Leidenschaftliche Wissenschaftlerin und Triathletin
Interview mit Prof. Dr. Ellen Kuhl, Professur für Maschinenbau und Bioengineering an der Universität Stanford
Prof. Dr. Ellen Kuhl ist Professorin für Maschinenbau an der renommierten Stanford Universität, USA. Sie wurde 2000 an der Universität Stuttgart promoviert und 2004 an der Technischen Universität Kaiserslautern habilitiert. Sie ist Expertin auf dem Gebiet der Physik lebender Materie, der Entwicklung theoretischer und rechnerischer Modelle zur Vorhersage des akuten und chronischen Verhaltens lebender Strukturen. Einen ausführlichen Lebenslauf finden Sie bei Stanford Profiles.
Seit 2016 ist Prof. Dr. Kuhl der FAU, insbesondere dem Lehrstuhl für Technische Mechanik, eng verbunden. Dies zeigt sich in zahlreichen Kooperationsprojekten, aber auch persönlichen Freundschaften. Im Juli 2019 war Prof. Dr. Kuhl erneut an der FAU, um ein Blockseminar und einen öffentlichen Vortrag zu halten. Wir trafen sie zum Interview.
Die FAU hat im Bereich der theoretischen und der Rechenmechanik weltweit einen herausragenden Ruf.
Prof. Dr. Kuhl, was genau hat Ihr Interesse an Ihrem Forschungsgebiet geweckt?
Technik und Wissenschaft haben mich schon immer fasziniert. Während meines Studiums entdeckte ich meine Leidenschaft für die Mechanik und Berechnungen. In Stanford gibt es direkt auf dem Campus eine Klinik, gleich auf der anderen Straßenseite. Als ich nach Stanford kam, gab es plötzlich unzählige Möglichkeiten die Mechanik und Berechnungen bei wirklich wichtigen Problemen einzusetzen. Ich bekam die Chance einem der besten Herzchirurgen der Welt dabei zuzusehen, wie er die undichte Herzklappe eines Kindes operierte und ich wollte einfach Teil des Ganzen sein.
An welchem Projekt arbeiten Sie momentan?
Seit kurzem interessiert sich meine Forschungsgruppe dafür, die Auswirkungen von Neurodegenerationen wie beispielsweise Alzheimer oder Parkinson zu simulieren. Das ist aufregend, da wir dieselben Methoden und Techniken benutzen können, die Jahrzehnte für die Simulierung traditioneller Ingenieursprobleme verwendet wurden. Unsere Arbeit ist auch deswegen wichtig, weil bis zum Jahr 2050 die Zahl der von Demenz betroffenen Personen 130 Millionen erreichen wird. Das sind dreimal so viele Betroffene wie heute. Unsere Simulationen können helfen zu erklären, wie sich Neurodegenerationen im Gehirn ausbreiten. Das wiederum kann zur Beantwortung fundamentaler Fragen beitragen, um letztendlich Wege zu finden, die Ausbreitung dieser Neurodegenerationen zu verlangsamen oder, noch besser, zu stoppen.
Was sind die bislang wichtigsten Ergebnisse Ihrer Forschung?
Als ich 2007 nach Stanford kam, fingen wir an Krankheiten des Herzens zu simulieren, ganz ähnlich, wie wir das jetzt für das Gehirn machen. Genau wie das Gehirn hat auch das Herz nur eine sehr geringe Selbstheilungskapazität. Deswegen sind Simulationen so wichtig. Vor fünf Jahren stellten wir unsere Computermodelle im sogenannten Living Heart Project zur freien Verfügung. Mittlerweile ist das Living Heart Project auf 400 Mitwirkende aus der Forschung, der Industrie und der Medizin aus mehr als 100 Organisationen und 24 Ländern angewachsen. Wir alle arbeiten daran, sichere und effektive kardiovaskuläre Produkte zu entwickeln und Simulationstechnologien in verbesserte Patientenversorgung umzuwandeln. Teil dieser gemeinschaftlichen Anstrengungen mit so einem wichtigen Ziel zu sein, ist einfach großartig.
2016 erhielten Sie einen Humboldt Forschungspreis und verbrachten einige Zeit an der FAU, und zwar am Lehrstuhl für Technische Mechanik. Warum haben Sie sich für die FAU entschieden?
Die FAU hat im Bereich der theoretischen und der Rechenmechanik weltweit einen herausragenden Ruf. Prof. Dr.-Ing. habil. Paul Steinmann, Leiter des Lehrstuhls für Technische Mechanik, hat mich vor 25 Jahren dazu inspiriert in der Rechenmechanik zu arbeiten, als ich meinen ersten Kurs bei ihm hatte. Er hatte schon immer einen großen Einfluss auf meine Forschung, genauer gesagt auf meine gesamte Kariere. Er hat eine erfrischende und sehr einzigartige Perspektive auf die Ingenieurwissenschaften und Bildung. Ich genieße es einfach mit ihm und all den anderen Menschen, die ich durch ihn kennengelernt habe, zusammenzuarbeiten.
Im Juni 2019 sind Sie an die FAU zurückgekehrt, um zusammen mit Dr.-Ing. Silivia Buddday, Department Maschinenbau der FAU, ein Blockseminar zu „Introduction to Neuromechanics“ sowie einen öffentlichen Vortrag zu „Machine learning in drug development“ zu halten. Wie war es, an die FAU und nach Erlangen zurückzukommen?
Erlangen zu besuchen macht immer Spaß, aber dieses Jahr war es ganz besonders. Mittlerweile haben wir so viele Kollegen, Kolleginnen und Freunde an der FAU. Wir haben vielen von ihnen während unseres Besuch getroffen, haben bereits bestehende Kollaborationen weitergeführt und viele neue initiiert. In Erlangen zu unterrichten ist auch einzigartig. Für den Neuromechanikkurs hatten sich 45 Studierende angemeldet, obwohl er als Blockseminar angeboten wurde. Die Studierenden in Erlangen sind einfach phänomenal. Draußen waren es 32 Grad Celsius, aber sie haben sich immer rege beteiligt und waren immer interessiert daran, etwas zu lernen. Es hat sehr viel Spaß gemacht, den Kurs zusammen mit Dr. Budday zu unterrichten!
Genau wie die Wissenschaft ist der Triathlon multidisziplinär und das erfordert das Lernen von und das Zusammenarbeiten mit Menschen aus anderen Fachbereichen. Diese interdisziplinäre Arbeit macht mir beim Triathlon genau so viel Spaß wie in der Wissenschaft.
Neben der Wissenschaft haben Sie eine weitere Leidenschaft: Triathlon. Was bedeutet Ihnen der Sport?
Eine sehr denkwürdige Sache an unserem Besuch war, dass wir die Gelegenheit hatten, einen kurzen Triathlon in Forchheim zu absolvieren. Wir kamen mit unseren Rennrädern nach Erlangen und hatten die Gelegenheit, die Gegend zu erkunden. Mittelfranken ist sehr schön und malerisch. Bevor wir zur Arbeit gingen, fuhren wie jeden Morgen mit dem Rad oder liefen am Rhein-Main-Donau-Kanal entlang. Das hört sich vielleicht verrückt an, aber ich bereite meine Vorlesungen meistens tatsächlich beim Laufen oder Schwimmen vor. Für mich ist das ein großartiger Weg draußen zu sein und Sport zu machen und gleichzeitig über den Aufbau eines Skripts, einer Präsentation oder eines Kurses nachzudenken.
Gibt es Ihrer Meinung nach Gemeinsamkeiten zwischen einem Forschenden und einem Sportler?
Am meisten mag ich an Triathlons Langstreckenläufe, halbe oder ganze Ironman. Bei solchen Rennen ist es nicht hilfreich, gleich am Anfang loszusprinten. Die erfolgreichsten Triathleten auf langen Distanzen wissen ihre Kräfte einzuteilen, geben mitten im Rennen nicht auf und sind immer davon überzeugt das Ziel zu erreichen. Auch mit der bestmöglichen Vorbereitung gibt es immer unbekannte Faktoren bei einem Rennen, jedes Rennen ist anders und es ist unmöglich vorherzusagen, wie lang man brauchen wird, um ins Ziel zu kommen. Das ist in der Wissenschaft ganz ähnlich. Außerdem kann kein Triathlet ein Rennen gewinnen, indem er sich nur in einer Disziplin spezialisiert. Genau wie die Wissenschaft ist der Triathlon multidisziplinär und das erfordert das Lernen von und das Zusammenarbeiten mit Menschen aus anderen Fachbereichen. Diese interdisziplinäre Arbeit macht mir beim Triathlon genau so viel Spaß wie in der Wissenschaft.
Vielen Dank für das Interview, Prof. Dr. Kuhl!