Interview: Aryaf Al-Rousan und Dr. Kasim Al-Rousan
Per Video-Anruf zurück an die FAU
Erlangen kurz vor Neujahr 2020: Die weihnachtliche Beleuchtung funkelt, der Duft von Glühwein liegt in der Luft und es herrscht der übliche vorweihnachtliche Trubel. Diese Atmosphäre erlebte auch Aryaf Al-Rousan aus Jordanien, die an der jordanischen Yarmouk University in Irbid das International Relations Office leitet und im Rahmen einer Erasmus Staff Week die FAU besuchte. Doch dieser Besuch war etwas ganz Besonderes: Während Frau Al-Rousan im Anatomie-Gebäude der FAU durch die Flure spazierte, war ihr Vater Dr. Kasim Al-Rousan per Video-Anruf virtuell mit dabei. Dr. Al-Rousan studierte in den 1960er-Jahren für ein paar Semester Medizin an der FAU und absolvierte sein gesamtes Medizinstudium in Deutschland. Der Video-Anruf war ein Geschenk für Dr. Al-Rousan, denn so konnte er an den Ort zurückkehren, an dem er einen wichtigen Teil seines Lebens verbracht hat.
Im Interview berichten Vater und Tochter, wie die Zeit an der FAU sie geprägt hat und welche Bedeutung der Besuch von Aryaf Al-Rousan für beide hatte.
Ich war so glücklich, als meine Tochter Aryaf all diese Erinnerungen während ihres Besuchs an der FAU wieder wachgerufen hat und ich mit Hilfe der Videotelefonie-Technik die FAU ebenfalls virtuell besuchen konnte. (Dr. Al-Rousan)
Dr. Al-Rousan, Sie waren in der 1960er Jahren im Rahmen Ihres Medizinstudiums an der FAU. Wie lange genau waren Sie an der FAU und was hat Sie damals nach Erlangen und die FAU geführt?
Mein Name ist Dr. Kasim Al-Rousan und ich bin ein jordanischer Arzt. Ich habe mein gesamtes Medizinstudium in Deutschland absolviert – unter anderem das dritte bis siebte Semester in Erlangen – und mich danach in Cloppenburg auf die internistische Medizin spezialisiert. Ich stamme aus einem kleinen Dorf im Norden von Jordanien, wo der Zugang zu Bildung schwer war. Zudem war ich der einzige Junge unter sechs Schwestern. Zur damaligen Zeit blieben die Kinder bei den Eltern, um sie in der Landwirtschaft zu unterstützen. Ich hatte jedoch großes Glück, denn mein Vater war ein gebildeter Mann und er war der Direktor der Dorfschule, sodass er mir ermöglichte im Ausland zu studieren.
Ich begann mein Studium im Wintersemester 1957 in München. Die ersten beiden Semester meines Medizinstudiums blieb ich in München. München war damals schon eine sehr große und teure Stadt, meine Unterkunft war weit weg von meiner Fakultät. Außerdem lernte ich am Goethe-Institut in Bad Reichenhall Deutsch. Schließlich entschloss ich mich nach Erlangen zu ziehen, da dort der Anatomiekurs das ganze Jahr über angeboten wurde. So verbrachte ich das dritte bis siebte Semester an der FAU, meine Unterkunft war in der Nähe des Instituts und ich fuhr viel mit dem Fahrrad, um von A nach B zu kommen.
Woran erinnern Sie sich besonders gerne, wenn Sie an Ihre Zeit an der FAU zurückdenken?
Ich erinnere mich zum Beispiel an den Schlossgarten. Vor allem in den Sommermonaten erwachte er zum Leben, mit bunten Blumenbeeten, Musikkonzerten und Festen. Ich kann mich auch an die Anatomie-Klasse und die Seminare in chemischer Physiologie bei Prof. Dr. Wolf-Dieter Keidel erinnern.
Ich war so glücklich, als meine Tochter Aryaf all diese Erinnerungen während ihres Besuchs an der FAU wieder wachgerufen hat und ich mit Hilfe der Videotelefonie-Technik die FAU ebenfalls virtuell besuchen konnte. Das erste mal wieder zurückzukehren kann ein sehr emotionaler Moment sein. Ich konnte nicht glauben, dass ein so großer Teil meines Lebens in einem einzigen Gebäude stattgefunden hat. Ich werde wohl nie in der Lage sein, all jenen, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin, angemessen zu danken.
Zudem erinnere ich mich ein einen Unfall, den ich in Erlangen-Bruck hatte. Es hat stark geschneit und der Schnee türmte sich mehr als 1,5 Meter auf und es war bitterkalt. Ich war auf meinem Rad unterwegs, mit meinen Händen in den Hostentaschen, als ich plötzlich das Gleichgewicht und die Kontrolle über mein Rad verlor und stürzte. Dabei brach meine Kniescheibe. Ich wurde in das Universitätsklinikum Erlangen gebracht und drei Wochen lang sehr gut behandelt.
Am Weihnachtsabend wurden wir alle, Lehrende und Studierende, zu einem Konzert in einer Kirche eingeladen.
Wie hat Ihr Aufenthalt an der FAU Ihre wissenschaftliche Karriere beeinflusst?
Nach meiner Zeit an der FAU habe ich mein Medizinstudium in Freiburg abgeschlossen und wurde so der erste Doktor in meinem Heimatdorf. Ich kehrte in meine Heimat zurück und arbeitete von 1964 bis 1971 als Allgemeinarzt in einem staatlichen Krankenhaus.
1971 kam ich erneut nach Deutschland um mich in Cloppenburg zu spezialisieren. Ich nahm meine Familie, meine Frau und meine beiden Töchter, Rula und Aryaf, mit mir. Ich entschied mich für die internistische Medizin und blieb bis 1978. Dann hatte ich das Gefühl, ich müsste zurück nach Jordanien und meinem Heimatland dienen. Ich eröffnete eine Klinik und arbeite bis vor kurzem noch als Manager eines privaten Krankenhauses namens Ibn Al-Naffis Hospital in Irbid, im Norden Jordaniens, an der Syrischen Grenze.
Was ich durch meine Zusammenarbeit unter anderem mit Prof. Dr. Keidel gelernt habe, sind bestimmte wissenschaftliche Methoden und medizinische Prinzipien.
Für uns alle war es eine erfreuliche, unvergessliche und ermutigende Erfahrung sowie eine bereichernde Zeit mit den Menschen an der FAU. (Aryaf Al-Rousan)
Frau Al-Rousan, Sie haben die FAU im Rahmen einer Staff Week besucht. Wie war es für Sie an den Ort zu kommen, an dem Ihr Vater einen so wichtigen Teil seines Lebens verbracht hat?
Ich war äußerst aufgeregt den Ort zu besuchen, wo mein Vater 1957 studierte und eine gute Zeit verbrachte, um ein berühmter Arzt in Irbid, Jordanien, zu werden. Ich kam am Anatomiegebäude an und ging die Treppen rauf, dorthin, wo mein Vater seine Seminare besuchte, und wanderte etwas im Gebäude umher. Mein Vater begleitete mich – dank der heutigen Technologie – und beschrieb mir durch den Videoanruf zahlreiche Details. Ich kann die Nostalgie kaum beschreiben, die all die Erinnerungen hervorriefen und ihn in seine Jugendzeit zurückversetzte, die seiner Meinung nach einfacher war. Virtuell durch die Straßen zu laufen erlaubte es ihm, dieses wunderbare Gefühl der jugendlichen Sicherheit nochmal zu erleben.
Wie gefiel Ihnen die Erasmus Staff Week?
Wir wurden mit einem sehr netten Empfang und großzügiger Gastfreundschaft zu unserer Staff Week begrüßt. Ohne Frau Köndgens Vorschläge, das Team für internationale Angelegenheiten und dem aufmerksamen Blick für Details hätten wir uns wohl bei weitem nicht so wohl gefühlt. Das Team hat alles getan, um uns dabei zu helfen das Beste aus der kurzen Zeit zu machen, um möglichst viel zu sehen und mehr über die deutsche Kultur zu lernen. Für uns alle war es eine erfreuliche, unvergessliche und ermutigende Erfahrung sowie eine bereichernde Zeit mit den Menschen an der FAU.
Wie gefiel Ihnen die FAU und Erlangen?
Eine Universität zu besuchen, die 1743 gegründet wurde, ist einmalig und großartig. Sie ist ein akademisches Wahrzeichen. Wir haben alle drei Campi der FAU in Erlangen, Nürnberg und Fürth besucht; die FAU bezieht im hohen Maße eine vielfältige und internationale Gemeinschaft von Studierenden mit ein. Ein weiterer große Erfolg der FAU: Laut dem Reuters-Ranking „The World´s Most Innovative Universities 2019“ ist die FAU die innovativste Universität Deutschlands. Bayern ist das wohlhabendste und eines der sichersten Bundesländer in Deutschland. Die FAU ist ein international anerkannter Partner hinsichtlich gemeinschaftlicher Forschungsprojekte und hinsichtlich des Studierendenaustausches. Darüber hinaus gehört die FAU zu den forschungsstärksten Universitäten in Deutschland und ist damit in diesem Zusammenhang eine wichtige Drehscheibe in der Welt.
Erlangen ist eine einladende Stadt. Unser Besuch viel zufällig mit den Neujahrsfeierlichkeiten zusammen. Der Marktplatz verwandelte sich in einen magischen Ort, mit glitzernden Lichtern, dem Duft von Glühwein und von Lebkuchen und dem Klang festlicher Jubelrufe. Obwohl es sehr kalt war, habe ich meinen Besuch genossen und habe viele Erinnerungen an meine Kindheit in Cloppenburg wiedergefunden.
Vielen Dank für das Interview, Frau Al-Rousan und Dr. Al-Rousan.