Der vernachlässigte Sinn
Jemanden riechen zu können, ist eine verbreitete Metapher. Wie viel Wahrheit jedoch in diesem Sprachbild steckt, zeigt ein Forschungsfeld, das immer verblüffendere Ergebnisse liefert. Denn offenbar nehmen wir unbewusst Signaturen wahr, die uns mehr über andere Menschen verraten, als wir glauben.
Tränen trauriger Frauen
Israelische Forscher haben beispielsweise nachgewiesen, dass in den Tränen, die Frauen bei einem traurigen Film vergießen, ein Botenstoff enthalten ist, der die sexuelle Aktivierung von Männern zügelt. In einem anderen Experiment wurde gezeigt, dass Menschen den beim Händeschütteln übertragenen Geruch des Gegenübers prüfen, indem sie die Hand oft und unbewusst an die Nase führen. Bekannt ist seit Längerem, dass der Geruchssinn eine wichtige Rolle bei der Wahl eines Partners oder einer Partnerin spielt, weil er uns – ebenfalls unbewusst – Informationen über das Immunsystem des anderen liefert.
„Die Verarbeitung von Gerüchen ist ein sehr emotionales System und bestimmt unsere soziale Interaktion“, sagt Prof. Dr. Jessica Freiherr. An der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der FAU und am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV erforscht sie, welche Informationen durch Geschmack und Geruch übertragen und wie sie im Gehirn verarbeitet werden. Dafür werden unter anderem aktivierte Hirnareale auf MRT-Bildern ausgewertet und emotionale Erregungen über den Herzschlag, die Atmung oder die Hautleitfähigkeit ermittelt.
Chemische Formel gesucht
Welche Moleküle für die Geruchsinformation eigentlich verantwortlich sind, soll im Projekt „Human Body Odours: Exploring Chemical Signatures“ entschlüsselt werden, das die FAU im Rahmen der Emerging Fields Initiative (EFI) fördert. Dafür wird zum Beispiel der Schweiß gesunder Probanden in verschiedenen emotionalen Zuständen wie Angst, Trauer oder Wut olfaktorisch analysiert: Ein geschultes Team „beschnüffelt“ die Proben und versucht, die Gerüche zu kategorisieren. „Ein wichtiges Ziel unserer Arbeit ist es, geeignete Methoden zu entwickeln, um die Vielfalt an unterschiedlichen Geruchsstoffen zu charakterisieren und mit demografischen, mikrobiologischen und sensorischen Daten in Verbindung zu bringen“, erklärt Projektleiterin Dr. Helene Loos.
In einem zweiten Schritt analysieren die Forscherinnen und Forscher die Proben mithilfe eines Gaschromatografen und eines Massenspektrometers, um hinter das Geheimnis der biochemischen Mechanismen zur Informationsübertragung zu gelangen. Zwar können charakteristische Geruchsstoffe wie Säuren, Thiole und Steroide im Achselschweiß nachgewiesen werden, dennoch ist bisher nicht geklärt, welche chemischen Verbindungen die Informationen über Emotionen und andere Merkmale der Person transportieren. „Die identifizierten Geruchsstoffe müssen nicht zwingend die Substanzen sein, die unser Verhalten beeinflussen“, sagt Helene Loos.
Für die Entschlüsselung der Geruchsübertragung und -rezeption interessiert sich nicht nur die Neurowissenschaft und die Verhaltensforschung, sondern auch die Kosmetikindustrie – beispielsweise um Parfüms zu entwickeln, die Stressgeruch neutralisieren oder maskieren.
FAU-Forschungsmagazin friedrich
Dies ist ein Beitrag aus unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe nimmt Sie mit auf eine Entdeckungsreise ins „Verborgene“: Sie schaut auf für unser Auge unsichtbare, oftmals von uns unbemerkte und vor uns versteckte Dinge. Sie wirft aber auch einen Blick dorthin, wo wir gar nicht hinsehen wollen: auf Tabus.
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