FAU-Jurist mahnt Verhältnismäßigkeit an
Prof. Dr. Hans Kudlich zu Rechten und Pflichten in Corona-Zeiten
Auch wenn in deutschen Gesetzestexten der Begriff Pandemie vielfach nicht explizit auftaucht, gibt es eine ganze Reihe von rechtlichen Regelungen, die in der Corona-Krise besonders wichtig werden. Prof. Dr. Hans Kudlich, Leiter des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der FAU, erklärt im Gespräch mit dem FAU-Präsidenten, Prof. Dr. Joachim Hornegger, was zu beachten ist.
Die Entscheidungen des Staates zu Einschränkungen im Alltag seiner Bürger beruhen vor allem auf den Infektionsschutzgesetzen des Bundes und der einzelnen Länder, erklärt Kudlich. „Die Juristen sind sich zwar nicht ganz einig, ob dieses Gesetz nicht eigentlich Maßnahmen vor Augen hatte, die sich an die Infizierten richten. Im Sinne von ,ihr müsst zu Hause bleiben‘ und nicht ,alle anderen müssen zu Hause bleiben‘.“ Doch ganz gleich, wie das Gesetz ausgelegt wird, sei auch immer die Verhältnismäßigkeit zu beachten, betont der FAU-Jurist.
„Der Staat darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Aber in der aktuellen Situation ist es sehr schwierig zu sagen, ob es tatsächlich ein Spatz ist oder nicht doch der Vogel Roch.“ Durch die Ungewissheit des Gefahrenpotenzials werde man dem Staat relativ viel zubilligen müssen – auch abgesagte Abschlussprüfungen, geschlossene Geschäfte oder das Verbot einer Geburtstagsfeier in großer Runde. Doch mit zunehmender Dauer des Shutdowns, werde man sich – wie es auch nach und nach passiert – Gedanken machen müssen, ob es nicht zu Lockerungsmaßnahmen kommen muss.
Bis dahin gelte allerdings: „Verstöße gegen das Infektionsschutzrecht sind kein Kavaliersdelikt. Das Infektionsschutzrecht sieht Ordnungswidrigkeiten und Straftatbestände vor“, sagt Professor Kudlich. „Wobei ich denke, dass von den Verfolgungsbehörden Augenmaß angewendet werden muss.“ Augenmaß und Kompromissbereitschaft empfiehlt Kudlich auch bei Konflikten, die sich zum Beispiel im privatrechtlichen Bereich an abgesagten Urlauben oder Veranstaltungen entzünden.
Für die Zukunft sieht Kudlich noch einigen Nachholbedarf für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung: „Ich halte die Auseinandersetzung mit Pandemien und ihren Folgen für ein wichtiges Problem, egal in welcher Rechtsmaterie“, sagt Kudlich. Es müssten in Zukunft etliche sehr grundsätzliche Fragen geklärt werden. Zum Beispiel in seinem Fachgebiet, dem Strafrecht, ob die gesetzlich verbriefte und demokratisch notwendige Gerichtsöffentlichkeit in Strafverfahren überhaupt gegeben sei, wenn Ausgangsbeschränkungen verhängt werden müssen.
Eine Übersicht aller Videotalks ist zu finden unter: www.fau.de/corona/videos