?
Ja, extrem! Ich habe das total unterschätzt. Wenn man das ordentlich macht, braucht man richtig viel Zeit. Statt eineinhalb Stunden meine Vorlesung zu halten, brauche ich jetzt für eine Vorlesung insgesamt acht Stunden. Ich mache vertonte Vorlesungsvideos, keine Zoom-Veranstaltungen. Ich halte die vertonten Videos für meine Veranstaltungen für das beste Konzept und gebe mir viel Mühe, den Wegfall der Tafel auszugleichen, indem ich zum Beispiel für die Studierenden kleine interaktive Quizfragen einbette, damit sie am Ball bleiben. Ich habe auch sonst eine sehr interaktive Vorlesung und wenn man das digital abbilden will, ist man richtig beschäftigt. Durch die Zwischenevaluation habe ich aber sehr positive Rückmeldungen bekommen. Es kam sogar der Vorschlag, ich soll einen Youtube-Kanal aufmachen. Das bestärkt mich, da nicht locker zu lassen und den Studierenden trotz Corona ein möglichst gutes Semester zu bieten.
Welche Auswirkungen hat der fehlende Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen?
Viele kommen sehr gut zurecht mit den Online-Tools. Manchmal redet man ein bisschen aneinander vorbei, aber insgesamt ist das nicht die größte Baustelle.
Hat sich Ihr Output hinsichtlich Antragstellungen, Publikationen und Betreuung verändert?
Also ich denke an der Betreuung spare ich im Moment nicht, da ist der Output gleich. Anträge stelle ich auf jeden Fall weniger als sonst, und Publikationen – da lese ich gerade jetzt eine, die raus soll –, das ist auf jeden Fall etwas heruntergefahren. Die Doktorandinnen und Doktoranden müssen auch länger warten, bis ich Zeit finde, ihre Manuskripte zu lesen. Und alles, was sonst mal so erledigt wird, das muss ich mir jetzt mehr einteilen. Das verzögert die Arbeit auf jeden Fall. Ich hoffe, dass das eine Verzögerung ist, die sich irgendwann wieder ausgleicht und kein wirklicher Einbruch.
Müssen Sie Nachteile für Ihre Karriere befürchten?
Die Pandemie trifft Leute mit verschiedenen Situationen ganz unterschiedlich. Ich merke, dass sich manche kinderlosen Kollegen freuen, dass sie derzeit alles Mögliche publizieren können und ganz viel vom Tisch bekommen, weil auch keine Kongresse anstehen. Sie können sehr produktiv sein, während meine Produktivität eher nach unten geht. Wenn die Leistung der anderen steigt, sieht meine Leistung natürlich schwächer aus. Insofern gemessen am wissenschaftlichen Output, ist es tatsächlich so, dass nicht alle aufgrund der Ungleichverteilung und individuellen Belastung gestärkt aus dieser Pandemie herausgehen.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Support durch die FAU?
Die FAU gibt sich ganz viel Mühe, größte Flexibilität für die Leute zu schaffen und auch die Kommunikation ist gut, zum Beispiel was Hygienemaßnahmen angeht. Hier finde ich, dass die FAU einen guten Job macht. Sie kann auch keine Kinderbetreuung her hexen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann dass es auf den Seiten des Familienservice eine Aussage dazu gibt, wie wahrscheinlich er eine Ferienbetreuung auf die Beine stellen kann. Dann weiß ich, ob ich Ressourcen sparen muss oder ob ein bisschen Erleichterung für mich in Sicht ist. Es wird auf jeden Fall ein arbeitsreicher Sommer.
Was ist flexibler als sonst?
Homeoffice kann flexibel angeordnet und genutzt werden. Da darf im Homeoffice auch etwas gearbeitet werden, das schon länger lieben geblieben ist und keiner schaut auf die reine Produktivität. Ich habe auch eine Habilitandin mit drei Kindern, die kann ich entlasten, indem ich sage: Teil dir einfach deine Zeit flexibel ein. Diese Ermutigung zur Flexibilität ist glaube ich die, die auch im Kopf ganz viel hilft. Eine weitere Mitarbeiterin hatte schon immer einen biologischen Rhythmus, der sie zu einer klassischen Spätaufsteherin macht, die in den späten Abendstunden sehr gut arbeiten kann. In der Corona-Zeit ist sie nun viel freier in ihrer persönlichen Arbeitszeiteinteilung, so dass wir uns neulich mal um 22 Uhr für eine Besprechung verabredet hatten. Das war für uns beide prima: meine Kinder waren im Bett und wir hatten eine ungestörte und sehr produktive Besprechung.
Was können wir aus der Corona-Krise für den Wissenschaftsbetrieb lernen?
Ich denke, dass man einen Blick auf die Digitalisierung werfen muss. Corona hat die Digitalisierung an der Uni mehr befördert als alle Maßnahmen, mit denen ich vorher zu tun hatte. Das ist auch ein Grund, warum ich so motiviert war, die Lernvideos anzulegen. In Zukunft kann ich sie für Leute zur Verfügung stellen, die zur Vorlesung nicht präsent sein konnten, weil sie eine Arbeit haben oder ein krankes Kind zuhause. Wenn man hier am Ball bleibt, hat man nicht nur eine super Struktur, wenn wieder eine Krise kommt, sondern generell ein super Zusatzangebot.
Was kann die FAU besser machen?
Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass die FAU meine Situation hätte signifikant verbessern können. Sie kann ja meine Kinder auch nicht betreuen. Ich genieße es auch, extra Zeit mit den Kindern zu haben. Wenn auf der anderen Seite der Schlaf nur nicht zu kurz kommen würde. Mit Aktionen wie dem Spendenaufruf #FAU4FAU für Studierende in Not, an dem ich mich auch sehr gern beteiligt habe, hat die FAU sich der Krise angenommen. Alles kann die Uni auch nicht lösen und ich denke, dass leider jeder sein eigenes Päckchen aus der Corona-Krise zu tragen hat.