Blockchain-Technologie für die Industrie
FAU-Wissenschaftler machen die Blockchain-Technologie für die manipulationssichere Übertragung von Produktionsdaten nutzbar
„Wir machen nichts mit Kryptowährungen!“, betont Dr. Thilo Bauer, Wissenschaftler am Computer-Chemie-Centrum der Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU und Leiter des CLINGON Projekts. Dieser Aspekt ist ihm im Zusammenhang mit seinem neuesten Forschungsprojekt ganz besonders wichtig und durchaus auch nachvollziehbar. Denn gemeinsam mit Dr. Michael Lechner, Abteilungsleiter Umformtechnik und Digitalisierung am Lehrstuhl für Fertigungstechnologie der Technischen Fakultät der FAU, beschäftigt er sich mit dem Boomthema in der Finanz- und Technikwelt der letzten Monate – Blockchain. Das könnte in Bezug auf ihr gemeinsames Projekt zu Missverständnissen führen.
Wie Perlen an einer Kette
Kryptowährungen wie Bitcoin, Iota oder Ethereum gelten in der Finanz- und Technikwelt als neuer Hype und werden von ihren Anhängern als echte Alternative zu den gängigen, analogen Währungen gesehen. Möglich gemacht wurden Bitcoin und andere digitale Währungen erst durch die in diesen Zusammenhang immer wieder genannte Blockchain-Technologie. Da das Projekt von Dr. Bauer und Dr. Lechner auf dieser Technologie beruht, ist an dieser Stelle für das bessere Verständnis ein kurzer Exkurs in die Welt der Blockchains notwendig.
Bei einer Blockchain handelt es sich um eine dezentrale Datenbank, die aus einer immer weiterwachsenden Liste an Transaktionsdatensätzen besteht. Indem immer neue Elemente am Ende der Liste hinzugefügt werden, entsteht mittels kryptografischer Verfahren eine „Kette“, die chronologisch linear erweitert wird. Diese Datensätze bilden sogenannte „Blöcke“. Ist ein Block abgeschlossen, wird ein neuer begonnen und an den alten angehängt. Dabei enthält jeder neue Block die Prüfsumme des vorhergehenden Blocks, sodass alle späteren Transaktionen auf früheren aufbauen und diese dadurch als richtig bestätigen und damit die Existenz der früheren Transaktion beweisen. Zudem verwaltet jeder angeschlossene Computer eine 1:1-Kopie der vollständigen Blockchain. Manipulationen von außen wie von innen werden damit so gut wie unmöglich. Die Blockchain kann auch als dezentral geführtes Buchführungssystem verstanden werden, bei dem trotz vieler Teilnehmer Konsens über den richtigen Zustand der Datenblöcke herrscht.
Diese Struktur der Blockchain bietet einige Vorteile. Durch die Verschlüsselung und die Zugriffsverwaltung werden große Datenmengen geschützt und können unternehmensübergreifend gesammelt und analysiert werden. Auch das automatische Aufspüren von Schwachstellen in der Lieferkette oder anderen Geschäftsprozessen wird erleichtert. Dr. Bauer und Dr. Lechner möchten die Blockchain und ihre Vorteile nun für die Industrie nutzbar machen.
Blockchain als dezentrale Datenbank für die Automobilindustrie
„Das Ganze fing vor drei Jahren an“, erklärt Dr. Bauer. „Damals habe ich zusammen mit einer Kollegin am Computer-Chemie-Centrum eine Künstliche Intelligenz (KI) für die Chemie-Industrie entwickelt. Schon damals wurde schnell klar, dass die Industrie vor allem eine Möglichkeit benötigt, um die Unmengen an Daten, die während der Produktion entstehen, auszuwerten und dass sie jemanden benötigen, der dieses Knowhow bereitstellt.“ Es bestand also Bedarf an einem Kommunikationssystem, welches den Austausch von Daten unter Berücksichtigung einer harten Datensicherheit gewährleistet: Wer hat wie und wann Zugriff auf welche Informationen.
„Da kam mir die Idee mit der Blockchain. Ich dachte es müsste doch möglich sein, diese in den Produktionsprozess einzubauen, sodass die Daten verschlüsselt und geschützt zwischen Produzent und Endabnehmer fließen können“, sagt Dr. Bauer. 2017 stellte er sein Konzept im ZOLLHOF vor, welches bei Dr. Lechner, der im Publikum saß, sofort auf Begeisterung stieß: „Wir am Lehrstuhl für Fertigungstechnologie haben insbesondere im Bereich der Blechumformung viel mit der Automobilindustrie zu tun, sowohl mit den Blechproduzenten als auch den Automobilherstellern. Ein Problem, das sich immer wieder zeigt, sind die Chargenschwankungen bei den Blechproduzenten. Eigenschaften eines Blechteiles wie Blechdicke oder mechanische Eigenschaften können von Produktion zu Produktion stark variieren.“ Für die Automobilhersteller bedeutete das wiederum, dass sie nie volle Kenntnis über die Eigenschaften des gelieferten Blechs haben. Zwar werden bei der Herstellung von Blechteilen viele Daten produziert, die Produzenten haben bislang allerdings gezögert diese Daten an die Automobilhersteller zu geben – aus Mangel an sicheren Kommunikationswegen. Wie also beide Seiten zusammenbringen?
Hier kommt nun Dr. Bauers Idee mit der Blockchain ins Spiel. „Die Blockchain als sicherer Kommunikationsweg zwischen Blechproduzenten und Automobilherstellern schien mir die ideale Lösung“, erklärt Dr. Lechner – und schon war das interdisziplinäre Projekt zwischen der Technischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät der FAU geboren.
„Wir haben offene Türen eingerannt“
„Durch den Einsatz der Blockchain kann der Zulieferer seine Produktionsdaten manipulationssicher an den Automobilhersteller weitergeben, sodass dieser neben den Blechteilen auch die dazugehörigen Informationen zu den Eigenschaften hat“, erklärt Dr. Bauer. Diese Daten ermöglichen den Automobilherstellern den optimalen Einsatz der Karosserieteile: Ausschuss wird reduziert und die Bleche maßgeschneidert den Karosseriebauteilen zugeordnet. „Die optimale Verarbeitung der Blechteile ist vor allem hinsichtlich des Marktes mit sicherheitskritischen Teilen besonders wichtig“, erläutert Dr. Lechner. „Kommt es zu einem Unfall, verlangt die Versicherung vom Automobilhersteller und dem Zulieferer unter Umständen Beweise, dass das Material und der Einbau in die Karosserie nicht ursächlich für den Unfall sind. Durch die Blockchain kann jeder einzelne Schritt von der Produktion des Teils bis hin zu seinem Einbau zurückverfolgt und somit ein Fehler ausgeschlossen oder Haftungsrisiken reduziert werden.“ Auch bei Garantiefragen oder der Verwendung von Originalteilen, insbesondere im Zusammenhang mit Produktfälschungen und dem sogenannten Grauen Markt, kann die Blockchain hilfreiche Dienste leisten.
Mittlerweile haben Dr. Bauer und Dr. Lechner die Blockchain in einer Produktionslinie der Neuen Materialien Fürth GmbH unter Leitung von Frau Prof. Dr.-Ing. habil. Marion Merklein, Inhaberin des Lehrstuhls Fertigungstechnologie, installiert. Dadurch kann der Einsatz der Blockchain unter Bedingungen der Serienfertigung simuliert und getestet werden – und diese Art von Demofabrik ist weltweit einmalig. „Wir haben unser Projekt bereits bei diversen Veranstaltungen vorgestellt und Industrievertretern die Demofabrik gezeigt. Die Resonanz war und ist immer noch überwältigend. Wir haben da wohl offene Türen eingerannt“, erzählt Dr. Bauer. Dass Dr. Lechner und Dr. Bauer offensichtlich die Lösung für ein bedeutendes Problem der Branche gefunden haben, zeigt auch die Tatsache, dass sie bereits jetzt mit nahezu allen wichtigen Automobilzulieferern und -herstellern in Deutschland zusammenarbeiten. „Und das, obwohl wir noch nicht mal ein Start-up sind“, fügt Dr. Lechner stolz hinzu. Seitens der FAU werden Dr. Bauer und Dr. Lechner von Frau Prof. Merklein umfangreich unterstützt, wodurch die schnelle Umsetzung erst ermöglicht wurde.
Burger, Blech und Blockchain
„Am 12. Juli 2018 fand mit der Unterstützung der IHK ein Lounge Event zu unserem Projekt statt, an dem auch der Universitätspräsident Prof. Dr. Joachim Hornegger anwesend war. Hier konnten wir den Gästen aus der Industrie die Funktion der Blockchain und die Demofabrik live vorführen“, berichtet Dr. Bauer. Anschließend gab es nicht nur schmackhafte Burger und Pommes, sondern für die Gäste auch die Gelegenheit in einem Gespräch Näheres über das Projekt von Dr. Bauer und Dr. Lechner zu erfahren.
„Und am 17. Oktober 2018 bieten wir im Rahmen der Nürnberg Web Week einen Workshop zu dem Thema Blockchain und Industrie an, an dem alle Interessierten nach Anmeldung teilnehmen können“, ergänzt Dr. Lechner.
Erfolgversprechende Pläne für die Zukunft also – und erneut ein Projekt, dass die Innovationskraft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der FAU beweist.
Sie haben Fragen zum Projekt? Dann wenden Sie sich gerne an:
Dr. Thilo Bauer
Computer-Chemie-Centrum
Nägelsbachstr. 25, Raum 2.201B
91052 Erlangen
Mobil: 0049 170/9738141
thilo.bauer@fau.de
Dr. Michael Lechner
Lehrstuhl für Fertigungstechnologie
Egerlandstr. 13
91058 Erlangen
0049 9131 85 28310
michael.lechner@fau.de