Unter dem Meer
… verbirgt sich eine ganz eigene Welt: Aktive Vulkane formen die Unterwasserlandschaft, während lebende Kugeln aus Kalk Wohnraum für unzählige Bewohner bieten.
von Roland Knauer
Steinkorallen gelten als Star-Architekten der Ozeane, weil die winzigen Polypen in den warmen Meeren der Tropen gigantische Unterwasser-Städte bauen. Ihre Hochhäuser aus Kalk wachsen zu einer bunten Skyline zusammen, deren Länge von über tausend Kilometer jede Mega-City der Menschen locker in den Schatten stellt. Durch diese riesigen und zugleich filigranen Strukturen wimmelt eine farbenprächtige Vielfalt des Unterwasserlebens, ungezählte Arten nutzen tropische Riffe als Kinderstube, Jagdrevier oder Versteck. Und ähnlich den Baumeistern an Land konstruieren auch unter Wasser etliche Architekten Wohnraum für Abertausende Unterwasser-Bewohner, die nicht in einem Korallenriff leben.
Baumeister unter Wasser
Zu diesen Konstrukteuren von Wohnraum in den Meeren gehören die Rotalgen, die Dr. Sebastian Teichert vom Lehrstuhl für Paläoumwelt der FAU und Dr. Max Wisshak vom Senckenberg am Meer Wilhelmshaven im Nordpolarmeer bei Spitzbergen untersucht. Diese Algen bauen zwar ebenfalls mit Kalk, nur bevorzugen sie anstelle filigraner Architektur schlichte, runde Kugeln. Und statt der Skyline eines Korallenriffs sieht der Forscher ein farbenprächtiges Geröllfeld unter Wasser, in dem dicht gedrängt die von den Rotalgen konstruierten Kalkkugeln liegen. „Mit dem Tauchboot ,JAGOʻ vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel können wir diese Kalkkugeln vom Meeresgrund aufsammeln und anschließend im Labor untersuchen“, erklärt der Paläontologe.
Im Kern solcher Kugeln findet der Forscher meist einen Kieselstein, den die Gletscher einst dorthin getragen haben, oder die Schale einer längst abgestorbenen Muschel. „Ähnlich wie eine Flechte auf einem Baum wächst, siedeln sich auf solchen Unterlagen oft auch gleich mehrere Rotalgen an, die durchaus zu verschiedenen Arten gehören können“, fasst der Forscher die Geburtsstunde solcher Kalkkugeln zusammen, die wissenschaftlich „Rhodolithe“ heißen. Wie Pflanzen an Land nutzen die Rotalgen das Licht der Sonne als Energiequelle, um zu wachsen. Um einen festen Halt zu haben und sich selbst zu schützen, scheiden die Algen Kalk aus, der ähnlich wie bei Korallen mit der Zeit eine feste Schicht bildet. Weil Unterwasserströmungen und -lebewesen auf der Suche nach Nahrung die Kieselsteine und Muschelschalen mitsamt den Rotalgen immer wieder bewegen und umdrehen, wächst diese Kalkschicht im Laufe der Zeit in alle Richtungen, sodass sich wie von selbst Kugeln bilden.
Diese Kugeln haben meist einen Durchmesser von 15 bis 20 Zentimetern, sind also nur wenig kleiner als ein Fußball. Und sie sind oft steinalt, schließlich wächst ihre Kalkschicht nur mit einem Tempo von rund einem Drittelmillimeter im Jahr. Einer dieser Rhodolithe war bereits 92 Jahre alt, andere dürften sogar deutlich älter sein. Die meisten dieser Kalkkugeln findet Sebastian Teichert rund 40 Meter unter den Wellen, manche wachsen aber auch in 80 und andere in nur 15 Metern Tiefe. In ihren obersten Schichten fangen die Rotalgen auf diesen Kugeln Sonnenlicht ein und wachsen langsam weiter. Die tieferen Schichten sind dagegen längst abgestorben. Genau dort suchen Bohrmuscheln Schutz, die sich durch die äußere Hülle bis in eine Tiefe bohren, in der sie vor Feinden sicher sind. Durch einen kleinen Kanal strömt Wasser zu den etwa drei Zentimeter großen Bohrmuscheln, aus dem sie ihre Nahrung filtern. „Manchmal leben in einem einzigen Rhodolith zehn oder sogar 15 dieser Muscheln, ohne den Rotalgen zu schaden“, erklärt Teichert. Sterben die Muscheln, ziehen oft Nachmieter wie andere Muscheln oder auch Schlangensterne ein, die ihrerseits eine beliebte Beute des Kabeljaus sind. Die Rotalgen bauen also nicht nur sich selbst eine sichere Unterlage, sondern liefern auch Wohnraum für eine Reihe weiterer Tiere. So reichern die kleinen Baumeister ähnlich wie die Korallen der Tropen die Artenvielfalt rund um Spitzbergen kräftig an.
Die Vulkane bei Athen
Und das keineswegs nur im Nordpolarmeer, sondern bis zu den Tropen in praktisch allen Meeren der Welt. Prof. Dr. Karsten Haase vom Lehrstuhl für endogene Geodynamik der FAU hat zum Beispiel im Mittelmeer solche Rhodolithe vom Meeresgrund geholt. Das war allerdings eher ein „Beifang“ (siehe Kasten), eigentlich sucht der Geologe dort Vulkangesteine. Schließlich verbergen sich unter dem Meer nicht nur Korallen, Rotalgen und andere Lebewesen, sondern auch ausgewachsene Vulkane. Unter diesen Vulkanen versinkt in der Ägäis ein Teil der Afrikanischen Platte im Erdinneren und lässt dabei das Gestein ein wenig schmelzen. Ähnliche Vorgänge analysiert Karsten Haase auch in der Südsee, unter deren Wellen sich ebenfalls Hunderte von Vulkanen verbergen. Dort stößt eine gigantische Erdplatte, die auf ihrem Rücken große Teile des Pazifiks trägt, mit einer anderen zusammen, die neben Australien und Neuseeland auch Teile des südwestlichen Pazifiks beherbergt. Da sich die riesigen Platten nur wenige Zentimeter im Jahr bewegen, ähnelt das Ganze dem Zusammenprall zweier Dampfwalzen in Zeitlupe. Dabei taucht die Pazifische Platte schräg unter die Australische ab. Solche Subduktionen gibt es zwar in einigen Regionen des Globus, allerdings messen Geoforscher im Bereich der Tonga-Inseln eine Rekordgeschwindigkeit im Schneckentempo: „Mit 24 Zentimetern im Jahr gleiten die Platten dort aneinander vorbei“, erklärt Karsten Haase.
Beifang
Aus dem klassischen Griechenland gibt es Berichte von Vulkanausbrüchen im Großraum Athen, von denen die Wissenschaft im 21. Jahrhundert aber wenig weiß. Als Karsten Haase mit dem Forschungsschiff „Poseidon“ den Meeresgrund in 50 bis 400 Metern Tiefe genauer unter die Lupe nahm, entdeckte er gerade einmal 50 Kilometer von Athen entfernt nicht nur eine, sondern gleich sechs Vulkanstrukturen. Und als die Forscher von diesen anscheinend erloschenen Vulkanen für genauere Analysen im Labor Lava an Bord holten, mussten sie feststellen, dass andere längst vor ihnen den Vulkan entdeckt hatten: Die Lavabrocken waren von einer Rhodolith-Kalkschicht überwuchert, die eifrige Rotalgen produziert hatten.
Bei dieser Kollision entsteht ein Graben im Meer, dessen Grund im Witjas-Tief 2, ein wenig südlich der Tonga-Inseln, 10.882 Meter unter dem Spiegel des Pazifiks liegt. Hinter diesem 2500 Kilometer langen Kermadec-Tonga-Graben taucht die Pazifische Platte langsam immer tiefer unter die Australische. Mit jedem weiteren Kilometer steigt der Druck und presst Wasser aus der Pazifischen Platte in das darüberliegende, heiße Erdinnere, das dadurch langsam aufweicht. Diese zähflüssige Gesteinsschmelze ist ein klein wenig leichter als ihre etwas festere Umgebung und steigt daher langsam in die Höhe. Erreicht dieses „Magma“ den Meeresgrund, bricht in der Tiefe ein Vulkan aus. Nach diesem Muster entstehen in Subduktionszonen von Süd- und Nordamerika über Japan bis nach Indonesien Vulkane, die sich häufig wie Perlen einer Kette nebeneinanderreihen.
Bei den Tonga-Inseln aber brechen die Unterwasser-Vulkane nicht nur entlang einer solchen „Perlenkette“, sondern auch an vielen anderen Stellen aus. „Vielleicht reißt das sehr schnelle Abtauchen der Pazifischen Platte auch an anderen Stellen die Erdkruste auf, an denen dann Vulkane ausbrechen“, überlegt Karsten Haase. Was bei den Tonga-Inseln anders als auf dem Rest des Globus ist, haben der Forscher und seine Kolleginnen und Kollegen im Juni 2018 mit dem Forschungsschiff „Sonne“ und dem Tauchroboter QUEST vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften MARUM der Universität Bremen unter die Lupe genommen.
Schwarze Raucher
Von einem Piloten an Bord der „Sonne“ gesteuert, bewegt sich QUEST mit eigenem Antrieb, aber per Kabel mit dem Schiff verbunden, in Tiefen von bis zu 4000 Metern über den Meeresgrund und beobachtet mit hochauflösenden Kameras seine Umgebung. „Wir haben dort unten überraschend viele schwarze Raucher gesehen“, berichtet Karsten Haase. So werden Gebilde am Grund genannt, die an sich abkühlenden Vulkanen entstehen. Mit Temperaturen bis über 300 Grad Celsius steigt dort eine Lösung auf, in der sich jede Menge Mineralien finden. Bei Kontakt mit dem in der Tiefe gerade einmal zwei Grad kalten Meerwasser fallen diese als schwarze Eisen- oder Kupfersulfide wieder aus. Die in dieser dunklen Wolke des schwarzen Rauchers entstandenen Verbindungen rieseln in der Umgebung langsam auf den Meeresboden. Aus denselben heißen Flüssigkeiten fallen bei bestimmten Temperaturen und unter bestimmten Umständen auch Kupfererze und Gold aus, die sich dann im Inneren der Vulkane ablagern. „Wir können dort also unter Umständen beobachten, wie solche Lagerstätten einst entstanden sind, aus denen wir sehr viele Jahrmillionen später an Land dann zum Beispiel Kupfer gewinnen“, erklärt Karsten Haase.
Gespannt beobachten daher die Forscher an Bord der „Sonne“ die hoch aufgelösten Bilder, die in das Schiff übertragen werden. Entdecken sie etwas besonders Interessantes, können sie Proben nehmen: An QUEST befestigte Greifarme sind in der Lage, Gesteinsproben einzusammeln und in Spezialbehältern Proben der aus dem schwarzen Raucher strömenden Flüssigkeit an Bord zu bringen, um sie später im Labor unter die Lupe zu nehmen.
Dort bestimmen die Forscher dann zum Beispiel das Alter der mitgebrachten Steine und können so vielleicht besser schätzen, seit wann die Pazifische Platte bei den Tonga-Inseln in die Tiefe taucht. Aus dem gesammelten Vulkangestein wollen die Forscher auch erfahren, wie sich die Magmen einst gebildet haben und welche Prozesse sie beim Aufsteigen Richtung Meeresgrund geformt haben. Die Zusammensetzung der Flüssigkeiten, die aus den schwarzen Rauchern strömen, verrät nicht nur, ob sich dort vielleicht gerade neue Lagerstätten wertvoller Erze bilden, sondern gibt auch Hinweise darauf, wo und wie diese Lösungen entstanden sind. Noch ist das Team dabei, seine Daten zu gewinnen und zu sichten. Am Ende aber dürften die Wissenschaftler ein wenig besser verstehen, was in dieser einmaligen Unterwasser-Vulkanlandschaft bei den Tonga-Inseln im Südpazifik gerade passiert. So lüften sie langsam, aber sicher die Geheimnisse, die sich tief unter den Wellen verbergen.
Unter der Erde
Im tiefen Untergrund Nordbayerns ist es circa 10 Grad wärmer als üblich. Warum das so ist, ist noch unbekannt. Wie FAU-Geologen dem Rätsel nun auf den Grund gehen, lesen Sie in einem Beitrag auf fau.de.
Über den Autor
Roland Knauer ist promovierter Naturwissenschaftler, er lebt und arbeitet als Journalist und Autor mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften in der Marktgemeinde Lehnin. Unter www.naturejournalism.com stellt er sich vor.
FAU-Forschungsmagazin friedrich
Dies ist ein Beitrag aus unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe nimmt Sie mit auf eine Entdeckungsreise ins „Verborgene“: Sie schaut auf für unser Auge unsichtbare, oftmals von uns unbemerkte und vor uns versteckte Dinge. Sie wirft aber auch einen Blick dorthin, wo wir gar nicht hinsehen wollen: auf Tabus.
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