Mit Mathematik Ozeane, Atmosphäre und Boden verstehen
FAU-Mathematiker Prof. Dr. Peter Knabner im Interview
Macht eine bestimmte Konstruktion eines Endlagers Sinn? Welche Auswirkungen hat der Klimawandel ? Diese und weitere Fragen diskutieren mehr als 500 Teilnehmer aus allen fünf Kontinenten ab kommender Woche auf der SIAM Conference on Mathematical and Computational Issues in the Geosciences 2017 an der FAU. FAU-Professor und Tagungsorganisator Dr. Peter Knabner erklärt im Interview, warum die mathematischen Berechnungen für das alltägliche Leben von Bedeutung sind.
Die Konferenz beschäftigt sich mit Simulationen und Modellen. In welchen Bereichen ist das im alltäglichen Leben wichtig?
Die Tagung hat drei große inhaltliche Schwerpunkte: den Ozean, die Atmosphäre und den Untergrund, also Boden, Grundwasser, die feste Erde. In diesen Bereichen finden komplexe Prozesse der Strömung, Verlagerung und Umwandlung von Stoffen statt, die auf einer gemeinsamen mathematischen Basis beschrieben und dann einer Simulation zugeführt werden können. Ziel der Tagung ist also die Weiterentwicklung des notwendigen Instrumentariums, aber auch die Lösung konkreter Probleme aus den Anwendungen. Diese sind sehr vielfältig und betreffen letztlich uns alle. Im Bereich Ozean sind dies Tsunami-, Sturm- oder Überschwemmungsvorhersagen: Es gibt Kollegen, die dies speziell für den Golf von Mexiko machen, was natürlich eine erschreckende Aktualität hat.
Im Bereich Atmosphäre geht es nicht nur um Wettervorhersage, sondern insbesondere auch um Klimawandel. Der Bereich Untergrundmodellierung ist der größte Bereich der Tagung. Traditionelle Bereiche sind Rohstoffexploration und -förderung, insbesondere Erdöl, aber auch erneuerbare Energie wie die Gewinnung von thermischer Energie aus dem Untergrund. Sehr aktuell und in Deutschland etwas verdrängt ist die Frage nach der sicheren Speicherung von technisch extrahiertem Kohlendioxid im Untergrund, und schließlich die Frage von Schadstofflagern bzw. der Sanierung von Schadstoffquellen im Untergrund.
Gerade im letzten Fall haben wir allein in Bayern tausende von Altlastenverdachtsflächen mit organischen Schadstoffen, die allein aus finanziellen Gründen nicht auf konventionelle Art saniert werden können. Die Hoffnung ist, dass natürliche Abbauprozesse zur Reinigung beitragen können, wozu auch eine Vorhersage des zu erwartenden Reinigungspotentials notwendig ist.
Wie genau können Modelle und Simulationen die Realität zurzeit ab- bzw. nachbilden?
Generell haben wir in den letzten Jahrzehnten insofern enorme Fortschritte erreicht, als sowohl die Rechenleistung enorm gestiegen ist, als auch die Effizienz numerischer Verfahren zur näherungsweisen Lösung von mathematischen Modellen. Was als großes Problem bleibt, ist Modelle und experimentelle Daten enger zusammen zu bringen, damit sie nicht zwei verschiedene Welten nebeneinander darstellen, die erst am Schluss einigermaßen zusammenpassen sollen.
Daten müssen vielmehr in die Modellformulierung eingehen und modellgestützte Überlegungen auf die Datennahme Einfluss nehmen: Wo, wann und wie messe ich? Generell geht es jedoch nicht nur um die Prognose. In der technischen Forschung wird mathematische Modellbildung und Simulation eher im Sinne eines virtuellen Experimentierstandes eingesetzt, in dem verschiedene Konfigurationen viel schneller und kostengünstiger als im realen Experiment auf ihre Tauglichkeit geprüft werden.
Bei geowissenschaftlichen Fragestellungen kommt hinzu, dass manche realen Überprüfungsexperimente gar nicht machbar sind. Es ist unmöglich, einfach mal ein Probeendlager zu bauen und in 10.000 Jahren nachzuschauen, ob es funktioniert hat. Modellgestützte Simulation dient also auch der Beantwortung der Frage „Was wäre, wenn?“.
Woraus bestehen die aktuellen mathematischen Herausforderungen, um noch genauere Simulationen laufen zu lassen?
In der Untergrundmodellierung, die unser Fachgebiet ist, gibt es für Prozesse in homogenen Materialien wie Wasser schon lange eine klare mathematische Basis zu ihrer Beschreibung in Form von partiellen Differentialgleichungen. Diese Entwicklung wird und muss weiter gehen. Die Problematik ist, dass ein natürlich gewachsener Boden alles andere als ein homogenes Material ist. Er besteht aus Gas, Wasser und Feststoffanteilen, und die wiederum aus organischem, anorganischem und auch biotischem Material, was bis vor kurzem gar nicht zerstörungsfrei auf dieser Ebene gemessen werden konnte.
Heute können wir im Prinzip die Prozesse auf dieser mikroskopischen Skala beschreiben und auch simulieren. Wir wollen aber ein ganzes Wassereinzugsgebiet beschreiben können. Dort stoßen wir auf die Problematik verschiedener räumlicher Skalen, wobei nicht klar ist, wie auf den größeren Skalen im Zentimeter-, Meter- und Kilometerbereich die Prozesse angemessen zu beschreiben sind. Bei diesem Problem des Skalenwechsels kann aktuelle Mathematik erhebliche Beiträge liefern, was zu neuen und eventuell auch komplexeren Modellen führt. Hinzu kommt die Heterogenität, das heißt ein natürliches Material sieht ein paar Zentimeter weiter völlig anders aus. Hier müssen stochastische Methoden in die Simulationsmethoden integriert werden.
Woran wird an der FAU zurzeit geforscht?
Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit reaktivem Transport in porösen Medien. Nicht nur Boden ist ein poröses Medium, sondern auch Haut, oder Pflanzenzellen können so aufgefasst werden, letztlich jedes natürlich oder technisch hergestellte granulare Material. Wir beschäftigen uns mit der Herleitung effektiver Modelle für eine Makroskala aus einer rigorosen mikroskopischen Modellierung, speziell für reaktive Prozesse mit vielen Reaktionskomponenten und auch solchen, die das poröse Medium selbst verändern. Ein klassischer Gegenstand der Geowissenschaften in dieser Hinsicht ist etwa die Karstbildung, bei der durch die Untergrundströmung das Material aufgelöst wird, die Strömung dadurch stärker wird, mehr Material auflöst, etc.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Peter Knabner
knabner@math.fau.de