Wenn David mit Goliath verwechselt wird
Wie ein hüllenloser Stern das Rätsel um ein zu schweres Schwarzes Loch löst
Stellare Schwarze Löcher entstehen, wenn sehr massereiche Sterne am Ende ihres Lebens in sich zusammenfallen. Bisherigen Beobachtungen zufolge ist deren typische Masse etwa zehnmal so groß wie die der Sonne, genau wie theoretische Modelle zur Sternentwicklung es vorhersagen. Die von einem chinesischen Astronomenteam kürzlich postulierte Entdeckung eines stellaren Schwarzen Loches mit fast siebzig Sonnenmassen kam daher überaus überraschend, widerspräche solch ein Objekt doch unserem derzeitigen Verständnis wie sich massereiche Sterne entwickeln.
Das vermeintlich zu schwere Schwarze Loch zog sofort die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich: Theoretische Entstehungsszenarien wurden vorgeschlagen und Nachbeobachtungen durch andere Astrophysiker organisiert. Auch ein Team der FAU und der Universität Potsdam hat sich das Objekt genauer angeschaut und kam zu dem Schluss, dass es sich dabei gar nicht unbedingt um ein Schwarzes Loch handeln muss, sondern möglicherweise um einen massereichen Neutronenstern oder einen ganz gewöhnlichen Stern. Ihre Ergebnisse sind nun als „Highlight-Paper“ in der renommierten Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ erschienen.
Das vermeintliche Schwarze Loch wurde durch seine gravitative Anziehungskraft auf seinen hellen Begleitstern entdeckt. Die beiden Objekte umkreisen sich nämlich gegenseitig mit einer Umlaufdauer von etwa 80 Tagen. Nachbeobachtungen eines belgischen Teams zeigten, dass die Daten in der chinesischen Studie wohl fehlinterpretiert wurden und dass die Masse des Schwarzen Lochs deutlich unbestimmter als ursprünglich gedacht ist. Die wohl wichtigste Frage blieb jedoch unbeantwortet, nämlich wie ein solches Sternsystem überhaupt entstehen kann. Um dies zu beantworten, muss man die Masse des hellen Begleitsterns mit Namen LS V+22 25 kennen. Je mehr Masse dieser Stern hat, desto mehr Masse muss das vermeintliche Schwarze Loch haben, um die beobachtete Bewegung von LS V+22 25 verursachen zu können. In der chinesischen Studie wurde angenommen, dass es ein ganz normaler Stern mit acht Sonnenmassen sei.
Astronomen der FAU und der Universität Potsdam schauten sich das in der chinesischen Studie analysierte Spektrum des Begleitsterns, welches am Keck Observatorium auf Hawaii aufgenommen wurde, noch einmal genauer an. Sie interessierten sich dabei besonders für die Häufigkeiten der chemischen Elemente an der Oberfläche des Sterns. Dabei fanden sie heraus, dass die gemessenen Häufigkeiten von Helium, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff so gar nicht denen normaler massereicher Sterne ähneln. Das Häufigkeitsmuster dieser Elemente passt viel eher zu einem nuklearen Fusionsprozess von Wasserstoff. Dieser Prozess kann allerdings nur im heißen Kern eines Sterns und nicht an seiner vergleichsweise kühlen Oberfläche stattfinden.
„Auf den ersten Blick wirkt das Spektrum tatsächlich wie das eines gewöhnlichen jungen massereichen Sterns – bis auf einige merkwürde Details. Deswegen haben wir die Daten noch einmal genauer betrachtet“, erklärt Dr. Andreas Irrgang, Erstautor der Studie und Mitarbeiter an der Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg – Astronomisches Institut der FAU.
Die Forscher erklären das ungewöhnliche chemische Häufigkeitsmuster von LS V+22 25 als Folge einer vorherigen Interaktion des Sterns mit seinem Begleiter. Diese Wechselwirkung könnte dazu geführt haben, dass LS V+22 25 seine äußeren Schichten verloren hat und nur noch sein hüllenloser Kern übrig geblieben ist. Dessen chemische Zusammensetzung würde genau wie beobachtet durch den nuklearen Fusionsprozess von Wasserstoff dominiert werden.
Der hüllenlose Kern hätte jedoch deutlich weniger Masse als ein ganz normaler Stern mit acht Sonnenmassen. Die Wissenschaftler kombinierten ihre Ergebnisse mit den neuesten Entfernungsmessungen des Gaia-Weltraumteleskops der Europäischen Weltraumorganisation ESA und schätzten so die Masse von LS V+22 25 auf 1,1 Sonnenmassen (mit einer Unsicherheit von +/-0,5). Dies wiederum bedeutet, dass die Masse seines Begleiters im kleinsten Fall etwa zwei bis drei Sonnenmassen betragen könnte. In diesem Fall müsste es sich nicht unbedingt um ein Schwarzes Loch handeln – es könnte auch ein massereicher Neutronenstern oder ein ganz gewöhnlicher Stern sein.
Und auch wenn der Stern LS V+22 25 erst durch seinen vermeintlichen Begleiter, das zu schwere Schwarzes Loch, große Bekanntschaft erlangte, zieht er als hüllenloser Stern mit sehr hoher Heliumhäufigkeit dank der Arbeiten in Bamberg und Potsdam das Interesse der Fachwelt nun selbst auf sich. Modelle zur Sternentwicklung sagen zwar solche Objekte vorher, aber bisher wurden nur sehr wenige davon tatsächlich entdeckt. Sie können jedoch wesentlich dazu beitragen, dass wir besser verstehen, wie sich Doppelsterne entwickeln.
Weitere Informationen
Dr. Andreas Irrgang
Tel.: 0951/95222-16
andreas.irrgang@fau.de