Das Studentenleben in den 70er Jahren
Alumni berichten von ihrer Studienzeit
Wer kennt das nicht? Unterhält man sich mit seinen Eltern oder Großeltern über das Studium, bekommt man häufig zu hören, dass dieses heutzutage nicht mehr so anspruchsvoll sei und früher sowieso alles besser war. Ob dies tatsächlich der Fall ist, darüber lässt sich streiten – zweifellos hat sich das Studentenleben jedoch verändert. Einen kleinen persönlichen Einblick in das Studentenleben der 70er Jahre gibt Prof. Dr. Dr. Horst Claassen, der von 1972 bis 1979 an der FAU Humanmedizin studiert hat.
Was ist Ihnen aus Ihrer Studienzeit an der FAU besonders in Erinnerung geblieben?
Die Studierenden haben sich in den 70er Jahren politisch sehr stark engagiert. Zum Beispiel haben Angehörige des Marxistischen Studentenbundes vor der Mensa am Langemarckplatz regelmäßig Flugblätter verteilt und forderten einen größeren Einfluss von Studierenden oder Verwaltungsangestellten in universitären Gremien.
Was war früher anders als heute?
Früher gab es keinen vorgefertigten Stundenplan und auch keine Einführungsveranstaltung. Man kam relativ anonym im Studium an und musste sich die Unterrichtsveranstaltungen dann selbst zusammenstellen. Dabei war man sehr auf die Erfahrungen von Studierenden höherer Semester angewiesen. Diese Eigentümlichkeiten der 70er Jahre setzten Entdeckerfreude und Kreativität voraus.
Was fanden Sie besonders herausfordernd?
Auf der einen Seite musste ich den umfangreichen Stoff meines Studiums bewältigen, auf der anderen Seite habe ich in meiner Studentenverbindung verschiedene Ämter ausgeführt. Darüber hinaus war es mir wichtig, alte Kontakte aus meiner Heimat – beispielsweise zu meiner damaligen Tanzpartnerin in Coburg – aufrecht zu erhalten. Das alles erforderte ein gutes Zeitmanagement.
Was hat Ihnen besonders Spaß gemacht?
Schon im ersten medizinischen Fachsemester boten mir Vorlesungen in Klassischer Archäologie einen Gegenpol zum lernintensiven Medizinstudium. Mein Abitur an einem humanistischen Gymnasium lag noch nicht lange zurück und ich hatte wie schon zu Schulzeiten ein großes Interesse an den kulturellen Hinterlassenschaften der Römer und Griechen. So besuchte ich damals bei Prof. Dr. Alois Gotsmich Vorlesungen über die Grabkunst der Etrusker. In höheren Semestern begeisterte mich der berühmte Altphilologe Alfred Heubeck mit seiner Interpretation von Homers Ilias.
Wie ging es nach Ihrem Medizinstudium weiter?
1979 stand ich am Ende des Medizinstudiums, war gerade im Fach Anatomie mit einer Arbeit über den „Sprechmuskel im Kehlkopf von Mensch und Tier“ promoviert worden und hatte die Idee, Skelette mit historischem Hintergrund auszugraben. Es bot sich eine Gelegenheit bei einer schon bestehenden Ausgrabung in Dietfurt an der Altmühl. Hier musste im Zuge der Erweiterung des Rhein-Main-Donau-Kanals ein hallstatt-keltisches Grabhügelfeld aus der Zeit 800 bis 500 v. Chr. mit Skeletten und Leichenbränden geborgen werden. Da ich mich mit der biologischen Auswertung von Skeletten nicht auskannte, studierte ich in München Anthropologie. Mein Zweitstudium finanzierte ich über Praxisvertretungen von Stadt- und Landärzten in Bayern. Mit einer Arbeit über „Hallstatt-keltische Skelette in Nordbayern“ erfolgte 1989 meine Zweitpromotion. Danach arbeitete ich als Assistent am Anatomischen Institut der Kieler Uni und strebte meine Habilitation im Fach Anatomie an.
Und woran arbeiten Sie momentan?
Anfang 2018 bin ich in den Ruhestand gegangen, jedoch helfe ich seit Mai 2018 ehrenamtlich am Institut für Funktionelle und Klinische Anatomie der FAU mit. Ich habe zum Beispiel Studierende im Präparierkurs unterrichtet, Gastvorträge im Rahmen der neuroanatomischen Vorlesungsreihe gehalten oder mein Buch „Kompaktwissen der Kopf- und Halsanatomie für Zahnmediziner“ herausgebracht. Darüber hinaus sind während meines Berufslebens viele Arbeiten liegen geblieben, die ich nun zusammen mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Friedrich Paulsen veröffentlichen möchte. Zusätzlich arbeite ich am Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen im Querschnittsbereich „Mundgesundheit“ mit, wofür ich Prüfungsfragen aus dem Kopf- und Halsbereich für das schriftliche Physikum erstelle. Außerdem hat sich für 2020 die Möglichkeit einer Vertretungsprofessur am Institut für Anatomie der Universität Rostock ergeben, die ich wahrnehmen werde.
Vielen Dank für das Interview, Herr Professor Claassen.