„Belgische Richter könnten Auslieferung von Puigdemont für unzulässig erklären“
FAU-Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Safferling zum Europäischen Haftbefehl
Der Präsident der katalanischen Autonomieregierung, Carles Puigdemont, ist nach Brüssel gereist, um einem drohenden Strafverfahren in Spanien zu entgehen. Zu einer gerichtlichen Anhörung kam er nicht nach Madrid, woraufhin die spanische Justiz einen Europäischen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hat und von Belgien die Auslieferung nach Spanien verlangt. Im Interview erklärt Prof. Dr. Christoph Safferling, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), worum es sich bei einem Europäischen Haftbefehl handelt und warum er für politische Straftaten ungeeignet ist.
Prof. Safferling, was ist eigentlich ein Europäischer Haftbefehl?
Bereits im Jahr 2002 einigte sich die Europäische Union, damals in der Form eines Rahmenbeschlusses, auf eine beschleunigte Auslieferung von Verdächtigen und Straftätern innerhalb Europas. Auslieferungen sind komplizierte und meist politisch aufgeladene Verfahren. Oft schließen Staaten hierüber bilaterale Verträge auf völkerrechtlicher Ebene. In Europa hatte man sich 1957 auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen geeinigt und damit einen einheitlichen Standard geschaffen. Als grundlegende Voraussetzung für eine Auslieferung gilt das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit. Danach ist ein Staat nur dann verpflichtet auszuliefern, wenn die vorgeworfene Tat auch nach innerstaatlichem Recht strafbar ist. Auszuliefern ist also nur dann, wenn der um Auslieferung ersuchte Staat das Verhalten selbst für strafwürdig hält. Dieses Vorgehen ging der nach Integration strebenden EU nicht weit genug. Zu Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung wird daher das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auf Haftbefehle angewandt, das heißt, jeder Mitgliedstaat behandelt einen aus dem Ausland stammenden Haftbefehl im Grunde wie einen inländischen.
Kann denn dann für jede Straftat ein Europäischer Haftbefehl durchgesetzt werden und findet überhaupt noch eine Prüfung statt?
Der Europäische Haftbefehl gilt nur in bestimmten Deliktsbereichen: Cyberkriminalität, Terrorismus, Rassismus, Betrug, Geldwäsche, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, organisierter Diebstahl, Produktpiraterie und Drogenhandel sind einige der 32 im Rahmenbeschluss aufgezählten Deliktbereiche. Klassische Staatsschutzdelikte wie Hochverrat, Landesverrat usw. zählen allerdings nicht dazu. Das hat auch seinen guten Grund. Bei politischen Delikten findet traditionell keine Auslieferung statt. Da der Europäische Haftbefehl hierzu keine Regelung trifft, gilt dann das Auslieferungsverbot aus dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (Art. 6 Abs. 1). Das gleiche gilt im Übrigen, wenn in dem ersuchenden Staat politische Verfolgung droht, also etwa ein unfairer Showprozess zu befürchten ist (Art. 6 Abs. 2). In beiden Fällen wird die Integrität des Menschen höher eingeschätzt als die Interessen des Staates an einer Strafverfolgung aus politischen Gründen. Auch wenn man die letzten Jahrzehnte nicht geglaubt hat, dass sich derartige Fragen im europäischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, also der Innen- und Justizpolitik auf europäischer Ebene, stellen würden, sind sie relevant und können gegen die Zulässigkeit einer Auslieferung innerhalb der EU sprechen. Eine entsprechende Prüfung hat vor Gericht zu erfolgen. Für den aktuellen Fall bedeutet das, dass die belgischen Richter auf dieser Grundlage die Auslieferung von Puigdemont für unzulässig erklären könnten.
Welche Folgen hat der Europäische Haftbefehl für den bzw. die Betroffenen? Wie läuft so ein Verfahren?
Der Europäische Haftbefehl soll zur Beschleunigung des Verfahrens dienen. Sobald ein Europäischer Haftbefehl erlassen ist – jährlich sind das mittlerweile etwa 15.000 Haftbefehle –, wird die Person im Schengener Informationssystem (SIS) zur Fahndung ausgeschrieben. Stellt sie sich der Polizei oder wird sie daraufhin festgenommen, muss sie unmittelbar einem Richter vorgeführt werden, der über ihre Festnahme oder Freilassung entscheidet. Stimmt die Person der Auslieferung zu, was in etwa in der Hälfte der Fälle geschieht, so soll innerhalb von zehn Tagen die Übergabe durchgeführt werden, ohne dass eine weitere gerichtliche Prüfung stattfindet. In den anderen Fällen muss ein Gericht über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheiden. Hält das Gericht die Auslieferung für zulässig, so soll die Überstellung innerhalb von 60 Tagen erfolgen. Gegen die gerichtliche Entscheidung sind dann natürlich Rechtsmittel möglich, bei uns in Deutschland bis zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, was das Verfahren sehr in die Länge ziehen kann.
Warum ist der Europäische Haftbefehl bei politischen Straftaten ein ungeeignetes Mittel?
Der Europäische Haftbefehl hat sich in der Masse der Fälle bewährt und das schwerfällige Instrument der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen in Europa erheblich entschlackt. Er passt gut für schwere Straftaten, die europaweit unumstritten sind. Der Europäische Haftbefehl soll aber nicht dazu führen, dass ein Staat plötzlich etwas exekutieren muss, was er selbst gar nicht für sozialschädlich hält. Strafrecht dient der Stabilisierung der Gesellschaft. In Europa haben sich die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sich wechselseitig dabei zu unterstützen und akzeptieren deshalb die Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten als gleichwertig. Im Bereich des politischen Strafrechts geht es aber vor allem um die Stabilisierung eines politischen Systems. Die Grenze zwischen demokratischem Meinungskampf und „Rebellion“, wie der Vorwurf in Spanien etwa lautet, ist äußerst grau. Die Staaten sollen aber nicht in den politischen Auseinandersetzungen innerhalb eines anderen Staates mit den Mitteln des Strafrechts Partei ergreifen. Im Gegenteil: Hier beginnt der Anwendungsbereich des Grundrechts auf politisches Asyl (Art. 16 a GG). Etwas anderes gilt selbstverständlich dann, wenn Gewalt das Mittel der Auseinandersetzung ist. Dann handelt es sich um Terrorismus. Und den zu bekämpfen, hat sich Europa gemeinsam verpflichtet.
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Prof. Dr. Christoph Safferling
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christoph.safferling@fau.de