Was Sprache macht

Zwei gleich befüllte Gläser
Sprache prägt, wie wir unsere Welt wahrnehmen: Ist das Glas halb voll oder halb leer? (Bild: Uwe Niklas)

Was ist Framing?

Weitgehend unbemerkt beeinflusst Sprache, wie wir die Welt wahrnehmen. Wie Worte unser Denken formen, erforscht die Sozialpsychologin Prof. Dr. Susanne Bruckmüller.

Interview von Gesa Coordes

Frau Prof. Bruckmüller, Sie forschen über Framingeffekte, Metaphern und Vergleiche. Was ist Framing?

Breit definiert handelt es sich um die Art und Weise, über ein Thema zu sprechen. In der Psychologie meinen wir damit meistens, dass inhaltlich eigentlich äquivalente Formulierungen zu unterschiedlichen Reaktionen führen. Wenn ich sage „Raucher sterben früher“ oder „Nichtraucher leben länger“, dann ist das logisch eigentlich genau das Gleiche. Trotzdem reagieren Menschen teilweise unterschiedlich darauf.

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat sein Gesetz über erleichterte Abschiebungen „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ genannt. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl spricht dagegen vom „Hau-ab-Gesetz“. Ist das ein Beispiel für Framing?

Genau. Darin steckt auch noch die Frage, welchen Namen ich einem Thema gebe. Aber ja, das ist auch ein Teil von Framing. Wer Reden für eine Politikerin oder einen Politiker schreibt, überlegt natürlich sehr genau, wie er was formuliert. Dahinter stehen dann auch strategische Überlegungen.

Professorin in Büro
Bild: FAU/Georg Pöhlein

Sozialpsychologin Prof. Dr. Susanne Bruckmüller

Prof. Dr. Susanne Bruckmüller wurde nach dem Psychologiestudium in Erlangen-Nürnberg und Kansas (USA) sowie Forschungsaufenthalten in Exeter (Großbritannien) und Leuven (Belgien) Juniorprofessorin für Sozialpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. 2017 folgte sie dem Ruf auf den Lehrstuhl für Sozialpsychologie mit Schwerpunkt Gender und Diversität der FAU.

Ist dieser Effekt in der Regel unbemerkt?

Meistens. Manchmal fällt einem etwas auf, wenn eine Formulierung sehr ungewöhnlich ist. Gerade in der Politik hat man gelegentlich Formulierungen, über die man wirklich stolpert. Da fragt man sich schon, warum jemand das gerade so sagt. Aber sehr häufig passiert es tatsächlich unbewusst. Dann formulieren wir die Dinge eben so, wie sie sich für uns spontan gut anhören, ohne dass eine Absicht dahintersteckt.

Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Während des Studiums habe ich zwei Jahre in den USA studiert, wo ich einen Kurs zu Kultur und Psychologie besucht habe. Dort musste ich ganz oft erklären, warum wir in Deutschland manche Dinge anders handhaben als die Menschen in den USA. Ich war da immer in einer verteidigenden Position. Aber irgendwann wurde mir bewusst, dass man so einen Vergleich auch umdrehen kann. Man kann doch genauso gut fragen, warum die Amerikanerinnen und Amerikaner vieles so oder anders machen. Das Thema hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. So erklären wir eher, inwiefern Schwule und Lesben anders sind als Heterosexuelle, als umgekehrt. Wir reden darüber, inwiefern Migrantinnen und Migranten anders sind als die einheimische Bevölkerung. Wir beschreiben Geschlechterunterschiede häufiger mit dem Fokus auf Frauen.

Was hat dieser Blickwinkel für Konsequenzen?

Gerade für Gruppen, die sowieso stigmatisiert sind oder einen niedrigeren Status haben oder nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen, kann es dazu führen, dass sie sich weniger wohl in ihrer Haut fühlen. Das konnten wir unter anderem in Studien mit Singles und Menschen in einer Partnerschaft zeigen. Wenn man Frauen mit Männern vergleicht, führt es dazu, dass man den Männern den höheren Status zuschreibt. Die Männer bleiben dann im Hintergrund und werden nicht hinterfragt. Ungleichheit wird dadurch aufrechterhalten oder sogar verstärkt.

Schere
Sprache prägt, wie wir unsere Welt wahrnehmen – zum Beispiel das Bild der „Schere zwischen Arm und Reich“. (Bild: Uwe Niklas)

Sie haben ein Forschungsprojekt über „Framingeffekte in Kontexten sozialer Ungleichheit“. Worum geht es da?

Wir betrachten vor allem ökonomische Ungleichheit. Wir untersuchen zum Beispiel Metaphern wie die „Schere zwischen Arm und Reich“. Mit Hilfe von mehr als 100 Versuchspersonen sehen wir uns an, wie sich das auswirkt, wenn man solche Bilder verwendet. Aber auch dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ich eher sage „Die Armen haben weniger als die Reichen“ oder „Die Reichen haben mehr als die Armen“. Interessanterweise wird der erste Satz als Problem wahrgenommen. Viel weniger zu haben als andere, fühlt sich ungerecht an. Aber der zweite Satz ist für die Menschen nicht so problematisch.

Was bewirkt es, wenn ich sage, „Kaffee hat mehr Koffein als schwarzer Tee“ oder „Schwarzer Tee hat weniger Koffein als Kaffee“?

Bei solchen Formulierungen hängt es davon ab, was sich vertrauter anhört. Generell wählen Menschen spontan viel häufiger „mehr-als“-Vergleiche. Das führt dazu, dass sie diese Vergleiche glaubwürdiger finden. Deswegen glauben die Leute eher der Aussage, dass Kaffee mehr Koffein als schwarzer Tee hat, als ihrem Pendant. Unsere Versuchspersonen fanden Texte mit vielen „mehr-als“-Vergleichen viel besser geschrieben, seriöser und glaubwürdiger als Texte mit zahlreichen „weniger-als“-Vergleichen, obwohl faktisch genau das Gleiche drinstand.

Bei Studien in Großbritannien haben Sie auch Metaphern untersucht. Was bewirken sprachliche Bilder?

Metaphern wie die von der „gläsernen Decke“, durch die Frauen nicht durchkommen, oder dem in England gängigen „Old Boys’ Club“ führen erst einmal dazu, dass man das Thema interessanter und wichtiger findet. Durch so ein Bild wird ein Problem gut veranschaulicht. Aber gleichzeitig muss man darauf achten, wer im Vordergrund steht. Wenn ich sage „Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert“ – egal, ob ich noch ein Bild verwende oder nicht –, dann setzen die Erklärungen auch bei den Frauen an. Dann heißt es, dass Frauen sich nicht so für Karriere interessieren und ihr Berufsleben immer mit der Familie vereinbaren wollen. Wenn der Fokus auf den überrepräsentierten Männern liegt, kommen mehr Äußerungen, die bei den Männern oder bei Strukturen ansetzen. Etwa, dass von Männern eher erwartet wird, dass sie Karriere machen oder dass Männer Probleme mit Frauen in Führungspositionen haben oder dass Organisationskulturen stark männlich dominiert sind. Und auch die Lösungsvorschläge setzen dann je nach Fokus eher bei den Frauen oder den Strukturen an. Deswegen ist es wichtig, die im Hintergrund bleibenden Strukturen sichtbar zu machen. Es gibt ja vielleicht auch den ein oder anderen Mann, der von so einer gläsernen Decke oben gehalten wird, obwohl er da gar nicht hingehört. Man könnte auch nach Vorstellungen von Führung und Karriere fragen. Damit wird es von einem Frauen- zu einem gesellschaftlichen Thema.

Kaffe und Tee
Sprache prägt, wie wir unsere Welt wahrnehmen: Hat Kaffee mehr Koffein als Tee oder Tee weniger Koffein als Kaffee? (Bild: Uwe Niklas)

Häufig diskutiert wird über gendergerechte Sprache.

Meistens geht es dabei darum, ob ich zum Beispiel von Studenten spreche, aber Studentinnen und Studenten meine. Grammatikalisch ist das in Ordnung. Wir wissen aber aus umfangreicher Forschung, dass dies die Menschen nicht so verstehen. Wenn ich „Studenten“ höre, denke ich viel mehr an Männer als an Frauen. Wenn ich nach drei Politikern frage, werden eher Männer genannt, als wenn ich nach drei Politikerinnen und Politikern frage. Ein Alltagsbeispiel: Während eines Kindergeburtstages gab es ein Quizspiel. Gefragt wurde: Wer ist der deutsche Bundeskanzler? Da guckten alle Kinder ratlos. Man konnte richtig sehen, wie sie verzweifelt nach irgendeinem Mann suchten, der das sein könnte. Erst als die Betreuerin ergänzte „oder Bundeskanzlerin“, kamen sie sofort auf Angela Merkel. Die geschlechtergerechte Sprache möchte, dass man möglichst alle Menschen nennt, die man meint.

Daran entzündet sich ja sogar in der Wissenschaft oft massive Kritik. Ist Ihnen das schon begegnet?

Es gibt viele Menschen, die geschlechtergerechte Sprache ablehnen, darunter auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber das sind in der Regel nicht diejenigen, die sich tatsächlich fachlich mit Sprache und Kognition befassen. Die Daten sind nämlich recht eindeutig. Ein Großteil des Widerstandes kommt aber auch daher, dass es anstrengend ist, die eigene Sprache zu verändern. Das wird häufig als Einschränkung der persönlichen Freiheit erlebt. Tatsächlich will aber kaum jemand Privatpersonen vorschreiben, wie sie sprechen müssen.

Kann man sagen, dass Worte unbemerkt verführen?

Solche Ängste gibt es zwar. Diese Formulierung würde ich aber nicht wählen. Worte haben einen sehr starken Einfluss darauf, wie wir denken und wie wir Dinge sehen. Das sind aber häufig unbewusste Prozesse. Kleine Unterschiede in der Formulierung haben manchmal recht große Auswirkungen darauf, wie wir über ein Thema nachdenken. Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir Dinge formulieren. Wir sollten viel bewusster mit Sprache umgehen. Wenn man sich dann für den männlichen Begriff entscheidet, dann ist das wenigstens eine bewusste Entscheidung und nicht einfach etwas, was aus Versehen oder aus Gewohnheit passiert.

Über die Autorin

Gesa Coordes hat ihr eigenes Journalistenbüro gegründet, wo ihre Schwerpunkte auf Universität, Wissenschaft und Medizin liegen. Sie ist ständige Mitarbeiterin der Deutschen Universitätszeitung und war 20 Jahre lang Marburger Korrespondentin der Frankfurter Rundschau.


FAU-Forschungsmagazin friedrich

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