Interview: „Deutschland ist für mich wirklich eine zweite Heimat“
Im Gespräch mit Prof. Dr. Bozhidar Hristov Boytschev
Prof. Dr. Boytschev wurde 1935 in Bulgarien geboren. 1959 schloss er einen Magister im Fach Elektrotechnik an der TU Sofia ab, wo er schließlich 1970 ebenfalls im Fach Elektrotechnik promoviert wurde.
Anfang der 1990er Jahre führte ihn sein Weg nach Erlangen an die FAU. Von 1991 bis 1992 forschte und lehrte Prof. Boytschev an der FAU als Gastprofessor am damaligen Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgung unter der Leitung von Prof. Dr. Hosemann. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) unterstütze seinen Aufenthalt. Prof. Boytschev ist immer noch sehr stolz auf seine deutsche Ausbildung und erinnert sich mit viel Wohlwollen an seine Zeit in Deutschland.
In diesem Interview begibt sich Prof. Boytschev auf eine kleine Zeitreise zurück.
Ich habe mich damals für die FAU entschieden, weil die FAU eine alte und weltberühmte europäische Universität ist.
Prof. Dr. Boytschev, Ihr Forschungsgebiet ist die Elektrotechnik. Was fasziniert Sie an diesem Forschungsgebiet? Was hat ursprünglich Ihr Interesse an der Elektrotechnik geweckt?
Die Elektrotechnik ist die Grundlage für viele andere Wissenschaften und wichtige Forschungen unserer Gegenwart, was mich sehr an diesem Forschungsgebiet fasziniert. Ursprünglich wurde mein Interesse durch die Physik und Mathematik als Schüler an der Oberschule geweckt.
Später, als ich Student für Elektrische Netze, Zentralen und Systeme an der TU Sofia war, hat der wissenschaftliche Betreuer meiner Diplomarbeit die von mir durchgeführten Forschungen in seinem Hochschullehrbuch „Stabilität elektrischer Systeme“ von 1959 veröffentlicht. Im Vorwort erwähnte er sogar meinen Namen in Zusammenhang mit meiner Mitarbeit, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt doch nur ein Student war, der kurz vor seinem Studienabschluss stand.
Sie waren von 1991 bis 1992 im Rahmen eines DAAD-Stipendiums als Gastprofessor an der FAU. Warum haben Sie sich damals für die FAU entschieden?
Ich habe mich damals für die FAU entschieden, weil die FAU eine alte und weltberühmte europäische Universität ist. Die FAU blickt auf eine mittlerweile 277-jährige Geschichte zurück und zählt so große und weltberühmte Wissenschaftler wie Georg Simon Ohm zu ihren Alumni, der in Erlangen geboren wurde und 1811 selbst als Professor für Physik an der FAU tätig war.
Woran haben Sie während Ihrer Zeit an der FAU geforscht?
Ich habe an der Stabilität und Steuerung von Energiesystemen, Flexible Altering Current Transmission Systems, an elektrischen Netzwerken, Kurzschlussströmen in Energieversorgungssystemen sowie Renewable Power Sources geforscht.
Sie kamen kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an die FAU und nach Erlangen. Was für ein Gefühl war das für Sie?
Das war damals ein sehr besonderes Gefühl für mich. In Deutschland fühlte man sich frei und entspannt und es herrschte und herrscht ein freies Denken. Natürlich ist auch heute nicht alles einwandfrei in Deutschland, aber es ist trotzdem ein liebenswertes Land. In Deutschland fühle ich mich immer wohl und irgendwann wurde mir bewusst: In Deutschland bin ich immer zu Hause!
Woran erinnern Sie sich besonders gerne, wenn Sie an Ihre Zeit an der FAU und in Erlangen zurückdenken?
Wenn ich an meine Zeit an der FAU und in Erlangen denke, dann erinnere ich mich besonders gerne an die neuen Freunde, die ich gefunden habe, an die deutsche Kultur, die Technik, die Wissenschaft und an meine schöne und vorbeirauschende Jugendzeit.
Hatten Sie einen Lieblingsort an der FAU und in Erlangen?
Ich hatte natürlich meine Lieblingsorte an der FAU und in Erlangen, zum Beispiel den schönen Schlossgarten, die Uni-Mensa und die zahlreichen Cafés, in denen ich gerne ein Tasse Milchkaffee genoss. In Erlangen mochte ich den Hugenottenplatz mit dem Büchermarkt, die Altstadt, das Stadtmuseum und meine gemütliche Wohnung im Studentenwohnheim in der Erwin-Rommel-Straße mit dem Wald in der Nähe.
Natürlich ist auch heute nicht alles einwandfrei in Deutschland, aber es ist trotzdem ein liebenswertes Land. In Deutschland fühle ich mich immer wohl und irgendwann wurde mir bewusst: In Deutschland bin ich immer zu Hause!
Hatten Sie während Ihrer Zeit an der FAU auch die Möglichkeit, die nähere Region zu erkunden?
Diese Möglichkeit hatte ich in der Tat. Ich besuchte zum Beispiel die Stadt Coburg, wo der ehemalige Zar von Bulgarien, Ferdinand I. von Sachsen-Coburg und Gotha, und seine zweite Ehefrau in der Krypta St. Augustin 1948 beigesetzt wurden. In Bulgarien ist er immer noch unter dem Spitznamen „Schlauer Ferdie“ bekannt.
Welchen Rat würden Sie den Studierenden von heute geben?
Es lohnt sich und es ist verlockend in Deutschland, im Land der neuen Ideen zu studieren und zu leben. Zudem ist es meiner Meinung nach wichtig, Deutsch als Fremdsprache und als ein „Fenster zur Welt“ zum Beispiel Goethe zu lernen. Sprachen zu lernen eröffnet einem so viele Möglichkeiten. Ich selbst spreche und schreibe neben Deutsch auch Englisch, Russisch und Serbokroatisch, zudem habe ich Grundkenntnisse in vielen anderen Sprachen.
Ich denke, die internationalen Studierenden schätzen deutsche Hochschulen, deutsche Universitäten, die deutsche Kultur, Wissenschaft, Musik und besonders die deutsche Technik. Deutsche Hochschulen und Universitäten sind zweifelsohne weltberühmte Denkschmieden!
Prof. Dr. Boytschev hat bereits viel von der Welt gesehen. Hier einige Eindrücke:
Möchten Sie noch etwas ergänzen?
Obwohl Deutsch nicht meine Muttersprache ist und Deutschland nicht meine Heimat ist, fühle ich mich bei jedem Besuch in Deutschland wohl – als ob ich in Deutschland geboren und Deutsch meine Muttersprache wäre. Meine deutschen Freunde sprechen immer noch mit mir, als ob wir sehr alte Bekannte wären.
Die deutsche Sprache ist sehr oft die Sprache meiner Gedanken und Deutschland ist für mich wirklich eine zweite Heimat. Zudem verstehe ich mich als Alumnus der FAU als ein echter Vermittler der deutschen Kultur und Wissenschaft in der ganzen Welt.
Vielen Dank für das Interview, Prof. Dr. Boytschev.
Über Prof. Dr. Bozhidar Hristov Boytschev
Prof. Dr. Boytschevs Forschungsinteresse umfasst zum Beispiel den transienten Prozess, die Stabilität und Kontrolle von Energiesystemen, Flexible Altering Current Transmission Systems (FACTS), elektrische Netzwerke, Short Circuit Currents (SCC) in Energiesystemen und Renewable Power Sources (RPS). Er ist ein international anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Starkstromelektronik und hier insbesondere für Zentralen und Systeme, Leistungsregelungsprobleme oder Stabilität von Netzwerken. Prof. Boytschevs Arbeiten – unter anderem über 140 wissenschaftliche Arbeiten, über 60 Forschungsarbeiten, vier Monografien und fünf Fachhochschullehrbücher – werden im In- und Ausland zitiert. Zudem führte Prof. Boytschev mit seinem umfangreichen Wissen zahlreiche Studierende erfolgreich zum Diplom beziehungsweise zur Promotion.
1962 begann Prof. Dr. Boytschev am Scientific Design and Research Institute for Energetics (SDRIE) ENERGOPROJECT – Sofia zu arbeiten. Über 30 Jahre, nämlich bis 1993, war er dort als Professor und als Manager des Forschungsbereichs elektrische Netzwerke und Systeme tätig. Seit 2002 ist er Professor am Department für Elektrotechnik der TU Sofia.
Prof. Boytschev ist unter anderem Mitglied des Institute of Electric and Electrical Engineers (IEEE) in Amerika sowie des Redaktionsausschusses der Marine Engineering Frontiers (MEF) in Südkorea.