Mit Pfadfindern kranke Senioren unterstützen
Senioren im Krankenhaus – ein Teufelskreis
Wenn alte Menschen aus dem Krankenhaus nachhause kommen, fällt es ihnen oft schwer, sich im Alltag wieder zurecht zu finden. Die Konsequenz: Nur kurze Zeit später müssen sie erneut in die Klinik. Dennoch unterstützt das deutsche Gesundheitswesen die Patienten kaum beim Übergang von stationärer zu ambulanter Behandlung. Im neuen Forschungsprojekt TIGER des Instituts für Biomedizin des Alterns (IBA) der FAU wird nun in einer Studie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg mit mehreren Kooperationspartnern untersucht, ob eine gezielte Betreuung während der Übergangszeit zu weniger Neueinweisungen führt.
Nach der Entlassung folgt die Neueinweisung
Senioren ab 75 müssen statistisch gesehen deutlich häufiger ins Krankenhaus als junge Menschen – Tendenz steigend. Einfache Knochenbrüche sind oft der Grund für die Erstaufnahme. Während der stationären Behandlung verkümmern die ohnehin schwächeren Muskeln durch das lange Liegen weiter, neue Medikamente bringen viele Nebenwirkungen und Operationen stellen den Körper vor große Herausforderungen. So ist vielleicht nach dem Klinikaufenthalt der Knochenbruch gut versorgt, doch die Senioren gehen geschwächt nachhause. Dort begegnen sie dann ganz neuen Herausforderungen: Der Kühlschrank ist eventuell leer, die Schwelle zum Badezimmer wird durch die eingeschränkte Mobilität auf einmal zur Stolperfalle. Sich wieder selbständig zu versorgen, scheint wie eine große Hürde. Und Infektionskrankheiten haben bei den geschwächten älteren Menschen oft ein leichtes Spiel.
Gesundheitliche Abwärtsentwicklungen oder krisenhafte Verläufe können ausgelöst werden, wenn in solchen Fällen nicht rechtzeitig angemessen reagiert wird. Die pflegenden Angehörigen sind in der Folge überfordert, Patienten werden ins Heim eingewiesen oder müssen erneut ins Krankenhaus. Die Kosten für das Gesundheitssystem steigen. Die FAU-Forscher um Prof. Dr. Cornel Sieber und PD Dr. Ellen Freiberger vom Projekt TIGER (Transsektorales Interventionsprogramm zur Verbesserung der Geriatrischen Versorgung in Regensburg) sehen eine besondere Notwendigkeit darin, Patienten und ihre Angehörigen während der Übergangsphase vom Krankenhaus in die eigene Wohnung besser zu unterstützen. Hier setzen sie mit einem neuen Konzept in der Versorgungsstruktur an.
Pfadfinder unterstützt Betroffene
Sogenannte Pfadfinder sollen die Übergangsphase sicherer gestalten, indem sie Patienten und Angehörige quasi an die Hand nehmen und ihnen besonders in den ersten Wochen zuhause beratend zur Seite stehen. Die Pfadfinder suchen dabei nach den besten Pfaden oder Unterstützungen und sind damit Teil eines großen interdisziplinären Netzwerks. Bereits in der Klinik entwickeln die Pflegewissenschaftler oder ausgebildeten Pflegefachpersonen – noch in gemeinsamer Zusammenarbeit mit dem Entlassmanagement – mit dem Patienten und Angehörigen einen Plan für die Zeit danach. Dabei wird zum Beispiel beachtet, welche möglichen Verschlechterungen drohen oder wie mit der Erkrankung umgegangen werden muss.
In den ersten Wochen zuhause koordiniert der Pfadfinder zukünftige ambulante Maßnahmen, zum Beispiel Physiotherapie oder Ernährungsberatung, oder setzt sich mit dem behandelnden Hausarzt in Verbindung, um zu vermeiden, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert. Wichtigstes Merkmal von TIGER ist dabei, dass die Zeit der Betreuung mit der Entlassung nicht beendet wird: Der Pfadfinder begleitet den Patienten auch weiterhin – zunächst in regelmäßigen Hausbesuchen, später vor allem durch Telefonate. Dabei dokumentiert er jegliche Entwicklung genau. Verbesserungen, Verschlechterungen oder neu auftretende Probleme werden so rechtzeitig erkannt und der Versorgungsplan kann jederzeit angepasst werden.
Internationales Vorbild
TIGER orientiert sich an dem internationalen Transitional Care Modell (TCM). Dabei werden ältere Patienten und ihre pflegenden Angehörigen so ausgebildet, dass sie lernen, mit ihrer Erkrankung angemessen umzugehen. Zahlreiche Studien belegen, dass diese Maßnahmen dabei helfen, den Gesundheitszustand der Patienten zu verbessern und das Gesundheitssystem zu entlasten. In Deutschland ist die Problematik des Übergangs von stationärer zu ambulanter Behandlung zwar bekannt, doch stecken die ergriffenen Maßnahmen noch in den Kinderschuhen und werden den Bedürfnissen der Patienten nicht gerecht.
Die Wissenschaftler der FAU gehen auf der Basis des TCM davon aus, dass durch TIGER die Wiederaufnahmerate um mindestens 40 Prozent reduziert werden kann. Dadurch haben die Patienten eine höhere Lebensqualität und das Gesundheitssystem dementsprechend weniger Kosten. Der neue Ansatz wird begleitend durch eine wissenschaftliche Studie ausgewertet, die am Krankenhaus Regensburg stattfindet.
Weitere Informationen:
PD Dr. Ellen Freiberger
Tel.: 0911/5302-96162
ellen.freiberger@fau.de