„Der Internationale Strafgerichtshof schwächt sich selbst“
FAU-Völkerrechtler Prof. Dr. Christoph Safferling über Entscheidungen am IStGH und was sie für dessen Zukunft bedeuten
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste, und Charles Blé Goudé, ehemaliger Jugendminister des Landes, freigesprochen. Es ist bereits der zweite Freispruch innerhalb der vergangenen acht Monate. Gründe für die Freisprüche waren Verfahrensmängel und unzureichende Beweislast. Was bedeuten die Urteile für die Glaubwürdigkeit und die Zukunft des Internationalen Gerichtshofs? Eine Einschätzung gibt Prof. Dr. Christoph Safferling vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der FAU.
Nach dem spektakulären Freispruch im Fall des früheren kongolesischen Vizepräsident Jean-Pierre Bemba wurden gestern vom IStGH auch zwei Angeklagte aus der Elfenbeinküste freigesprochen. Wie kam es zu dieser eher ungewöhnlichen Häufung von Freisprüchen?
Im Juni 2018 war Bemba, der bis dahin hochrangigste Politiker gegen den in Den Haag verhandelt wurde, nach zehn Jahren U-Haft von der Berufungskammer freigesprochen worden. Gestern wurden Laurent Gbagbo und Charles Blé Goudé aus der Elfenbeinküste vom Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach drei Jahren Hauptverhandlung und mehr als sieben Jahren U-Haft freigesprochen. Im Fall Bembas standen rechtliche Fragen im Vordergrund. Dem Milizenführer konnte nie nachgewiesen werden, dass er selbst mit der Waffe gekämpft hatte. Als „Schreibtischtäter“ dirigierte er vom Kongo aus seine Truppen in der Zentralafrikanischen Republik, wo sie Kriegsverbrechen begangen haben. Überraschend verschärften die Richter die rechtlichen Anforderungen für die strafrechtliche Zurechnung – also beispielsweise, was hat Bemba von den Handlungen der Soldaten im Feld gewusst? Wie stark war seine Einflussmöglichkeit auf das Verhalten der Soldaten in der jeweiligen Situation? – und sprachen ihn frei. Der Fall Gbagbo und Blé Goudé war von vorneherein ein eher schwacher Fall. Nach Präsidentschaftswahlen kam es zu Gewaltexzessen, zu denen Gbagbo als einer der Kandidaten angestachelt haben soll. Die Richter der Verfahrenskammer waren offenbar von den Beweisen der Chefanklägerin nicht überzeugt und beendeten das Verfahren. Hier gibt es aber noch eine Berufungsmöglichkeit.
Was bedeuten die Freisprüche für die Zukunft des Internationalen Strafgerichtshofs?
Freisprüche adeln einen Rechtsstaat. Sie sind ein Zeichen von Unabhängigkeit der Justiz. Das gilt auch für den Internationalen Strafgerichtshof. Fragen müssen aber erlaubt sein zur Qualität der Arbeit des Gerichts insgesamt und der Anklagebehörde im Besonderen. Offenbar gelingt es der Chefanklägerin nicht, die Fälle so vorzubereiten, dass sie die Richterbank von der Schuld der Angeklagten überzeugen kann. Zugleich verschieben die Richterinnen und Richter rechtliche Voraussetzungen von Fall zu Fall und machen es so den Anklägern schwer, die Fälle entsprechend vorzubereiten. 20 Jahre nach der Verabschiedung des IStGH-Statuts und 15 Jahre nach der Aufnahme der Tätigkeit in Den Haag darf die internationale Gemeinschaft aber schon erwarten, dass die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen am Gerichtshof abgesteckt sind. Das ist nicht der Fall. Momentan läuft am IStGH nur eine einzige Hauptverhandlung. Für ein jährliches Budget von mehr als 140.000.000 Euro eine magere Bilanz.
Wird seine Stellung durch die Freisprüche geschwächt oder gestärkt?
Der IStGH schwächt sich selbst. Mit den größten – und sicherlich in Teilen übertriebenen – Erwartungen hat der IStGH im Jahr 2003 seine Arbeit aufgenommen. Bislang hat er alle Erwartungen enttäuscht. Nur ein paar kleinere Milizenführer aus dem Kongo konnten wegen des Einsatzes von Kindersoldaten rechtskräftig verurteilt werden. Als strafprozessuale Revolution wurde am IStGH die besondere Form der Opferbeteiligung und Opferentschädigung gefeiert. Aber was passiert mit den Tausenden von Opfern, die mit viel Engagement zur Teilnahme an den Verfahren aufgefordert werden, wenn dann ein Freispruch erfolgt? Verfahrenstechnisch entfällt dann auch der Anspruch auf Entschädigung. Den emotionalen Stress mag man sich nicht vorstellen, der durch die mit dem Freispruch einhergehende Aberkennung des Opferstatus entsteht. Der IStGH verliert weiter an Glaubwürdigkeit.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christoph Safferling
Tel. 09131/85-22247
christoph.safferling@fau.de