Gute oder schlechte Orte? – Urbane Utopien und japanische Science Fiction
Utopien sind seit über 2000 Jahren Teil europäischer Geistesgeschichte. Erzählungen, die von zukünftigen besseren Welten, besseren Staaten, besseren Gesellschaften künden. Heutzutage sind sie häufig aber auch düstere Zukunftsvisionen, sogenannte Dystopien. Beide Formen sind wichtige Erzählweisen der Science Fiction. Insbesondere in Japan ist die Science Fiction Teil der modernen Populärkultur. Doch was macht die japanische Science Fiction aus, welche Rolle spielen Städte darin und welche technologischen, historischen und sozialen Entwicklungen werden dort rezipiert? Wir haben bei Prof. Dr. Fabian Schäfer, Inhaber des Lehrstuhls für Japanologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) nachgefragt.
Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Science Fiction in Japan. Welche Bedeutung genießt dieses Genre in Japan generell?
Ich meiner Forschung beschäftige ich mich hauptsächlich mit der modernen Ideen- und Mediengeschichte Japans. Science Fiction (SF) vereint im Grunde beide Forschungsfelder, weil in anspruchsvollen SF-Werken fast immer auch philosophische Aspekte verhandelt werden. Die Zukunft ist in japanischer SF sehr häufig dystopisch. Überspitzt gesagt wird in den meisten Geschichten die Metropole Tokyo fast immer in Schutt und Asche gelegt, entweder weil ihre vollständige Zerstörung in der Geschichte kurz bevorsteht, oder weil sie von Anfang an in einem post-apokalyptischen Setting spielt. Das hat natürlich klimatisch-geographische, kulturgeschichtliche und historische Gründe. Zum einen wird die japanische Inselkette schon immer von einer ganzen Reihe von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Taifunen und Tsunamis heimgesucht, zum anderen spielt natürlich der Abwurf der beiden Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima im kollektiven Gedächtnis auch heute noch eine große Rolle. Viele Werke befassen sich aber auch mit anderen ethisch-philosophischen Aspekten, z.B. den gesellschaftlichen Folgen von Robotik, Künstlicher Intelligenz oder digitaler Vernetzung.
Demnächst findet eine Tagung statt, die Sie – mitveranstalten, und die sich mit urbanen Utopien beschäftigt. Was sind urbane Utopien und welche Rolle spielen diese insbesondere in Japan?
Urbane Utopien wollen dazu anregen, über radikal andere Formen des urbanen Zusammenlebens nachzudenken. Das heißt, dass man versucht, sich die Zukunft nicht nur als bloße Verlängerung der Gegenwart vorzustellen, sondern als durch den Menschen in einem gewissen Maße auch formbar. Warum müssen Häuser zum Beispiel so gebaut sein, dass sie sich nach ihrer Fertigstellung nur noch schwer verändern lassen? Mit diesem Problem haben sich in den 1960er und -70er Jahren in Japan nicht nur Stadtplaner und Architekten, sondern auch SF-Autoren befasst. Die Antwort war der architektonische Metabolismus, also eine modulare Bauweise, die sich je nach Bevölkerungswachstum recht einfach aus- oder zurückbauen lässt. Oder warum muss ein einzelner Mensch mit seinem Auto, das weitaus mehr Platz als ein Fahrrad oder ein voll besetzter Linienbus einnimmt, in die Innenstadt fahren dürfen? In Japan dachte man in den 1970er Jahren noch, dass man das heute wieder heiß diskutierte Problem des innerstädtischen Verkehrskollapses lösen kann, indem man den öffentlichen Nahverkehr in die Luft verlagert. Damals baute man in den am dichtesten besiedelten japanischen Städten Monorail-Hochbahnen, die auch heute noch futuristisch anmuten. Futuristische Ideen wie diese wurden 1970 auf der EXPO in Osaka vorgestellt, an deren Planung auch SF-Autoren beteiligt waren.
Inwieweit spielen in diesen Utopien fiktive oder reale Technologien eine Rolle?
Japanern wird oft große Technikverliebtheit unterstellt. Zu einem gewissen Maße mag das auch stimmen. Die Berliner Japanologin Cosima Wagner befasst sich in ihrer Forschung mit dieser im Vergleich zu anderen Ländern relativ hohen Technikakzeptanz in Japan und kommt zu dem Schluss, dass beispielsweise für die große Popularität von Robotern auch das relativ positive Bild von menschenähnlichen Maschinen in japanischen SF-Werken verantwortlich ist. Das hat sich in jüngster Zeit ein wenig gewandelt. Einer meiner liebsten SF-Manga-Autoren, Motorō Mase, hat sich in seinem jüngsten Werk Demokratia mit dem brandaktuellen Thema des Einflusses von Algorithmen und Sozialen Medien auf die Politik befasst. In der Geschichte pflanzen zwei Wissenschaftler, weil sie nicht über eine zufriedenstellend funktionierende Künstliche Intelligenz verfügen, einem lebensechten Androiden eine Abstimmungssoftware ein, die es 3.000 ausgewählten Nutzen erlaubt, den Androiden zu steuern. Was von den beiden Wissenschaftlern anfangs als basisdemokratisches Experiment für einen scheinbar sinnvollen Einsatz der „Weisheit von Vielen“ (wisdom of crowds) angedacht ist, entpuppt sich als dystopische Prognose von Online-Phänomenen wie Mobbing und Diffamierung, denen wir heute im Internet alle selbst begegnen. Denn im Laufe der Geschichte entwickelt sich der Android in einen unberechenbaren Diktator, der von einem vernetzten Mob gelenkt wird. Zu erwähnen wäre abschließend vielleicht noch, dass Mase seine Manga-Serie lange vor der Kandidatur des jetzigen amerikanischen Präsidenten abgeschlossen hat.
„Beware, Utopia! Virtual, Actual and Past Visions of Urban Futures“ lautet der Titel des 2. Cultural Typhoon in Europe (CTE). Die internationale Konferenz und Kunstausstellung findet vom 22. September bis 24. September in der Kulturwerkstatt und der Halle 18 auf AEG sowie im Heizhaus auf dem Gelände der ehemaligen Quelle in Nürnberg statt. Auf dem CTE stellen Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten ihre Arbeit vor und treten in einen Dialog. Ziel ist es, neue Blickwinkel einzunehmen und einen Raum zu bieten, um sich jenseits akademischer Grenzen auszutauschen. Der Eintritt ist frei. Es wird um Anmeldung per E-Mail gebeten: cultural.typhoon.europe@gmail.com
Weiter Informationen über den CTE, sowie das Programm finden Sie unter: www.japanologie.phil.fau.de
Informationen:
Prof. Dr. Fabian Schäfer
Tel.: 09131/85-29145
fabian.schaefer@fau.de