Arbeitswelt 4.0 – Ein Blick in die Zukunft
Die Welt der Arbeit verändert sich: Aufgaben werden neu definiert, Berufsfelder werden obsolet, atypische Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu. Wie bewältigen Unternehmen, Mitarbeiter und Gesellschaft diesen Wandel?
In der deutschen Nachkriegsgeneration herrschte ein ziemlich klares Bild vom Arbeitsleben: Man lernte in einem Unternehmen, blieb nach der Lehre im Betrieb und übte seinen Beruf aus, bis man in Rente ging. Solche klassischen Erwerbsbiografien sind auch heute noch in der Überzahl, aber ihr Anteil wird kleiner. Auf dem Weg in eine digitalisierte Industrie- und Wissensgesellschaft wird Arbeitnehmern viel abverlangt: Sie müssen sich permanent weiterbilden, mit neuen Technologien und Kommunikationsstrukturen umgehen, eine hohe Flexibilität bei den Arbeitszeiten zeigen und häufiger den Arbeitgeber wechseln als früher. Was ist von der Arbeitswelt 4.0 zu erwarten? Welche Weichen können Unternehmen stellen, um – auch im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte – konkurrenzfähig zu bleiben? Wie wirken sich neue Anforderungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer aus? Ist das klassische Erwerbssystem in Zeiten zunehmender Automatisierung und wegfallender Arbeitsplätze überhaupt zukunftsfähig?
Mehr Lust durch mehr Geld
„Arbeit ist ein wichtiger Lebensinhalt und die zentrale Einkommensquelle der meisten Menschen. Daran hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert“, sagt Claus Schnabel, Professor für Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik an der FAU. „Was sich allerdings verändert hat, ist die Dynamik des Arbeitsmarktes. Wir verzeichnen eine Zunahme neuer Beschäftigungsformen, eine höhere Fluktuation des Personals und insgesamt einen Rückgang von Normalarbeitsverhältnissen mit unbefristeten Arbeitsverträgen, tariflicher Entlohnung und Interessenvertretung durch Gewerkschaften oder Betriebsräte.“ Eines der sichtbarsten Phänomene veränderter Beschäftigungsformen ist die Zeitarbeit, die 2016 erstmals mehr als eine Million Arbeitnehmer betraf. „Durch den Einsatz von Leiharbeitern können Unternehmen Nachfragespitzen und kurzfristigen Ersatzbedarf ausgleichen“, sagt Schnabel. „Zugleich kann Zeitarbeit ein Sprungbrett für Beschäftigte in den Arbeitsmarkt sein.“
Allerdings warnt der Ökonom davor, das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung zu strapazieren: „Zeitarbeitsverträge sind zumeist mit schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen verbunden. Auch aus Sicht der Unternehmen sind sie kein Heilsbringer, denn das geringere betriebsspezifische Wissen der Leiharbeiter kann negative Wirkungen auf die Stammbelegschaft haben und die Produktivität senken. Zu viel Leiharbeit kann für Betriebe schädlich sein.“ Offenbar geht es vielen Betrieben aber auch gar nicht darum, ihren Gewinn auf Kosten der Mitarbeiter zu maximieren. Gut ein Drittel der tarifgebundenen Unternehmen zahlt übertarifliche Löhne und Gehälter.
Wie lässt sich diese freiwillige Überschreitung – im Schnitt immerhin um zehn Prozent – erklären?
Schnabel liefert drei Gründe, die sich mit empirischen Studien decken: Erstens nutzen Betriebe die stärkere Differenzierung in der Entlohnung, um höhere Qualifikation oder größere Verantwortung attraktiver zu vergüten. Zweitens setzen Mitarbeiter gegenüber dem Arbeitgeber eine höhere Entlohnung durch, vor allem bei guter Ertragslage. Und drittens können Zuschläge zu höherer Effizienz der Arbeit beitragen: Sie verringern Abgänge und Bummelei, locken fähige Mitarbeiter an, steigern ihre Leistungsbereitschaft und damit die Produktivität. „Übertarifliche Entlohnung kann ein wichtiges Instrument sein, Mitarbeiter besonders zu motivieren und langfristig an das Unternehmen zu binden.“
Veränderungen am Arbeitsplatz
Die zunehmende Technisierung und Digitalisierung verändert die Arbeitswelt: Aufgaben werden neu definiert, Berufsbilder werden hinfällig. Wie Beschäftigte mit solchen Veränderungen umgehen, ist Gegenstand psychologischer Forschung. „Arbeit ist sinnstiftend, sie gibt Struktur und sorgt dafür, dass man sich wertvoll fühlt“, sagt Prof. Dr. Cornelia Niessen, Inhaberin des Lehrstuhls für Psychologie im Arbeitsleben an der FAU. „Wenn man jedoch das Gefühl hat, dass der Job nicht mehr passt, fühlt man sich unwohl.“ Dabei hängt es von den Arbeitsbedingungen, aber auch Fähigkeiten und Bedürfnissen des Einzelnen ab, ob neue Aufgaben als Stress oder Herausforderung empfunden werden.
„Nehmen wir an, ein Mitarbeiter hat lange Zeit in der Buchhaltung gearbeitet und soll jetzt Kunden betreuen. Manch einer findet in der neuen Aufgabe seine Bestimmung, ein anderer fühlt sich damit überfordert.“ Stellen Veränderungen im Beruf vor allem ältere Mitarbeiter vor Probleme? „Das ist ein Stereotyp“, sagt Niessen.
„Einen direkten Zusammenhang zwischen Alter und Anpassungsfähigkeit zeigen unsere Studien häufig nicht.“ Schwierigkeiten haben vor allem Beschäftigte mit spezifischen Arbeitsroutinen. Diese Menschen erleben oft eine Bedrohung ihrer Kompetenzen, zum Teil sind Umstrukturierungen im Unternehmen auch mit Statusverlusten verbunden.
Die Folge ist Unsicherheit, die sich negativ auf die Bewältigung von Veränderungen auswirkt. Niessen: „Unsicherheit am Arbeitsplatz bedroht eigene Ressourcen, weil man sich nicht ausreichend auf die Aufgaben konzentrieren kann.“ Helfen können hier emotionale Unterstützung, individuelle Trainingskonzepte und das Instrument der Jobrotation, die es den Mitarbeitern ermöglichen, neue Erfahrungen zu sammeln und sich von überholten Routinen zu trennen.
Doch auch die Beschäftigten selbst können dazu beitragen, Veränderungen am Arbeitsplatz leichter zu bewältigen – durch eigeninitiatives, proaktives Handeln. „Wer Aufgaben im Arbeitsalltag proaktiv bewältigt, kann mit unvorhergesehenen Anforderungen besser umgehen“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Noch Zukunftsmusik: Fabriken ohne Menschen
Wie muss man sich den Übergang in die digitalisierte Industrie eigentlich vorstellen? Wann sind Produktionsprozesse so weit automatisiert, dass nur noch sehr wenige, hochqualifizierte Menschen in den Werkhallen arbeiten werden? „Die vollständige Digitalisierung der Industrie ist eine Vision, sie wird ein langwieriger Prozess bleiben“, sagt Rainer Trinczek, Professor für Arbeits- und Organisationssoziologie an der FAU. „Bereits in den 1980er-Jahren gab es erste Ansätze des Computer Integrated Manufacturing. Bilder von menschenleeren Fabrikhallen wurden entworfen, aber davon sind wir immer noch weit entfernt.“
Gleichwohl verlangt die zunehmende Technisierung der Arbeit hohe Anpassungsleistungen von den Beschäftigten, und nicht selten kommt es zu radikalen Brüchen wie bei der Einführung der ersten CNC-Maschinen in den 1970er-Jahren. „Stellen Sie sich einen Dreher vor, der zwanzig Jahre lang eine analoge Maschine bedient hat“, sagt Trinczek. „Jetzt soll er plötzlich nur noch Buttons auf dem Display drücken.“
Unabhängig von solchen abrupten Veränderungen sei das Ausbildungssystem generell reformierungsbedürftig, weil die staatliche Definition von Berufsbildern mit den veränderten Beschäftigungsprofilen häufig nicht Schritt halte.
Die Befürchtung wachsender Arbeitslosigkeit durch eine automatisierte Produktion teilt der Forscher nicht und verweist auf den demografischen Wandel, der seiner Einschätzung nach zu einem starken Rückgang des Arbeitskräfteangebots führen wird. Problematisch sei vielmehr die zunehmende Segmentierung in hoch-und geringqualifizierte Tätigkeiten: „Der Niedriglohnsektor ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, und er wird weiter wachsen“, sagt der Arbeitssoziologe. „Die Schere zwischen Menschen mit niedrigem Einkommen und Besserverdienenden wird weiter auseinandergehen.“
Ein wachsender Niedriglohnsektor und die zunehmende Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf allen Qualifikationsniveaus, etwa durch befristete Arbeitsverträge, Soloselbstständigkeit, Teilzeitjobs oder Leiharbeit, stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen: „Unser Sozialversicherungssystem basiert auf dem Normalarbeitsverhältnis“, erklärt Trinczek. „Abweichungen führen langfristig zu gravierenden Problemen, etwa zu steigender Altersarmut. Wenn die Effekte der veränderten Arbeitswelt unseren sozialen Frieden nicht gefährden sollen, brauchen wir eine sozialpolitische Offensive.“
Forschungsschwerpunkt
Die Welt der Arbeit
Arbeitswelt und Arbeitsmarkt befinden sich in einem steten Wandel. An der FAU wird die Welt der Arbeit aus verschiedenen Perspektiven erforscht – von den Wirtschaftswissenschaften über die Sozial- und Verhaltenswissenschaften bis hin zu Arbeitsrecht, Arbeitsmedizin und Pädagogik. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen die Herausforderungen für Beschäftigte, Unternehmen, Politik und Gesellschaft, die sich durch den demografischen Wandel, durch technischen Fortschritt und durch die Globalisierung ergeben. Im Forschungsinteresse stehen auch der Zusammenhang von Bildung und Erwerbstätigkeit, der Wandel der Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbeziehungen, (Nicht-)Erwerbstätigkeit im Lebensverlauf, Lohnunterschiede zwischen verschiedenen Gruppen sowie die Wirkung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Institutionell verankert ist diese Forschung im Interdisziplinären Zentrum Arbeitsmarkt und Arbeitswelt, das in seiner breiten, multidisziplinären Ausrichtung deutschlandweit einzigartig ist.
Weitere Forschungsschwerpunkte sind zu finden auf der Webseite „Forschungsschwerpunkte“
Der friedrich – das Forschungsmagazin der FAU
Der Überblick über die Universitätsgeschichte erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe wirft einen Blick zurück in die 275-jährige Geschichte der Universität. Darüber hinaus beschäftigen es sich mit Fragen, die die Wissenschaft hier und heute bewegen: Was macht gute Wissenschaft aus? Muss Wissenschaft nützen? Wann ist Scheitern erfolgreich? Die Jubiläumsausgabe wagt aber auch einen Blick in die Zukunft. Denn obwohl wir heutzutage so viel mehr wissen als noch vor 200 Jahren, existieren immer noch jede Menge offener Fragen, auf die es Antworten zu finden gilt.
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