Ein intelligenter „Schwarm“ von Kleinspeicheranlagen
FAU-Forschungsprojekt untersucht die Zukunft der Energieversorgung
Dezentrale Energieversorgung, zum Beispiel mit Hilfe von Photovoltaikanlagen, ergänzt in Privathaushalten immer öfter die herkömmliche Versorgung durch konventionelle Stromanbieter. Zusätzlich erleichtern sogenannte Kleinspeicheranlagen die Nutzung des selbsterzeugten Stroms. Diese und andere Faktoren wie die Energiewende stellen unser Energiesystem und alle daran beteiligten Akteure – Stromanbieter, Netzbetreiber, Erzeuger, aber auch die Politik – vor große Herausforderungen. Im interdisziplinären Emerging Fields Initiative (EFI)-Forschungsprojekt „Sustainable Business Models in Energy Markets: Perspectives for the Implementation of Smart Energy Systems“ der FAU untersuchen verschiedenen Lehrstühle unter anderem, wie mit entsprechenden Geschäftsmodellen die erfolgreiche Transformation des Energiesystems gelingen kann.
Mit Hilfe von verbundenen Kleinspeicheranlagen die Netzstabilität erhöhen
Das EFI-Projekt „Sustainable Business Models in Energy Markets“ vereint eine Vielzahl an Forschungsprojekten aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Der Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie von Prof. Dr. Veronika Grimm beispielsweise arbeitet seit 2015 mit der N-ERGIE AG Nürnberg zusammen, um den Nutzen und die Vorteile von verbundenen Kleinspeicheranlagen für das Netzgebiet der N-ERGIE AG zu untersuchen. Das Projekt entstand in enger Kooperation mit dem Energie Campus Nürnberg (EnCN). Der EnCN ist eine Initiative der FAU, der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, des Bayerischen Zentrums für Angewandte Energieforschung (ZAE Bayern), der Fraunhofer-Gesellschaft und der Hochschule Ansbach. Ziel des Think Tank ist es zusammen mit der Industrie innovative Lösungen für die Energie der Zukunft zu entwickeln.
Prof. Dr. Grimm, beim Forschungsprojekt SWARM handelt es sich um einen Feldversuch, der zusammen mit der N-ERGIE durchgeführt wird. Wie kam es zu der Kooperation?
Grimm: Es besteht bereits eine langjährige Zusammenarbeit zwischen dem Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und der N-ERGIE AG im Rahmen eines Seminars. Außerdem wurde über eine Kooperation der N-ERGIE mit dem Energie Campus Nürnberg (EnCN) nachgedacht. In diesem Umfeld kam es dann zur Entwicklung des Projekts.
Im Zentrum des Feldversuchs stehen verbundene Kleinspeicheranlagen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Grimm: Unter Kleinspeicheranlagen kann man sich typische Photovoltaik (PV)-Batteriespeicher vorstellen, die für die Anwendung in Privathaushalten ausgelegt, also leistungstechnisch auf Haushaltsgröße dimensioniert und als Ergänzung zu einer bereits bestehenden oder neu installierten PV-Anlage gedacht sind. Was die SWARM-Speicher dieses Pilotprojekts jedoch von konventionellen Speichern unterscheidet – und sie im Endeffekt zu „verbundenen Kleinspeicheranlagen“ macht – ist deren Möglichkeit zu intelligenter Steuerung: Die SWARM-Speicher sind mit einer zusätzlichen Steuereinheit ausgestattet, mittels derer die einzelnen, räumlich in ganz Mittelfranken verteilten Speicher miteinander vernetzt und ihr Lade- und Entladeverhalten in einer Leitwarte zentral überwacht und koordiniert werden. So entsteht aus einer Vielzahl ursprünglich ungerichtet und unabhängig voneinander betriebener Speicher ein aufeinander abgestimmter Verbund, ein „virtueller Großspeicher“. Im Zuge des SWARM-Projekts wurden insgesamt 65 solcher intelligenter Batteriespeicher im Netzgebiet der N-ERGIE installiert und verbunden. Diese haben so eine Gesamtleistung von einem Megawatt.
Diese Kleinspeicheranlagen werden zu einem zentral koordinierten „Schwarm“ verbunden. Warum? Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Grimm: Über die Vernetzung der Kleinspeicher – und damit auch deren Speicherleistung – ergeben sich gänzlich neue Einsatzmöglichkeiten: Während der einzelne PV-Stromspeicher in erster Linie dazu dient, den Eigenverbrauch des selbst erzeugten Stroms zu erhöhen, im Nutzen also in gewisser Hinsicht auf den Haushalt beschränkt ist, kann der Verbund darüber hinausgehend netzdienlich und kraftwerksähnlich eingesetzt werden. So kann zum Beispiel die Frequenzhaltung im Stromnetz unterstützt werden, indem bei Stromüberschuss vorübergehend Strom aus dem Netz im Verbund gespeichert oder bei Bedarf Strom ins Netz gespeist wird. Genau das ist auch die zentrale Idee hinter dem Projekt SWARM: Durch den Einsatz vernetzter Stromspeicher die Bereitstellung von sogenannter Primärregelleistung zu ermöglichen. Regelleistung wird im deutschen Stromnetz benötigt, um Frequenzschwankungen im Netz vorzubeugen bzw. diese abzumildern. Sie wird von den Übertragungsnetzbetreibern in drei Produkten beschafft: Primär-, Sekundär- und Minutenregelleistung. Die Anforderungen an die Primärregelleistung sind dabei am höchsten, sie muss innerhalb von 30 Sekunden verfügbar sein. Da diese Leistungsbereitstellung natürlich auch vergütet wird, erhöht diese zusätzliche Nutzung die Wirtschaftlichkeit der Speicher.
Wie kann die Öffentlichkeit und Industrie und Wirtschaft von den Ergebnissen des Projekts profitieren?
Grimm: Stromspeicher werden in den kommenden Jahren zweifelsohne eine bedeutende Rolle in der Stromversorgung spielen – allerdings scheint diese gegenwärtig noch nicht eindeutig definiert. Hier setzt das Projekt SWARM an: Indem wir uns ganzheitlich und interdisziplinär einem prototypischen Einsatzfeld vernetzter Stromspeicher widmen und sowohl Erkenntnisse über den technisch und wirtschaftlich optimalen Betrieb, wie auch über das Akzeptanz- und Adaptionspotenzial von virtuellen Großspeichern als alternativem Lösungsansatz gewinnen, tragen wir dazu bei, dieses Rollenverständnis zu schärfen. Letztendlich kommen die Erkenntnisse allen von den Herausforderungen der Energiewende berührten Anspruchsgruppen zu Gute – sei es aus privatwirtschaftlicher Sicht in der Beurteilung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit dezentraler Geschäftsmodelle oder politisch und regulatorisch in der Bewertung der Speichernutzung als möglicher Alternative zum Netzausbau. Wie wichtig eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit diesem Konzept ist, zeigt nicht zuletzt auch die Würdigung des Projekts SWARM durch die Verleihung des Bayerischen Energiepreises 2016 in der Kategorie „Energieverteilung und –speicherung“.
Was ist das Ziel des Projekts?
Grimm: Übergeordnetes Ziel des Projekts SWARM war es zunächst, einen ausreichend großen Speicherverbund im Netzgebiet der N-ERGIE zu installieren und diesen zum Angebot von Primärregelleistung zu nutzen. Dies ist im Sommer 2015 gelungen. Seitdem trägt der SWARM-Verbund erfolgreich zur Netzstabilität bei. Von Seiten der FAU wurde dieser Prozess durch drei Lehrstühle in unterschiedlichen Teilprojekten begleitet. Neben dem Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie sind auch der Lehrstuhl für Informatik 7 für Rechnernetze und Kommunikationssysteme und der Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme in dem Projekt involviert. Entsprechend vielfältig und interdisziplinär stellen sich die wissenschaftlichen Zielsetzungen dar. So haben wir uns im Rahmen des Projekts sowohl mit netztechnischen wie wirtschaftlichen Fragestellungen befasst, neben der technischen insbesondere auch die Nutzerperspektive berücksichtigt. Beispielhafte Forschungsfragen waren: Welche Auswirkungen hat der Betrieb der Speicher auf das örtliche Transportnetz? Wie wirken sich regulatorische Rahmenbedingungen auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebs aus? Und da eine dezentrale und bürgernahe Energiewende auch von der aktiven Teilhabe der Privathaushalte lebt: Welche Einstellungen und Ansprüche bringen diese mit? Wird eine derartige innovative Speicherlösung angenommen? Mit welcher Anreizstruktur könnte eine weitere Verbreitung gefördert werden? Erste Ergebnisse zu diesen Fragen wurden bereits auf verschiedenen Fachkonferenzen vorgestellt. Zu Beginn des kommenden Jahres wird das Projekt mit der Veröffentlichung eines Abschlussberichts dann offiziell abgeschlossen.
Welche Rolle spielt das Unternehmen Caterva GmbH für das Projekt?
Grimm: Die Caterva GmbH spielt eine zentrale Rolle: Sie ist als Anbieter der Batteriespeicher zum einen der Systemlieferant. Zum anderen verantwortet sie gemeinsam mit der N-ERGIE auch den Betrieb des SWARM, regelt den Gesamtverbund also so aus, dass jederzeit die angebotene Primärregelleistung zur Verfügung steht.
Vielen Dank für das Interview, Prof. Dr. Grimm.
Über die Emerging Fields Initiative der FAU
Als Volluniversität vereint die FAU alle Fachdisziplinen unter einem Dach. Kurze Wege eröffnen ein großes Potenzial für die fächerübergreifende Zusammenarbeit. Damit bietet die FAU den idealen Rahmen für innovative Ideen, die häufig an Fächergrenzen und in der Kooperation verschiedener Forschungsbereiche geboren werden. Mit der 2010 gegründeten Emerging Fields Initiative (EFI) fördert die FAU solche herausragenden, vorzugsweise interdisziplinär angelegten Vorhaben frühzeitig, flexibel und unbürokratisch. Besonders ausgewiesene Forscherinnen und Forscher der FAU sollen so in die Lage versetzt werden, ihre Visionen umzusetzen und damit schneller und effektiver auf neue Herausforderungen zu reagieren.