„Kann man ,Ultra‘ vor dem Fernseher sein?“

Porträt von Professorin Silke Steets
Professorin Dr. Silke Steets vom Lehrstuhl für Soziologische Theorie spricht im Interview darüber, inwiefern Fußball Alltag schafft und was Geisterspiele und Homeoffice gemeinsam haben. (Bild: FAU/Georg Pöhlein)

FAU-Soziologin Prof. Dr. Silke Steets über Fußball in der Corona-Krise

Seit Beginn der Corona-Pandemie steht die Frage im Raum, ob die Bundesliga-Saison mit sogenannten Geisterspielen – also Spiele ohne Publikum – fortgesetzt werden kann. Professorin Dr. Silke Steets, Leiterin des Instituts für Soziologie an der FAU forscht zu Architektur, Raum und Fußball und hat hierbei auch schon Stadien in den Blick genommen. Im Interview spricht sie darüber, inwiefern Fußball Alltag schafft und was Geisterspiele und Homeoffice gemeinsam haben.

Welche Bedeutung hat der ,Fußballsamstag‘ in Deutschland?

Fußball ist die populärste Sportart in Deutschland und damit der Sport, der die meisten Menschen auch im Alltag erreicht. Daher ist Fußball so wichtig und die Diskussion um sogenannte Geisterspiele ist ein Teil der Corona-Krise.
Der Fußballsamstag ist ein wöchentliches Ritual, strukturiert unsere Zeit und produziert ein Gefühl von Rhythmus und Normalität. Er ist eine feste Institution in unserer Gesellschaft. Was man nicht vergessen darf: Neben dem Erleben eines Fußballspiels im Stadion ist der Fußballsamstag auch ein wichtiges TV-Ereignis. Die Sportschau um 18 Uhr oder das Sportstudio am späteren Abend mit Hintergrundberichten haben eine lange Tradition im Fernsehalltag. Auch in meiner Familie war der Fußballsamstag wichtig, wir haben sogar im Wohnzimmer zu Abend gegessen, um gemeinsam die Sportschau anzusehen.
Ein Fußballspiel samstagnachmittags live im Radio zu verfolgen ist übrigens auch ein tolles Erlebnis. Im Radio transportiert sich die Spannung viel besser, die entsteht, wenn man in der Vorstellung nachvollzieht, was der Moderator beschreibt. Man ist näher dran am Spiel.

Was wird den Fans fehlen, wenn die Spiele zwar stattfinden, sie die Geisterspiele aber nur im Fernsehen mitverfolgen können?

Auch Geisterspiele lassen sich durch Fernsehen und Radio ins Wohnzimmer holen, das heißt, das wöchentliche Ritual ließe sich auf diese Weise wiederbeleben. Aber als atmosphärisches Erlebnis wird es anders sein, ohne die jubelnden Fans im Hintergrund und die Stimmung. Das stelle ich mir schon fast ein bisschen gruselig vor.
Besonders die Fans, die jede Woche ins Station gehen und für Stimmung sorgen, werden das Erlebnis und die Gemeinschaft vermissen. Das Gemeinschaftsgefühl bei großen Veranstaltungen wird uns nach aktuellen Prognosen noch längere Zeit verwehrt bleiben.
Den Dauerkartenbesitzerinnen und -besitzern, für die die Spiele am Wochenende ein fester Termin im Kalender sind, wird der Ausflug ins Stadion ganz besonders fehlen. Und was ist mit den Anhängern der Ultras-Bewegung? Kann man ,Ultra‘ vor dem Fernseher sein?
Die Saison mit Geisterspielen zu beenden ist ohnehin nur für die 1. und 2. – vielleicht noch die 3. – Bundesliga interessant, da die Vereine einen Großteil ihres Budgets über die Vermarktung der Fernsehrechte erzielen. Für die Vereine der Regionalligen und abwärts bedeutet es hingegen finanzielle Verluste, wenn sie ein Spielgeschehen organisieren müssen, aber keine Tickets verkaufen können.

Was bedeutet es denn für die Spieler vor leerer, ,gruseliger‘ Kulisse zu spielen?

Schwierig zu beantworten. Es wäre interessant die Spieler zu befragen, die das schon erlebt haben. Am Ende der Wintersportsaison fanden schon Biathlonwettkämpfe und andere Wintersportevents ohne Publikum statt. Gerade Biathlon ist mittlerweile vielerorts ein Stadionereignis, das dem Fußball ähnelt.
Die Wintersportlerinnen und -sportler haben hinterher gesagt, es war ein neues Erlebnis, sich mal auf das Wesentliche des Sports zu konzentrieren, ohne abgelenkt zu werden. Und es war interessant, zu erfahren, wie die Ausübung der Sportart klingt. Einige haben diese akustische Irritation sogar als befreiend erlebt. Wie es den Fußballern im leeren Stadion gehen wird, muss man abwarten.
Vielleicht ändern sich auch taktische Vorgaben, weil man im stillen Stadion jedes Wort versteht. Für die Spieler wird es sicher einen großen Unterschied machen.

Wie wird es mit der Motivation der Spieler sein, wenn die Anfeuerungsrufe fehlen?

Die Spieler werden erstmal froh sein, wenn sie wieder Fußball spielen dürfen. Die Interaktion zwischen Spielern und Fans auf den Rängen wird aber fehlen. Und die Spieler erfahren auf ihre Aktionen keine Rückmeldung der Fans, das könnte schon zu Motivationsproblemen führen.
Ist nicht so anders, wie die Vorbereitung der Online-Lehre für das Sommersemester (lacht). Ich produziere Lehrvideos im Homeoffice und mir fehlt auch die Reaktion meiner Zuhörerinnen und Zuhörer, die ich sonst im Hörsaal erfahre.
Vielleicht werden die Fußballer stärker mit den Kameras interagieren. Sich vor den Kameras zu verkaufen, machen viele Profifußballer ja schon, zum Beispiel mit wiedererkennbarem Torjubel.

Inwiefern leidet das Image des deutschen Fußballs darunter, wenn die Funktionäre die Spiele scheinbar um jeden Preis stattfinden lassen wollen?

Der Wunsch nach mehr Normalität ist sehr groß und Fußball spielt da eine Rolle. Daher glaube ich, dass viele Menschen es gut finden, wenn die Spiele wieder stattfinden.
Es muss aber natürlich im Verhältnis stehen. Wir nehmen uns gerade alle zurück, um die Pandemie einzudämmen. Im Zuge der Lockerungen kann ich es mir schon vorstellen, dass die Bundesliga in Form von Geisterspielen fortgesetzt wird. Aber in einer Krise, wie wir sie aktuell mit dem Coronavirus erleben, muss das gut begründet sein.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Silke Steets
Lehrstuhl für Soziologische Theorie
silke.steets@fau.de