„Studienplatzklagen sind in anderen Fächern zu befürchten“
Hochschulrechtler Prof. Dr. Max-Emanuel Geis zu den Konsequenzen des NC-Urteils in der Medizin
Das 3. NC-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2017 erklärte wesentliche Komponenten des geltenden Zulassungsrechts im Fach Medizin für verfassungswidrig. Hintergrund dieses Gerichtsurteils zum Numerus Clausus war die Klage mehrerer Bewerberinnen und Bewerber um einen Studienplatz im Fach Medizin. Welche Konsequenzen sich aus diesem Urteil ergeben, ist Thema einer Tagung, die an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) stattfindet. Organisiert wird die Tagung von Prof. Dr. Max-Emanuel Geis, Lehrstuhl für Deutsches und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht an der FAU sowie Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht am Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Öffentliches Recht an der FAU. Er war im aktuellen NC-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Prozessbevollmächtigter der Stiftung für Hochschulzulassung in Dortmund und von 14 Bundesländern. Im Interview erläutert Professor Geis mögliche Konsequenzen des NC-Urteils.
Prof. Geis, was für Schwierigkeiten und Herausforderungen stellen sich jetzt für den Gesetzgeber?
Das erste Problem ist schon, wer eigentlich „der Gesetzgeber“ ist, der jetzt in der Pflicht steht. Bislang beruht das Hochschulzulassungsrecht im Bereich der Medizin auf dem insoweit immer noch geltenden Hochschulrahmengesetz, das einen Staatsvertrag der Bundesländer vorsieht, den diese in ihrem Landeshochschulrecht umzusetzen haben. Seit der Föderalismusreform I von 2006 besitzt allerdings auch der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Zf. 33 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für eine (bundesweit einheitliche) Regelung der Hochschulzulassung, von der er allerdings bislang keinen Gebrauch gemacht hat. Derzeit ist nicht ersichtlich, ob er das überhaupt erwägt.
Damit bleibt der Ball im Spielfeld der Länder. Die große Herausforderung liegt weniger darin, verfassungskonforme Kriterien neu zu erfinden, da in vielen Bundesländern taugliche Systeme seit Langem praktiziert werden. Spannend ist hingegen, ob es innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht gegebenen Frist bis Ende 2019 gelingt, sich auf einen gemeinsamen Katalog zu einigen – die Kultusministerkonferenz gehört bekanntlich nicht zu den schnellsten Lokomotiven der Politik – und den vom Gericht als unabdingbar vorausgesetzten, aber in der Praxis hochkomplexen IT-Einsatz rechtzeitig für das Massenverfahren tauglich zu machen.
Das Urteil gilt für die Medizin, doch gibt es viele weitere NC-beschränkte Fächer. Wird es auch da zu Gesetzesänderungen kommen?
Das Urteil gilt zwar de jure nur im Bereich der (Human-) Medizin. Die Fragen sind jedoch nicht auf die Medizin beschränkt, sondern gelten für alle Bereiche, in denen der kapazitären Verfügbarkeit von Studienplätzen eine höhere Anzahl an Bewerbungen gegenübersteht. In diesem Fall sind Beschränkungen des grundrechtlichen Anspruchs auf die Freiheit der Ausbildung und die freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) unumgänglich. Da allerdings zu befürchten ist, dass die Länder zunächst im geltenden System verharren werden, wird es irgendwann auch in anderen Fächern zu entsprechenden Studienplatzklagen kommen. Solche sind insbesondere BWL, Psychologie und weitere Fächer, in denen ein strenger Numerus Clausus herrscht. Auch andere medizinische Fächer (insb. die Zahnmedizin) sind natürlich Kandidaten, wobei in solchen die Frage von Eignungstests und Auswahlgesprächen durchaus anders zu bewerten sein kann.
Welche Bedingungen müssen Alternativkriterien erfüllen, damit diese gesetzeskonform sind?
Zum einen: Das Bundesverfassungsgericht hat die Abiturnote als maßgebliches Kriterium nicht verworfen, sondern nur weitere Forderungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit aufgestellt. Hier stecken allerdings Tücken im Detail: Eine Bildung von Länderquoten wie in allgemeinen Auswahlverfahren ist in den Auswahlverfahren der Hochschulen wegen der viel geringeren Studienplatzzahl nicht praktikabel und können zu reinen Zufallstreffern führen. Hier müssen andere Mechanismen gefunden werden.
Zum zweiten: Im Auswahlverfahren an den Hochschulen fordert das Gericht neben der Abiturnote mindestens ein weiteres notenunabhängiges Kriterium wie standardisierte Eignungstests oder Auswahlgespräche. Letztere müssen normiert und strukturiert sein, um subjektive Bevorzugungen oder Benachteiligungen möglichst auszuschließen. Auch die Frage der Zeitkapazität für die Auswahlverfahren spielt dabei sicherlich eine Rolle, wenn eine medizinische Fakultät nicht durch wochenlange Gesprächsrunden lahmgelegt werden soll. Freilich darf auch nicht übersehen werden, dass an den meisten Universitäten diese Anforderungen schon heute erfüllt werden: Lediglich im Staatsvertrag hat dies noch keinen adäquaten Niederschlag gefunden. Das Gericht hat aber weder verlangt, das bundesweit bzw. innerhalb der Länder zwingend einheitliche Kriterien aufgestellt werden. Jede Fakultät könnte also die Frage der notenunabhängigen Auswahlkriterien individuell regeln. Wichtig ist nur, dass die möglichen Kriterien im Hochschulrecht in einem Auswahlkatalog normiert sind; eine freie Schöpfung allein durch die Hochschule oder Fakultät ist nicht möglich.
Zum dritten hält das Gericht eine Wartezeit, die „dritte Säule“ des Zulassungssystems, von mehr als vier Jahren für verfassungswidrig, wobei diese Aussage eher dezisionistisch daherkommt (das gehört auch zu den dogmatisch schwächsten Passagen des Urteils). Doch lässt das Gericht auch recht eindeutig durchblicken, dass die Wartezeitregelung von Verfassungs wegen weder zwingend geboten noch unzulässig ist. Sie könnte in einem novellierten Zulassungssystem also auch entfallen und die frei werdende Quote auf die anderen beiden Quoten verteilt werden. Dies wird derzeit stark diskutiert.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Max-Emanuel Geis
Tel.: 09131/22818
max-emanuel.geis@fau.de