Der Psychotherapeut in der Hosentasche

Porträt Prof. Berking
Prof. Dr. Matthias Berking, Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der FAU. (Bild: FAU/Hochschulambulanz für Psychologische Psychotherapie)

Die Zahl der Menschen mit psychischen Leiden scheint immer mehr anzusteigen, ihre Chance schnell einen Therapeuten zu finden, ist jedoch gering. Prof. Dr. Matthias Berking vom Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der FAU, entwickelt an seinem Lehrstuhl Apps fürs Smartphone, die den Therapeuten zumindest für einige Zeit ersetzen oder dessen Arbeit ergänzen können. Auf der Tagung „Von Klangschale bis Cybercoach – Die Vielgestalt moderner Psychotherapie“, die Prof. Berking vom 29. Mai bis 1. Juni 2019 in Erlangen organisiert, wird unter anderem diese Therapieform näher betrachtet.

Wie kann man sich Psychotherapie übers Smartphone vorstellen?

Wir sehen in Smartphones eine große Chance, Patienten möglichst unkompliziert und niederschwellig psychotherapeutische Unterstützung zu bieten. Schließlich trägt heute fast jeder einen dieser kleinen Supercomputer mit sich herum und schaut unzählige Male am Tag aufs Display.

Sensoren, die in den Geräten verbaut sind, können mit den richtigen Apps zum Beispiel über Veränderungen der Gesichtsfarbe den Puls messen und dadurch das aktuelle Stresslevel bestimmen. Auf dieser Basis kann die App dann Vorschläge machen, wie der Stress wieder abgebaut werden kann. Im sogenannten „Backend“ kann ein Therapeut oder E-Coach dann verfolgen, welche Techniken der Patient angewandt hat und welchen Erfolg er dabei hatte. Bei Bedarf kann er den Patienten dann über Chat-Nachrichten, Audio- oder Video-Kommunikation beim Lernen und Einsetzen neuer Bewältigungsstrategien unterstützen. So ist der Therapeut im Alltag immer dabei.

Ein weiterer Bereich sind gamifizierte Apps zum Beispiel für Alkoholiker auf dem Weg zur Abstinenz. Für diese haben wir ein Spiel entwickelt, in dem sie Alkoholflaschen angeekelt, traurig oder ärgerlich anschauen sollen, dann verschwinden diese im Hintergrund – man schiebt sie also weg. Ein Wasserglas sollen die Patienten hingegen freundlich anlächeln und so zu sich heranziehen. So werden die Patienten mit positiven Emotionen auf gesundheitsförderliches Verhalten konditioniert. Studien belegen, dass diese Technik höchst erfolgversprechend – und mit ausgetauschten Inhalten – auch für andere psychische Störungen einsetzbar ist.

Auf der von Ihnen organisierten Tagung spannen Sie den Bogen jedoch viel weiter – nämlich „Von der Klangschale zum Cybercoach“. Worum wird es neben den digitalen Anwendungen noch gehen?

In der Psychotherapie steht uns ein breites Spektrum an Methoden zur Verfügung – eben jene Techniken, die mit künstlicher Intelligenz und Sensorik arbeiten, aber auch Techniken, die schon seit Jahren eingesetzt werden, um mit psychischen Problemen umzugehen. Die Klangschale steht für die achtsamkeitsbasierten Verfahren, die früher als unwissenschaftlich und sogar esoterisch belächelt wurden. Mittlerweile wurde die Effektivität achtsamkeitsbasierter Verfahren jedoch in vielen Studien nachgewiesen. Ich halte es für extrem wichtig, dass wir zum Wohle der Patienten vorurteilsfrei die Techniken nutzen, deren Effektivität wissenschaftlich belegt ist. Welche Vorgehensweisen wie effektiv sind und welche Wirkfaktoren für den therapeutischen Effekt verantwortlich sind, wird auf dem Kongress in über 300 wissenschaftlichen Beiträgen thematisiert. Neben den wissenschaftlichen Diskussionen wird die Tagung aber auch einen politischen Schwerpunkt haben: Das Psychotherapeutengesetz soll geändert werden. Mit der Reform wird der psychotherapeutische Nachwuchs künftig nicht länger in prekären Praktikumsverhältnissen nach dem Studium ausgebildet, sondern als Psychotherapeut mit angemessenem Gehalt für die eigenverantwortliche Tätigkeit in der ambulanten und stationären Versorgung weitergebildet sowie der Sonderweg der bisherigen Psychotherapeutenausbildung beendet. Wie bei den anderen akademischen Heilberufen wird die bewährte Struktur eines universitären Approbationsstudiums mit anschließender Weiterbildung geschaffen. Die Reform stellt außerdem sicher, dass Patienten, die einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfen, eine qualifizierte, patientenorientierte Versorgung auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse erhalten. Meine Kolleginnen und Kollegen wollen in einer öffentlichen Podiumsdiskussion am 31. Mai von 15.00 bis 16.30 Uhr in der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen mit renommierten Experten und Vertretern der politischen Parteien diskutieren, wie ein solcher Studiengang aussehen muss, damit sich die Rahmenbedingungen für die psychotherapeutische Versorgung weiter verbessern.

Sie selbst geben einen Workshop mit dem Titel „Training emotionaler Kompetenzen“. Wozu brauchen wir das?

Wie Leute reagieren, wenn sie unerwünschte Gefühle haben, hat für psychische Gesundheit eine große Bedeutung, insbesondere, wenn wir alles dafür tun, um unangenehmen Gefühlen wie beispielsweise Stress, Angst, Ärger, Traurigkeit oder depressiver Stimmung auf jeden Fall aus dem Weg zu gehen. In diesem Fall kann es dazu kommen, dass wir zu Strategien greifen, die zwar kurzfristig helfen, ein unerwünschtes Gefühl zu vermeiden, die uns aber langfristig in Teufelsküche bringen können. Ein gutes Beispiel dafür ist der Konsum von Alkohol. Dieser ist kurzfristig bei manchen Personen ein extrem effektives Mittel gegen unangenehme Gefühle wie zum Beispiel Angst, aber am nächsten Abend muss ich schon mehr trinken, wenn ich wieder denselben Effekt erzielen will, und am nächsten Abend noch mehr. Und so rutsche ich dann Schritt für Schritt in die Alkoholabhängigkeit.

Eine andere Strategie ist es, sich auf solche Affekte einzulassen: sie aushalten, nicht vermeiden, einen Weg finden, sich zu arrangieren, oder sie vielleicht sogar positiv nutzen, denn jede Emotion hat eine Funktion. So macht Angst wach, präsent, etwa bei einem Vortrag. Traurigkeit soll helfen, sich von etwas zu verabschieden, was man verloren hat. Wenn ich es nicht schaffe zu trauern, hafte ich ewig an Personen oder Dingen und sehe immer wieder, dass sie nicht da sind – und werde wieder traurig oder sogar depressiv.

Es geht also darum, negative Gefühle anders wahrzunehmen, von „ah, das ist unangenehm, das muss weg“, zu „ah, was ist das und wobei will mir das helfen?“. So eine Wandlung lässt mich viel ruhiger auf negative Emotionen reagieren, und verhindert, dass ich zu langfristig schädlichen Strategien greife. Außerdem schafft es Angstfreiheit, weil ich vor bestimmten Situationen, die mir negative Gefühle bereiten, keine Angst mehr haben muss. Ich kann schließlich mit diesen Gefühlen umgehen. Dadurch bin ich angst- und letztlich auch handlungsfreier. Ich lasse mich dann von kurzfristig unangenehmen Gefühlen nicht mehr davon abhalten, mir persönlich wichtige Ziele zu verfolgen.

Wer nimmt an so einem Training emotionaler Kompetenzen teil?

Das sind zum einen Therapeuten, die sich weitere Strategien aneignen wollen, mit denen Sie ihren Patienten möglichst gut helfen können. Aber auch andere Berufsgruppen wie zum Beispiel Lehrer, die zum einen selbst gut in der Lage sein müssen, mit belastenden Gefühlen umzugehen, zum anderen diese Kompetenz aber auch ihren Schülern vermitteln wollen. Weitere Berufsgruppen, die sich für das Thema interessieren sind Coaches, Ärzte, Polizisten, Seelsorger, Manager und Pflegekräfte. Oft kommen aber auch Personen, die einfach an ihrem persönlichen Wachstum arbeiten wollen und begriffen haben, dass ein konstruktiver Umgang mit Gefühlen für ein glückliches und erfülltes Leben von zentraler Bedeutung ist.

Weitere Informationen zur Tagung der Fachgruppe für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie an der FAU und zur öffentlichen Podiumsdiskussion zum Psychotherapeutengesetz gibt es auf deren Webseite.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Matthias Berking
Tel.: 09131/85-67575
matthias.berking@fau.de