Die Geburt des Rechtsterrorismus
Eine transnationale Geschichte
Utoya, Christchurch, Halle: Der Rechtsterrorismus lebt wieder auf. Das weckt erneut das Interesse an der Geschichte des rechten Terrorismus. Mit dieser setzt sich die internationale Tagung „Towards a Transnational History of Right-Wing Terrorism“, die vom 21. bis 23. November in der Orangerie der FAU in Erlangen stattfindet, auseinander. Im Interview sprechen die Organisatoren der Tagung Dr. Moritz Florin, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt der Geschichte Osteuropas der FAU, und Dr. Johannes Dafinger, Universität Klagenfurt, über die Ursachen sowie die Geschichte des rechten Terrors und wagen einen Blick in die Zukunft.
Rechter Terror – das ist kein neues Phänomen. Warum lebt der Rechtsterrorismus gerade wieder auf?
Dr. Dafinger: Zum einen ahmen sich die Täter gegenseitig nach. Viele der rechtsterroristischen Anschläge der letzten Zeit ähneln denjenigen von Anders Breivik in Oslo und auf Utoya im Jahr 2011. Zum anderen fühlen sich die – nahezu ausschließlich männlichen – Attentäter bestärkt durch rechtsextreme Verschwörungstheorien und Bedrohungsszenarien. Rechtsterroristen glauben, sie würden „Widerstand“ gegen ein übermächtiges „System“ leisten. Bestärkt werden sie darin durch Hirngespinste wie beispielsweise dasjenige von der Bedrohung des „christlichen Abendlandes“ durch „den“ Islam oder von einem gesteuerten „großen Austausch der weißen Bevölkerung“ durch „kulturfremde“ Einwanderer.
Dr. Florin: In jüngerer Zeit hat sicher auch die Fokussierung der Sicherheitsbehörden auf die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus die Gewalt von rechts begünstig. Hinzu kommen die neuen Möglichkeiten der globalen medialen Vernetzung. Rechtsextreme finden in geschlossenen Gruppen in sozialen Netzwerken Gleichgesinnte, die sie in ihren Anschlagsplänen bestärken oder sogar bei der live gestreamten Tat „dabei“ sind.
Was sind die Ursachen für rechten Terrorismus? Welche Faktoren begünstigen ihn?
Dr. Florin: Auf unserer Konferenz betrachten wir einen sehr langen Zeitraum. Die gesellschaftliche Situation nach dem Ersten Weltkrieg etwa ist mit der Gegenwart schwer zu vergleichen. Allgemeine Ursachen zu benennen, fällt deshalb schwer. Es scheint jedoch einige Faktoren zu geben, die rechte Gewalt häufig begleiten. So geht rechten Gewalttaten meist eine Normalisierung von antisemitischen, ausländerfeindlichen oder rassistischen Äußerungen voraus. Auch laxe Waffengesetze begünstigen den Terrorismus. Besonders fatal ist es, wenn rechte Gewalttäter mehr oder weniger offen von staatlichen Institutionen und Sicherheitsbehörden geduldet oder gar unterstützt werden. Es scheint sich dabei um ein Problem zu handeln, das beinahe alle Fälle von Rechtsterrorismus betrifft, über die wir diskutieren werden.
Was unterscheidet den deutschen Rechtsterrorismus von dem in anderen Ländern Europas?
Dr. Dafinger: Die Tatsache, dass der Terrorismus von rechts in dem Land eine Konjunktur erlebt, das auch die Verantwortung für den Holocaust trägt, macht ihn besonders schwer erträglich. Abgesehen davon gibt es durchaus große Gemeinsamkeiten zwischen den Erscheinungsformen des Rechtsterrorismus in verschiedenen Ländern; fremdenfeindliche und antisemitische Motive etwa gehören gewissermaßen zur Grundausstattung. Auch bei Methoden und Strategien gibt es durchaus Nachahmungseffekte. Ein Anliegen der Konferenz ist es, Verbindungslinien, Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuspüren. Das ist auch gemeint, wenn wir von einer „transnationalen Perspektive“ sprechen.
Seit wann gibt es Rechtsterrorismus in Deutschland?
Dr. Florin: Wenn wir unter Terrorismus Gewaltakte verstehen, die von Einzeltätern oder Gruppierungen aus dem Untergrund verübt werden, und zudem als „rechtsterroristisch“ solche Attentate definieren, die von rechtsradikalen oder rechtsextremen Tätern verübt werden, so fällt die Entstehung des Rechtsterrorismus in die Epoche der Weimarer Republik. Die Morde an Matthias Erzberger und Walter Rathenau erfüllen diese Kriterien. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass diese Attentate eine längere Vorgeschichte in der Entstehung einer radikalen und antisemitischen Rechten im Kaiserreich hatten. Zudem stellt sich die Frage nach transnationalen Verbindungslinien, zumal Deutschland nicht das einzige Land war, in dem nach dem Ersten Weltkrieg Attentate von rechten Gruppierungen verübt wurden. Die Entstehung des Rechtsterrorismus ist insofern keine rein deutsche, sondern eine transnationale Geschichte, innerhalb derer auch etwa rechte Bewegungen in Polen, Russland, der Ukraine, Italien oder Frankreich eine wichtige Rolle spielten.
Dr. Dafinger: Auch in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 hat rechter Terrorismus eine lange, traurige Tradition. Lange vor dem NSU verübten etwa die Deutschen Aktionsgruppen Attentate und auch Morde. Übrigens hat der antisemitisch motivierte Terrorismus auch eine lokale Dimension: Im Jahr 1980 wurden Shlomo Lewin, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von Nürnberg, sowie seine Lebensgefährtin Frida Poeschke von Rechtsextremen ermordet.
Warum ist es gerade jetzt wichtig, unseren Blick auch in die Vergangenheit zu richten?
Dr. Florin: Dass die Konferenz gerade jetzt stattfindet, ist kein Zufall. Anlässe waren die Beendigung des Prozesses gegen den so genannten NSU sowie eine internationale Welle rechtsterroristischer Gewalt, die von Utoya in Norwegen bis nach Christchurch, Neuseeland, reicht. Uns schien, als fehle der Debatte über diese Attentate die historische Perspektive und Einordnung. Nach dem Mord an Walter Lübcke, der Aufdeckung der Gruppe „Revolution Chemnitz“ sowie zuletzt dem Angriff auf die Synagoge in Halle, stellt sich umso drängender die Frage nach der Vorgeschichte dieser Attentate. Wir verstehen Zeitgeschichte insofern auch als „Vorgeschichte gegenwärtiger Problemlagen“, ein Zitat von Historiker Hans Günter Hockerts, die Orientierungswissen für die Debatten der Gegenwart liefert.
Dr. Dafinger: Darüber hinaus gebietet es auch der Respekt vor den Opfern, die Geschichte rechten Terrors aufzuarbeiten. Im kollektiven Gedächtnis ist die Welle des rechten Terrors zu Beginn der 1980er-Jahre, zu der auch etwa das Oktoberfestattentat zählt, weit weniger fest verankert als die Erinnerung an die Taten der RAF. Die aktuelle Welle rechter Gewalt ist insofern auch ein Anlass, an diese verdrängte Geschichte, und gerade in Erlangen auch an die Ermordung Lewins und Poeschkes, zu erinnern.
Wie schätzen Sie zukünftige Entwicklungen ein?
Dr. Florin: Um Adorno zu zitieren: „Ich halte diese Frage für falsch, denn sie ist viel zu kontemplativ.“ Der Terrorismus ist keine Naturkatstrophe, über die man Voraussagen treffen kann. Wir sollten uns zudem dessen bewusst sein, dass jede Prognose über unser zukünftiges Handeln mitbestimmt. Was man vielleicht sagen kann: Fatal wäre es, wenn es Rechtsextremen gelingen würde, mit ihren Slogans weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Unsere Hoffnung ist, dass die gegenwärtige Anteilnahme kein Strohfeuer bleibt. Aufgabe einer demokratischen und offenen Gesellschaft ist es, ihre Abscheu für die Taten zu zeigen, sich nicht beirren zu lassen und den Tätern und ihren Unterstützern also nicht nur die Verwerflichkeit, sondern auch die Sinnlosigkeit ihrer Attentate vor Augen zu führen.
Um Anmeldung zur Tagung per E-Mail an oeg-sekretariat@fau.de wird gebeten.
Ausführliche Informationen zum Programm.
Weitere Informationen:
Dr. Moritz Florin
Tel.: 09131/85-24759
moritz.florin@fau.de