Rezession und Kurzarbeit
Prof. Dr. Christian Merkl über Kurzarbeit und die Lehren aus der Rezession von 2009 für die Zukunft
Vor dem Hintergrund des zurückgegangenen Wirtschaftswachstums in Deutschland, stieg die Anzahl der Anträge auf Kurzarbeit in den letzten Monaten deutlich an. Hierbei kürzen Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer, diese erhalten für den reduzierten Arbeitsanteil eine Kompensation in Höhe des Arbeitslosengelds I von der Bundesagentur für Arbeit. Auch während der Rezession von 2009 kam das arbeitsmarktpolitische Instrument zum Einsatz. Prof. Dr. Christian Merkl, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik der FAU hat deren Wirksamkeit in der Krise von 2009 untersucht und beantwortet, welche Lehren daraus für den derzeitigen wirtschaftlichen Abschwung gezogen werden können.
Prof. Merkl, welchen Einfluss hatte die Kurzarbeit auf den Arbeitsmarkt während der Rezession 2009?
Während der Großen Rezession im Jahr 2009 befanden sich rund 1,5 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Zusammen mit den beiden FAU-Forscherinnen Prof. Dr. Britta Gehrke und Brigitte Hochmuth sowie der Aachener Kollegin Prof. Dr. Almut Balleer zeigen wir, dass dadurch bis zu 850.000 Arbeitsplätze gerettet wurden.
Sie unterscheiden in Ihrer Forschung zwischen regelgebundener und diskretionärer Komponente von Kurzarbeit. Wo liegt der Unterschied und warum ist eine Unterscheidung wichtig?
Unternehmen können zu jedem Zeitpunkt Kurzarbeit bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Wir bezeichnen dies als die regelgebundene Komponente der Kurzarbeit. In der Vergangenheit wurde darüber hinaus der Zugang zur Kurzarbeit für bestimmte Zeiträume durch zusätzliche Maßnahmen weiter erleichtert, zum Beispiel durch eine Verlängerung der maximalen Bezugsdauer oder höhere Subventionen. Diese ad-hoc-Politikmaßnahmen bezeichnen wir als die diskretionäre Komponente der Kurzarbeit.
Die regelgebundene Komponente der Kurzarbeit hat zwei Vorteile gegenüber der diskretionären. Erstens ist sie klar vorhersehbar, weswegen Unternehmen dies in ihre Personalplanung einbeziehen. Durch entsprechende Erwartungen wird das Einstellungs- und Entlassungsverhalten automatisch stabilisiert. Zweitens wirkt die regelgebundene Komponente zum richtigen Zeitpunkt, nämlich dann, wenn viele Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Dadurch werden Mitnahmeeffekte klein gehalten.
Vor diesem Hintergrund schlagen wir eine Stärkung der Regelgebundenheit im Gesetz vor. Denkbar ist, dass der Zugang zur Kurzarbeit automatisch erleichtert wird, wenn das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts unter einen bestimmten Schwellenwert fällt. Entsprechende Veränderungen könnten bereits jetzt im Gesetzgebungsprozess verabschiedet werden. In kommenden Rezessionen wären dann keine hektischen Änderungen mehr notwendig, da die stärkeren Stabilisierungswirkungen automatisch greifen würden. Die Politik könnte sich dann zurücklehnen und die Früchte ernten.
Neben der Kurzarbeit machen Sie aber auch andere Instrumente und Effekte für das positive Abschneiden des deutschen Arbeitsmarktes im Jahr 2009 verantwortlich. Welche sind das und welchen Einfluss hatten diese?
Die zusätzlichen Faktoren sind in der wissenschaftlichen Debatte durchaus umstritten. Es lässt sich beobachten, dass in Folge der Rezession 2008 und 2009 Unternehmen sehr stark Arbeitskräfte gehortet haben. Kurzarbeit war sicherlich ein treibender Faktor hierfür, aber nicht der einzige. Darüber hinaus wird oft auf die Rolle von Arbeitszeitkonten verwiesen. Ich bin aber skeptisch, dass Arbeitszeitkonten der Kerntreiber gewesen sein können. In den Daten finden wir zum Beispiel keine nennenswerten Unterschiede in der Beschäftigungsanpassung zwischen Betrieben mit und ohne Arbeitszeitkonten.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass Deutschland in der Großen Rezession eine Sondersituation hatte. Die Arbeitslosigkeit bewegte sich seit dem Jahr 2005 von einem hohen auf ein niedriges Niveau. Dafür verantwortlich waren unter anderem die Hartz-Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003 bis 2005. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit wurde zwar durch die Große Rezession kurz unterbrochen, ging aber danach unmittelbar weiter. Vor dem Hintergrund dieses Arbeitsmarktaufschwungs hielten Unternehmen in der Rezession ihre Belegschaft weitgehend konstant und setzten im Anschluss den Beschäftigungsaufbau fort.
Welche Lehren lassen sich angesichts des sich ankündigenden weltwirtschaftlichen Abschwungs aus der Krise von 2009 ziehen?
Die Sonderwirkungen eines zeitgleichen strukturellen Arbeitsmarktaufschwungs werden in der anstehenden Rezession nicht mehr vorhanden sein. Sollte die Rezession also ähnlich dramatisch ausfallen wie die 2009, rechne ich folglich mit deutlich sichtbareren Spuren auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Vor diesem Hintergrund wäre es besonders zielführend, eine noch stärkere Regelgebundenheit der Kurzarbeit zu etablieren, so dass dieses Instrument seine maximale Stabilisierungswirkung entfalten kann.
Weitergehende Informationen finden Sie auf der Webseite des ifo-Instituts.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christian Merkl
Tel.: 0911 5302-337
christian.merkl@fau.de