„Wer fromm ist, muss auch politisch sein“
Im Gespräch mit Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
An der FAU haben schon einige bekannte Persönlichkeiten studiert. So auch Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, der seit 2011 das Amt des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern innehat und seit 2014 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. Als Sohn einer Pfarrersfamilie lag ihm das Thema Theologie schon immer nahe – die FAU war schließlich der Ort, an dem er 1981 sein Theologiestudium begann.
Prof. Bedford-Strohm, weshalb haben Sie sich für eine theologische Laufbahn und ein Studium an der FAU entschieden?
Ich habe zunächst ein Jahr Jura, Geschichte und Politikwissenschaften in Freiburg studiert und dann gemerkt, dass ich mich vor allem für Grundsatzfragen und ethische Fragen interessiere. Zu dieser Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit der Bibel und entschloss mich in die Theologie zu wechseln. An der FAU konnte ich mein Theologiestudium direkt beginnen und musste dank eines Feriensprachkurses nicht erst ein Semester Hebräisch belegen. Bis heute habe ich diesen Schritt nie bereut.
An was erinnern Sie sich aus Ihrer Erlanger Studienzeit immer wieder gerne zurück?
Ich denke gerne an bestimmte Professorinnen und Professoren zurück, die mich in den ersten beiden Semestern geprägt haben. Dazu gehörten Prof. Dr. Friedrich Mildenberger und Prof. Dr. Jürgen Roloff, aber auch Prof. Dr. Wilfried Jöst, der als Ephorus in meinem Studentenwohnheim eine sehr persönliche Begleitung bot. Ich erinnere mich aber auch gerne an meine Aktivitäten in der damals entstehenden Friedensbewegung, etwa bei dem wöchentlichen Schweigen für den Frieden auf dem Hugenottenplatz. Auch das Fußballspielen mit der Mannschaft der Theologischen Fakultät habe ich in guter Erinnerung.
Womit konnte man Sie immer vom Lernen abhalten?
Mit dem Diskutieren. In der Küche meines Studentenwohnheims musste nur jemand eine provokante These vertreten und schon wurde stundenlang diskutiert.
Haben Sie heute noch Verbindungen zur FAU oder zu ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen?
In der Tat. Bei einer Predigt in Pfronten im Allgäu bin ich einer ehemaligen Kommilitonin, mit der ich damals intensiv verbunden war, wieder begegnet. Und einige meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen haben heute wichtige Ämter in unserer Kirche inne, die immer wieder dazu führen, dass wir uns treffen.
Auch die Kirche muss in den sozialen Medien präsent sein.
Sie sind in den sozialen Medien sehr aktiv – welche Rolle spielen Netzwerke für Sie?
Soziale Netzwerke sind heutzutage wichtige Lebenswelten. Deswegen bin ich selbst sehr aktiv und finde es wichtig, dass auch die Kirche in den sozialen Medien präsent ist. So lernen wir auch mit den kritischen Seiten, wie der Blasenbildung und der durch die Algorithmen geförderten Befeuerung von Hassbotschaften, umzugehen und können dazu beitragen, dass die Chancen, die die sozialen Medien mit sich bringen, genutzt und die Risiken begrenzt werden.
Sie haben auf Ihrem beruflichen und wissenschaftlichen Werdegang viele unterschiedliche Stationen durchlaufen. Welche davon hat Sie am meisten geprägt?
Es fällt mir schwer, Prioritäten zu nennen. Keine meiner Stationen möchte ich missen. Meine Tätigkeit als Gemeindepfarrer hat mir viele Geschichten ins Herz geschrieben, die mich begleiten: Trauergespräche, Hochzeitsgottesdienste, Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden und die Geschwisterlichkeit in der Gemeinde. Als Dekan der Fakultät Humanwissenschaften der Uni Bamberg habe ich gemerkt, wie wichtig diese Kommunikationserfahrungen für das Gemeinschaftsleben einer Fakultät sind. Auch die internationale Dimension hat in meinem Leben immer eine besondere Rolle gespielt und dann auch meine berufliche Tätigkeit mitgeprägt: Meine drei Aufenthalte in Frankreich während eines Schüleraustauschs, die internationalen akademischen Netzwerke, die meine Arbeit an der Universität geprägt haben und meine jetzige enge Verbundenheit mit den Schwestern und Brüdern in den Partnerkirchen aus aller Welt. Vor allem die Tatsache, dass eine Austauschschülerin aus den USA, die ich an meinem Gymnasium in Coburg kennen gelernt habe, jetzt seit 34 Jahren meine Frau ist, zeigt, wie wichtig verschiedene Stationen für mich waren.
Welche Aufgaben haben Sie heute als Landesbischof?
Als Landesbischofs – um nur wenige Beispiele zu nennen – predige ich überall in Bayern und besuche die Gemeinden. Ich leite den Landeskirchenrat, der wichtige Entscheidungen zur Zukunft unserer Kirche trifft und halte Kontakt zur Politik und zu gesellschaftlichen Organisationen wie etwa als Sprecher des Bayerischen Bündnisses für Toleranz, dem inzwischen 76 Organisationen aus der Mitte der Bayerischen Gesellschaft angehören. Dabei vertrete ich die Position unserer Kirche und beteilige mich auf Basis der christlichen Grundorientierungen an den öffentlichen Debatten.
Seit 2014 sind Sie zusätzlich zu Ihrem Amt als Bayerischer Landesbischof auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Welche Tätigkeiten sind damit verbunden und was bedeutet dieses Amt für Sie?
Auch als Ratsvorsitzender predige ich an unterschiedlichen Orten in Deutschland. Ich führe Gespräche mit Politikerinnen und Politikern und vertrete die evangelische Kirche in der Öffentlichkeit. Ich leite die Gremien der Evangelischen Kirche in Deutschland, wie zum Beispiel den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Kirchenkonferenz. Es ist jeden Tag eine neue Herausforderung die beiden Vollzeitämter so zusammenzuhalten, dass ich ihnen gerecht werde.
Botschafter zwischen den Welten
Welche Möglichkeiten ergeben sich durch Ihre Ämter, die Welt ein Stück besser zu machen?
Unsere Gesellschaft sucht nach Orientierung. Viele der öffentlichen Debatten haben mit ethischen Fragen zu tun. Ich sehe es als meine Aufgabe, altes Orientierungswissen der Bibel in die Diskussion um die Zukunft der Welt einzubringen. Durch unser großes Netzwerk von Partnerkirchen kann ich die Sichtweisen von Menschen aus aller Welt einbringen – sozusagen als Botschafter zwischen den Welten.
Inwieweit sollte oder darf sich die Kirche Ihres Erachtens in politisches Geschehen einmischen?
Die Kirche kann den politischen Horizont gar nicht ausblenden. Wenn die Not des Nächsten auch politische Ursachen hat, müssen wir diese politischen Ursachen betrachten und uns an den Debatten zur Überwindung der Not beteiligen. Deswegen sage ich: Wer fromm ist, muss auch politisch sein.
Die Mitgliederzahlen der Kirche sind seit einiger Zeit rückläufig. Woran liegt das und was ist Ihre Vision von einer modernen Kirche?
Die Mitgliederzahlen heute sind ehrlicher als früher. Aus der Kirche auszutreten war früher mit sozialen Sanktionen verbunden. Heute wählen die Menschen aus freien Stücken, welcher Gemeinschaft sie angehören wollen. Manche Menschen entscheiden sich, die Kirche zu verlassen oder ihr gar nicht erst anzugehören. In dieser Situation geht es darum, den Menschen von heute deutlich zu machen, weshalb es wunderbar ist, die christliche Botschaft zur Basis des eigenen Lebens zu machen. Das können wir am besten tun, wenn wir als Kirche die Liebe ausstrahlen, von der wir sprechen.
Was sagen Sie Menschen, die nicht gläubig sind?
Ich respektiere, dass sie keinen Zugang zum Glauben haben. Jeder Mensch ist Gottes gutes Geschöpf, unabhängig davon, was sie oder er glaubt. Aber natürlich sage ich, weshalb ich meine Pflicht, dass der Glaube für das heutige Leben eine höchst attraktive und relevante Option ist. Er schenkt den Menschen Hoffnung und lässt sie schwere Zeiten besser durchstehen.
Welches ist Ihr Herzensthema?
Mein Herzensthema ist die Liebe. Mein Buch über die Kirche, das ich vor zwei Jahren veröffentlicht habe, heißt: „Radikal lieben. Anstöße für die Zukunft einer mutigen Kirche“. Ich glaube, dass Gottesliebe und Nächstenliebe untrennbar zusammengehören. Man kann nicht beten und über die Not des Nächsten einfach hinwegsehen.
In Ihrer Freizeit spielen Sie Fußball, Geige und Sie tanzen gern. Wie viel Zeit bleibt Ihnen denn noch dafür?
Leider bleibt mir tatsächlich nur sehr wenig Zeit für Hobbys. Am wichtigsten ist mir, Zeit mit meiner Frau, meinen Söhnen und der ganzen Familie zu haben. Diese Zeit genieße ich immer sehr.
Was geben Sie den heutigen Studierenden mit auf den Weg?
Führt nicht nur euer Pflichtprogramm durch, sondern lasst Raum für Dinge, die euch interessieren. Prüfungen sind nötig, aber es gibt auch ein Leben außerhalb davon. Das gilt sowohl für die Breite des Horizonts beim Studieren als auch für die Lebensfreude, die auch in der Studienzeit nicht zu kurz kommen darf.
Vielen Dank für das Interview, Prof. Bedford-Strohm!