Natur aus der Nische

bohrturm für Geothermie bei Offenbach
Zu den regenerativen Energien gehören nicht nur Sonnen- und Windenergie, sondern auch die Geothermie. (Bild: FAU/Wolfgang Bauer)

Von Frank Grünberg

Für die Verkäufer von Erdwärmepumpen war 2016 ein erfolgreiches Jahr. Nach Angaben des Branchenverbandes stieg der Absatz der Geräte in Deutschland das erste Mal seit acht Jahren wieder auf über 20.700 an. Das war ein knappes Drittel mehr als im Jahr zuvor, gleichzeitig aber auch ein Drittel weniger als im Spitzenjahr 2011. „Für den weiteren Aufschwung“, sagt Dr. David Bertermann, Leiter der Arbeitsgruppe Oberflächennahe Geothermie am Lehrstuhl Geologie der FAU, „wird entscheidend sein, ob sich die Effizienz bestehender Systeme verbessern lässt und ob sie damit attraktiver für den Endverbraucher werden.“

Heizung und Klimaanlage in einem

Oberflächennahe Geothermie nutzt die Temperaturunterschiede bis zu einer Tiefe von 400 Metern. (Bild: FAU/David Bertermann)

Erdwärmepumpen zählen zu den klimaschonenden Energiequellen, da sie die natürlichen Temperaturunterschiede zwischen der Erdoberfläche und dem Erdinneren nutzen, um Gebäude zu klimatisieren. Im Winter pumpen sie das kalte Trägermedium – ein Wasser-Glykol-Gemisch ähnlich dem, wie es für die Kühlung von Motoren genutzt wird – von oben in den Untergrund, wo es sich in Tiefen von bis zu 400 Metern und bei Temperaturen von bis zu 25 Grad Celsius erwärmt und anschließend für Heizzwecke verwendet werden kann. Im Sommer hingegen kühlt sich die warme Sole im Erdinneren ab, was an der Erdoberfläche den Einsatz von Klimaanlagen verringert. Für das Pumpen der Sole wird weniger Energie verbraucht, als am Ende für Heizen oder Kühlen gewonnen wird. Kommt die elektrische Energie aus einer regenerativen Quelle, ist der Effizienzgewinn sogar komplett klimaneutral. Anders als Sonnen- und Windkraft ist die Erdwärme zudem unabhängig von Wetter und Tageszeit konstant verfügbar.

Wie effizient die Anlagen arbeiten, hängt von mehreren Faktoren ab, etwa der Geometrie der Wärmetauscher oder der Beschaffenheit und dem Feuchtigkeitsgehalt des Bodens. Die Wissenschaftler an der FAU verfügen über unterschiedliche Werkzeuge, um je nach Ausgangslage die optimale Kombination zu ermitteln: computergesteuerte Simulationsprogramme, ein Labor und ein offenes Testfeld, in dem sie Erdwärmepumpen in unterschiedlichen Bodenarten verlegen und die Betriebsdaten messen können. Den größten Effekt aber verspricht die Senkung der Installationskosten. Geeignete Geothermie-Standort schneller zu identifizieren, gilt als einer der wichtigen Hebel in Sachen Wirtschaftlichkeit. Mit der ThermoMap haben die FAU-Forscher bereits einen wichtigen Beitrag geleistet. Diese Karte, die das regionale oberflächennahe Geothermie-Potenzial für ganz Europa beschreibt, gilt als Standardwerkzeug bei der Erschließung neuer Anlagen. Aktuell suchen die Forscher nach Verfahren, die noch mehr Detaileinblicke gewähren. Und tatsächlich sei ein neuer Lichtstreif am Horizont bereits zu erkennen, erklärt Bertermann. „Wenn es sich bewahrheitet, dass sich die thermische Leitfähigkeit des Bodens aus seiner elektrischen Leitfähigkeit ableiten lässt, wäre das ein großer Fortschritt.“ Der Grund: Elektrische Messungen sind in der Lage, die Potenziale in der Fläche zu erfassen. Thermische Messungen hingegen funktionieren nur punktuell.

Bis zu fünf Kilometer tiefe Löcher

Geothermieanlagen eignen sich um ganze Stadtviertel zu beheizen
Die sogenannte tiefe Geothermie – hier eine Anlage in Island – eignet sich um ganze Stadtviertel zu beheizen. (Bild: FAU/Wolfgang Bauer)

Wie sich Erdwärme zur Energiegewinnung nutzen lässt, das interessiert auch Dr. Wolfgang Bauer, Leiter der Forschungsgruppe Tiefe Geothermie am Lehrstuhl für Geologie. Allerdings blicken er und sein Team viel weiter in die Tiefe, um dort den Aufbau des Untergrundes zu verstehen und Geothermie-Standorte zu finden, die sich dank hoher Temperaturen von mehr als 100 Grad Celsius dazu eignen, ganze Stadtviertel mit Heizwärme zu versorgen. Im Erfolgsfall werden anschließend bis zu fünf Kilometer tiefe Löcher gebohrt. „Der Energiegewinn kann dabei äußerst hoch ausfallen“, sagt Bauer. „Die gewonnene Wärmeenergie ist bis zu 50-mal höher als die eingesetzte elektrische Energie.“ In Deutschland lässt sich die Erdwärme in großen Tiefen vorrangig in drei Regionen wirtschaftlich fördern. Eine davon ist das Süddeutsche Molassebecken, das sich zwischen Donau und Alpen in Ost-West-Richtung quer durch Bayern erstreckt. Zahlreiche Kommunen betreiben hier bereits eigene Geothermie-Anlagen.

Um diesen Trend zu verstärken, haben sich – gefördert durch das Land Bayern – das GeoZentrum Nordbayern der FAU, die Technische Universität München (TUM) und die Universität Bayreuth 2016 zur Geothermie-Allianz zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie das wirtschaftliche Potenzial der „Tiefen Geothermie“ in Bayern auf ein neues Niveau heben.

Die Region nördlich von Bayreuth und Bamberg gilt aktuell als besonders spannend. Hier sind die Wissenschaftler auf eine „geothermische Anomalie“ gestoßen. Denn die Wärmeenergie, die sie dort in großen Tiefen gemessen haben, ist sehr viel höher als vermutet. Mögliche Ursache könnten Granitkörper sein, die radioaktive Mineralien enthalten. Oder geklüftetes Granitgestein, durch das heißes Wasser nach oben dringt. „Diese Anomalie kann viele Ursache haben“, sagt Bauer. „In jedem Fall wird sie uns neue Erkenntnisse liefern.“

Erneuerbare Energiequellen steuerten 2015 einen Anteil von 12,6 Prozent zum Primärenergieverbrauch in Deutschland bei, also rund ein Achtel des Gesamtverbrauchs. Auf die Windkraft entfielen 2,3 Prozent, auf die Fotovoltaik 1,0 Prozent. Die Geothermie bringt es aktuell auf rund 0,4 Prozent. Den größten Anteil liefert die Biomasse mit 7,1 Prozent. Aktuell werden rund 9.000 Anlagen in Deutschland vorrangig für die
Stromerzeugung betrieben. Die meisten verarbeiten allerdings Pflanzen wie Raps und Mais, die eigens dafür angebaut werden. „Damit tritt die Energiegewinnung in Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitteln“, kritisiert Prof. Dr. Jürgen Karl, Inhaber des Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik an der FAU. Gehören solche Pflanzen nur auf den Teller? Oder auch in den Tank? Das ist die sehr konträr diskutierte Frage.

Karl und sein Team suchen daher nach Alternativen – und zwar in natürlichen Abfällen wie Holzresten, Hackschnitzeln oder Stroh. Ziel ist es, Verfahren zu entwickeln, mit denen sich diese biogenen Reststoffe zunächst in die Einzelteile Wasserstoff und Kohlenmonoxid zerlegen und anschließend zum gewünschten Treibstoff, etwa Gas, Diesel oder Methanol, synthetisieren lassen. Sie umgehen damit nicht nur das Teller-oder-Tank-Problem, sondern können auch über die gleiche Infrastruktur aus Pipelines und Tankstellen verteilt werden wie fossiler Diesel oder Benzin. „Solche Alternativen werden wir künftig vor allem für die mobile Langstrecke benötigen“, sagt Karl. „Denn Elektroantriebe werden das noch lange nicht leisten.“

Erst bei 800 Grad Celsius funktioniert’s

Anders als bei herkömmlichen Anlagen, in denen Mikroorganismen die Biomassen bei relativ niedrigen Temperaturen zersetzen, vergasen die Holzreste erst bei etwa 800 Grad Celsius. Technisch ist das kein Problem. Anlagen, in denen Kohle vergast wird, gibt es bereits. Allerdings sind sie mit einem Gigawatt Leistung viel zu groß, um sie mit Holzresten wirtschaftlich zu betreiben. Der Grund: Der kostspielige Transport großer Mengen von Holzresten über weite Strecken lohnt sich aufgrund der geringen Energiedichte nicht. Bezahlbar bleibt die Holzvergasung nur, wenn die Reststoffe lokal verarbeitet werden. Dafür werden dezentrale Anlagen im Leistungsbereich zwischen zehn und 100 Megawatt benötigt.

Die Inbetriebnahme der Testanlage am Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik im Jahr 2016 gilt als wichtiger Schritt dorthin. Sie bildet die gesamte Prozesskette – Vergasung, Gasreinigung und Synthese – ab und erlaubt es, mit unterschiedlichen Reststoffen standardisierte Versuche zu fahren. Eine der aktuell wichtigsten Fragen lautet dabei, wie sich das Verkleben der Anlagen durch flüssige Mineralien verhindern
lässt. Schließlich schmelzen viele Mineralien, die sich in den Holzresten finden, weit unterhalb von 800 Grad Celsius.

Wir brauchen eine Globalisierung der erneuerbaren Energien

Das Potenzial dieser Technik in Deutschland schätzt Karl auf bis zu zehn Prozent des Primärenergieverbrauchs, vorausgesetzt die biogenen Reststoffe würden komplett für die Vergasung genutzt und nicht mehr verbrannt. Damit könnte man auf die Erdgasimporte aus Russland komplett verzichten. Eine sehr viel größere Wirkung könnte die Technik entfalten, wenn sie in Ländern wie Brasilien oder Kanada zur Kraftstoffproduktion zum Einsatz käme. „Wir brauchen“, ist sich der FAU-Experte sicher, „eine Globalisierung der erneuerbaren Energien.“


Forschungsschwerpunkt Energiesysteme der Zukunft

Das Energiesystem der Zukunft mitzugestalten – für dieses Ziel werden an der FAU naturwissenschaftliche, ingenieurwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Forschung miteinander verknüpft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten wertvolle Beiträge aus den Grundlagenfächern Chemie, Biochemie und Geologie ebenso wie aus anwendungsorientierten Feldern der Chemischen Reaktionstechnik, der Energieverfahrenstechnik, der Informatik, der Mathematik und den Wirtschaftswissenschaften. Fakultätsübergreifend wird intensiv an neuen Möglichkeiten der Energiegewinnung, -speicherung, -verteilung und -einsparung geforscht, etwa auf den Gebieten Photovoltaik und Wasserstoffwirtschaft, Geothermie, Elektromobilität, Neuartige Materialien und Prozesse, Energienetze sowie Energiemärkte und Energiesystemanalyse. Gemeinsam mit Partnern aus der Energieforschung, der Industrie und der Politik hat die FAU den Energie Campus Nürnberg (EnCN) etabliert, in dem Lösungen für die Energieversorgung von morgen entwickelt werden.

Weitere Forschungsschwerpunkte sind zu finden auf der Webseite „Forschungsschwerpunkte“


Der friedrich – das Forschungsmagazin der FAU

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Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe wirft einen Blick zurück in die 275-jährige Geschichte der Universität. Darüber hinaus beschäftigen es sich mit Fragen, die die Wissenschaft hier und heute bewegen: Was macht gute Wissenschaft aus? Muss Wissenschaft nützen? Wann ist Scheitern erfolgreich? Die Jubiläumsausgabe wagt aber auch einen Blick in die Zukunft. Denn obwohl wir heutzutage so viel mehr wissen als noch vor 200 Jahren, existieren immer noch jede Menge offener Fragen, auf die es Antworten zu finden gilt.

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