„Coronaskop“ ermöglicht Live-Beobachtung einer Covid-19-Infektion
Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin entwickelt Videoüberwachung im virologischen Hochsicherheitslabor
Eine Art Videoüberwachung könnte helfen, dem Coronavirus beizukommen: Forschende des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts und der FAU möchten live verfolgen, wie Zellen durch Sars-CoV-2 infiziert werden. Zu diesem Zweck installieren sie in einem virologischen Hochsicherheitslabor ein besonders leistungsfähiges Mikroskop.
Das Bildgebungsverfahren namens iScat ermöglicht es den Erlanger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Interaktion von lebenden Viren und Zellen über einen längeren Zeitraum mit hoher Zeit- und Ortsauflösung zu beobachten. Die Kooperation im Rahmen des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin könnte so auch helfen, Therapien gegen die Covid-19-Erkrankung zu entwickeln.
Eine Infektion ist ein Wettlauf, und die Corona-Pandemie macht nur allzu deutlich, dass es dabei oft um Leben und Tod geht. Das gilt im Großen, nämlich bei den Anstrengungen, Covid-19-Pandemie einzudämmen. Das gilt aber auch im Kleinen, wenn das Immunsystem eines Infizierten versucht, die Oberhand über den Erreger zu gewinnen. Wenn das Virus sich unmittelbar nach einer Ansteckung schneller vermehrt, als die körpereigene Abwehr es beseitigen kann, bricht die Krankheit aus.
„Ein wichtiger Faktor in diesem Rennen ist, wie lange es dauert, bis ein Virus in eine menschliche Zelle eindringt, sich dort vermehrt und die neue Virusgeneration freigesetzt wird, die ihrerseits wieder Zellen befällt“, erklärt Vahid Sandoghdar, Direktor am Erlanger Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts und Leiter eines Lehrstuhls für Experimentalphysik an der FAU. „Wie die einzelnen Schritte auf der Ebene einzelner Zellen beziehungsweise des Gewebes ablaufen, weiß man noch nicht genau.“
Deshalb will sein Team den Vermehrungszyklus des Virus nun gemeinsam mit Forschenden um Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts des Universitätsklinikums Erlangen und Leiter des Lehrstuhl für Klinische und Molekulare Virologie, live verfolgen. „Ich bin gespannt auf die interessante Zusammenarbeit“, sagt der Virologe. Die Mediziner und Physiker wollen auch direkt an einer Zelle beobachten, wie Kandidaten für medizinische Wirkstoffe die Zell-Virus-Interaktion und seine Vermehrung beeinflussen.
Drei Wochen, um ein iScat-Mikroskop zu bauen
Die Vorgänge auf der Zellebene können die Forschenden nun mit einem iScat-Mikroskop filmen. iScat steht für interferometric scattering, also interferometrische Streuung. Das Instrument bildet winzige Strukturen wie das etwa 100 Nanometer große Coronavirus durch eine ausgeklügelte Analyse von Interferenzmustern ab, die entstehen, wenn Licht an den Partikeln gestreut wird. Die Technik hat Vahid Sandoghdar in den vergangenen Jahren mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt und inzwischen so weit perfektioniert, dass sich damit Nanofilme von biologischen Prozessen drehen lassen.
Innerhalb von nur drei Wochen hat die Gruppe nun ein „Coronaskop“ gebaut, wie Vahid Sandoghdar es nennt: ein iScat-Mikroskop für den Einsatz in einem S3-Labor. In solchen Hochsicherheitslaboren gelten zahlreiche Schutzbestimmungen, um die Ansteckung mit Krankheitserregern zu verhindern. In ihnen ist der Platz für Geräte beschränkt, und es gibt strikte Zugangsbeschränkungen.
Daher hat das Max-Planck-Team zum einen die Apparatur samt der optischen Instrumente, die bislang nicht einmal auf einen Esstisch passten, in einer Edelstahlbox von der Größe einer Mikrowelle verpackt. Zum andern haben die Forschenden das Instrument so umgerüstet, dass es sich ferngesteuert betreiben und warten lässt. „Da war eine Menge Ingenieursleistung nötig“, sagt Sandoghdar. „Daran hat unser Team sehr hart gearbeitet.“
Erste Bilder in wenigen Tagen
Die Mühe dürfte sich auszahlen, denn iScat hat gegenüber anderen Methoden, die Viren sichtbar machen, einige Vorzüge. Anders als Elektronenmikroskope kann es lebende Viren und damit biologische Prozesse abbilden, und das sogar im Film. Dafür müssen die Viren auch nicht mit fluoreszierenden Proteinen markiert werden, wie sie für die Fluoreszenzmikroskopie nötig sind. Die Fluoreszenzmarker bleichen relativ schnell aus, zu schnell jedenfalls, als das sich damit der gesamte Vermehrungszyklus verfolgen ließe. „Ganz abgesehen davon gibt es kurzfristig keine praktikable Möglichkeit, das neue Coronavirus mit Fluoreszenzproteinen zu markieren“, sagt Vahid Sandoghdar.
Da die mikroskopische Untersuchung des Vermehrungszyklus bislang also nicht möglich war, bestimmen Virologinnen und Virologen die Vermehrungsrate bislang makroskopisch: Sie messen schlicht, wie viele Viren sich in einer Zellkultur innerhalb einer gewissen Zeit bilden. „Wir können diese Messungen nun durch Einblicke auf Zellebene ergänzen“, sagt Sandoghdar. Die Forscher hoffen, die ersten Bilder des Coronaskops schon in wenigen Tagen aufnehmen zu können.
Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin
Die Kooperation bei der Erforschung von Sars-CoV-2 ist ein Beispiel für die Arbeit am Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin. Darin nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts, der FAU und des Universitätsklinikums Erlangen physikalische Effekte, um medizinische Erkenntnisse zu gewinnen. Von der mikroskopischen Videoüberwachung des Coronavirus erhoffen sie sich dabei nicht nur ein besseres Verständnis der Infektion, sondern auch Ansatzpunkte für Therapien.