Erfahrungsschätze von Digital Natives und Juristen kombinieren

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Im Interview: Jurist Dr. Martin Zwickel von der FAU (Bild: Glasow, Erlangen)

Studierende und Rechtsexperten diskutieren, was die Digitalisierung für Justiz und Recht bedeuten

Digitalisierung von Recht und Justiz – was zunächst einmal nach Fortschritt klingt, kann durchaus auch Fallstricke bergen. Welche Chancen und Risiken sie bietet und welche Ideen dazu aktuell entstehen, will das deutsch-französische Forschungsatelier an der FAU beleuchten. Juristen der FAU sowie der Universitäten in Saint-Etienne und Lyon werden darüber im März an vier Tagen gemeinsam mit Studierenden diskutieren. Wir haben mit einem der drei Organisatoren, Dr. Martin Zwickel Leiter der Serviceeinheit „Lehre und Studienberatung“ vom Fachbereich Rechtswissenschaft der FAU, über das Thema gesprochen.

In welchen Bereichen beeinflusst die digitale Welt das Zivilrecht und die Ziviljustiz bereits heute?

Die digitale Welt stellt das Zivilrecht und die Ziviljustiz in zwei Punkten vor Herausforderungen:

Zum einen kommen die Herausforderungen aus der juristischen Welt: Dort wird derzeit intensiv über das Thema LegalTech diskutiert. Darunter versteht man Software- und Onlineanwendungen, die juristische Arbeitsabläufe selbstständig oder teilautomatisiert durchführen. So könnten möglicherweise künftig Computer Schadenersatz und Schmerzensgeld automatisch bemessen oder Richter durch Entscheidungsprognosen teilweise in eine bloße Nebenrolle verdrängt werden.

Zum anderen kommen die Herausforderungen aber auch aus rein tatsächlichen Gegebenheiten der Digitalisierung: So stellt sich in diesem Bereich die Frage, wer für autonome oder automatisierte Fahrzeuge in welchem Umfang haften soll.

Welche Unterschiede gibt es bezüglich der Digitalisierung von Recht und Justiz in Deutschland und Frankreich?

In Frankreich gibt es schon seit 2016 ein Gesetz, auf Grundlage dessen eine lückenlose digitale Veröffentlichung aller Gerichtsentscheidungen verpflichtend ist. Digitale Technik kann an diese große bereits vorhandene Datenbasis natürlich viel besser anknüpfen als in Deutschland, wo bei weitem nicht alle Gerichtsentscheidungen öffentlich zugänglich sind.

Die elektronische Kommunikation zwischen Anwälten und Gerichten ist in Frankreich schon weiter ausgebaut als in Deutschland, wo das Thema „besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA)“ – eine Software für die sichere elektronische Kommunikation zwischen Anwälten und Gerichten – Ende 2017 wegen Sicherheitslücken für Negativschlagzeilen gesorgt hat. Diesen und weiteren Unterschieden aber auch vorhandenen Gemeinsamkeiten werden wir in unserem Forschungsatelier nachgehen.

Von Programmen generierte Schriftsätze, Onlineplattformen für „Sammelklagen“ oder Urteilsvorhersagen – Ansatzpunkte, wie die Justiz digitaler werden kann, gibt es derzeit viele. Ist ein leichterer Zugang zu Gerichten für Bürger ein Gewinn oder werden vielmehr falsche Hoffnungen geweckt?

Einerseits bieten technische Möglichkeiten die Chance, dass Recht in Bereichen durchgesetzt wird, in denen vielfach kein Gerichtsverfahren betrieben wird. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Bündelung der Klagen von Diesel-Käufern gegen einen Giganten wie VW über die Plattform myright.de. Andererseits werden durch neue digitale Streitbeilegungsangebote Rechtsstreitigkeiten von der Justiz abgezogen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Geltendmachung von Fluggastrechten über Onlineportale wie etwa flightright.de erfolgt oder Paypal Streitigkeiten in einem eigenen Streitbeilegungssystem erledigt. Die Frage lässt sich also nicht so einfach beantworten. Wir haben daher entschieden, sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Diskussion im deutsch-französischen Forschungsatelier vorzulegen.

Werden Urteile in Zukunft von Robotern und nicht von Richtern gefällt, die zuvor alle nötigen Informationen von (digitalen) KI-Anwälten bekommen haben?

Ich persönlich glaube nicht an die Realisierbarkeit solcher komplett digitalen Gerichtsverfahren und eine Ersetzbarkeit des Menschen als Justizakteur und hielte ein solches computerisiertes Verfahren auch für rechtlich problematisch. Im deutsch-französischen Forschungsatelier wird es daher um aktuelle und realistischere Möglichkeiten gehen, Richtern und Verfahrensbeteiligten die Arbeit zu erleichtern. Liegen zum Beispiel Argumente aus Schriftsätzen in einer bestimmten Struktur vor, so kann Digitaltechnik an diese Strukturen anknüpfen und dem Menschen gewisse Prüfungsschritte abnehmen. Ein Richter könnte dann die Entscheidung auf Basis einer perfekt durch Digitaltechnik vorbereiteten Akte und vielleicht sogar auf Basis einer automatisierten Schlüssigkeitsprüfung treffen.

Zum Forschungsatelier sind nicht nur Wissenschaftler, sondern ausdrücklich auch Studierende eingeladen. Was versprechen Sie sich von dieser Kombination?

Die Studierenden sind oft sehr nah am Puls der Zeit. Als „Digital Natives“ kennen sie technische Möglichkeiten sehr gut. Sie haben dadurch oft hervorragende Ideen für Digitalisierungsansätze im Bereich des Rechts. Die Wissenschaftler und Post-Docs hingegen kennen das rechtliche Umfeld sehr genau und bringen ihre Praxiserfahrungen mit ein. Die Kombination dieser Erfahrungsschätze ist uns sehr wichtig. In kleinen deutsch-französischen Arbeitsgruppen diskutieren daher alle Beteiligten auf Augenhöhe miteinander.


Das deutsch-französische Forschungsatelier findet von 11. bis 14. März am Fachbereich Rechtswissenschaft der FAU statt. Ausführliche Information zum Programm und zur Anmeldung: jura.rw.fau.de

Weitere Informationen:

Dr. Martin Zwickel
Tel.: 09131/85-26358
martin.zwickel@fau.de