Lachen wider den Tod
Über Humor in der Bestattungskultur
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: Schweigen, Weinen und Klagen sind nicht die einzigen Umgangsweisen mit der Endlichkeit des Lebens. So hält in der Palliativarbeit die Lachtherapie Einzug, und bunte Kleidung sowie ein Glas Prosecco am Grab haben nichts Anstößiges mehr.
von Reiner Sörries
Eine kleine Berühmtheit auf dem Gebiet des Gelächters wider den Tod ist der schwäbische Pfarrer Michael von Jung, der seine Grabansprachen mit der Laute und fröhlichen Liedern begleitete. 200 seiner Liedtexte veröffentlichte er 1839 in zwei Bänden. Noch älter sind die Sammlungen komischer Grabinschriften, die seit dem 17. Jahrhundert veröffentlicht wurden und im 18. Jahrhundert regelrecht in Mode waren. Sowohl bei den Grabliedern als auch den Grabinschriften ist es aber eine unfreiwillige Komik, die uns zum Lachen reizt. In der Forschung ist man sich daher nicht sicher, ob sie authentisch oder zur Belustigung erfunden sind.
Diese Frage stellt sich auch bei den Grabinschriften auf dem lustigen Friedhof von Kramsach in Tirol. Der Kramsacher Kunstschmied und Steinmetz Hans Guggenberger eröffnete nach eigener Aussage den Museumsfriedhof 1965/66 nach jahrzehntelanger Sammeltätigkeit in Nord- und Südtirol, Salzburg und Bayern. Auf etwa 60 historischen, meist schmiedeeisernen Grabkreuzen stehen Sprüche wie etwa: „Hier ruht Franz Josef Matt, der sich zu Tod gesoffen hat, Herr, gib ihm die ewige Ruh und ein Glaserl Schnaps dazu.“ Oder: „Hier liegt mein Weib, Gott sei‘s gedankt, oft hat sie mit mir gezankt, o lieber Wanderer, geh gleich fort von hier, sonst steht sie auf und zankt mit dir.“ Dieselben Sprüche finden sich identisch oder mit kleinen Abweichungen in verschiedenen Ausgaben. Sie waren vermutlich ein literarisches Konstrukt. Liest man auf einem Grabkreuz in Kramsach die Grabschrift „Hier liegt Adam Lentsch, 26 Jahre lebte er als Mensch, 37 Jahre als Ehemann“, so findet man sie in anderem Zusammenhang zitiert als bayerischen Grabsteinspruch. Ungeachtet der Frage nach der Originalität der Grabsprüche sind die gesammelten Grabkreuze Beispiele einer alpenländischen Friedhofskultur.
Verbindung zwischen Trauern und Lachen
Die Komik der Grabsprüche auf dem Museumsfriedhof wirkt auf den heutigen Besucher ähnlich stark wie auf die Leser der alten Anthologien. Hält man das Weinen aus Anlass der Trauer und das Lachen als Ausdruck von Fröhlichkeit für unvereinbar, so gibt es doch eine Korrelation beider Gefühlsebenen: Der Begriff „kulturelle Parathymie“ meint ein Missverhältnis zwischen dem inneren Erleben und dem äußeren Gefühlsausdruck, die kulturell gesehen jedoch eine gelungene Verbindung beider Emotionsebenen bedeutet.
In der antiken Mythologie war es Baubo, die mit Scherzen die aufgrund der Entführung ihrer Tochter Persephone in den Hades in tiefe Trauer verfallene Demeter aufmunterte. In der christlichen Tradition leitete der Pfarrer seine Predigt angesichts des Todes Jesu am Ostermorgen mit einer heiteren Geschichte ein, um die Gemeinde auf die Botschaft des auferstandenen Christus einzustimmen – das Ostergelächter. Der in Mexiko mit Heiterkeit, Musik und Tanz gefeierte „Día de los Muertos“ gehört seit 2003 zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Und hierzulande zählt der Leichenschmaus, bei dem gegessen, getrunken und gelacht wird, zu den Riten nach der Bestattung. Diese Beispiele zeigen: Was scheinbar nicht zusammenpasst, erweist sich als anthropologische Konstante, die kulturell entweder verstärkt oder unterdrückt werden kann.
Beide Tendenzen sind in unserer Gesellschaft anzutreffen. Einerseits begegnen wir dem Tod satirisch, andererseits lehnt vor allem die jüngere Generation einer Umfrage zufolge den Leichenschmaus als pietätlos ab. Eine Erklärungsmöglichkeit: Je abstrakter wir dem Tod begegnen, desto größer ist unsere Neigung, darüber zu lachen. Rückt der Tod näher, vergeht uns das Lachen. Beim Leichenschmaus hingegen steigt die Akzeptanz mit wachsendem Alter. Hier spielt die bereits gemachte Erfahrung eine Rolle, wie befreiend das Lachen angesichts des Todes sein kann auf dem Weg aus der Trauer zurück ins Leben.
Der friedrich – das Forschungsmagazin der FAU
Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Ende in all seinen Formen: Welche davon sind unausweichlich? Wie setzen sich Menschen damit auseinander? Und was bedeuten sie für den einzelnen? Und ist das, was Menschen als Ende definieren wirklich der Schlusspunkt? Manchmal verändern sich Dinge nur, entwickeln sich weiter, es entsteht etwas Neues. Mitunter ist das Ende aber auch gar kein Thema: Der Mensch strebt nach Unendlichkeit. Können wir diesen Begriff überhaupt verstehen? Ist Innovation unendlich? Und leben wir unendlich weiter – im Internet?
Weitere Beiträge aus dem Magazin finden Sie unter dem Stichwort „friedrich“.