Nachgefragt: Migration und Kriminalität
Jedes Jahr veröffentlicht das Bundeskriminalamt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die aktuellen Zahlen für das Jahr 2016 waren Anlass, über einen möglichen Zusammenhang von Migration und Kriminalität, den Hintergründen und Konsequenzen zu diskutieren. Hierzu veranstaltete das Institut für Psychologie im Rahmen des rechtspsychologischen Kolloquiums Anfang Juli 2017 eine Podiumsdiskussion mit Fachleuten aus Wissenschaft, den Gerichten, der Polizei und Strafvollzugsbehörden. Wir haben bei Prof. Dr. Friedrich Lösel, früher Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie I der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Leiter des Institute of Criminology der University of Cambridge sowie der Moderator der Podiumsdiskussion nachgefragt.
Wie haben die Zahlen der PKS sich entwickelt und was hat sich verändert im Vergleich zu 2015?
Die Anzahl der Delikte in der PKS ist von 2015 auf 2016 von 6.330.649 auf 6.372.526 gestiegen (+0,7%). In diesen Zahlen sind aber die ausländerrechtlichen Verstöße (z.B. unerlaubte Einreise) enthalten, die von 402.741 auf 487.711zugenommen haben. Rechnet man diese Daten aus der PKS-Gesamtzahl der Delikte heraus, so ergibt sich ein leichter Rückgang von 5.927.908 auf 5.884.815 (-0,7%). Dies ist also anders, als weite Teile der Bevölkerung vermuten und manche Mediendarstellungen nahelegen. Gleichwohl sind Fragen der inneren Sicherheit dringlich, denn längerfristig war die Kriminalität in der PKS erfreulicherweise rückläufig, was unter anderem durch die Alterung der Gesellschaft bedingt ist. Grundsätzlich sollte man kurzzeitige Veränderungen nicht überinterpretieren. In 2014 gab es z.B. einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 1,3% und in 2015 keine Veränderung gegenüber 2014. Bezogen auf die Bevölkerungszahl sehen die Zahlen ein klein wenig anders aus.
Wie kommt diese Statistik zustande, was fließt da also alles mit ein, und wie muss man als Betrachter da differenzieren?
Die PKS ist kein genaues Abbild der Kriminalität, denn sie bezieht sich nur auf die polizeilich bekanntgewordenen Delikte. Viele Straftaten werden nicht angezeigt, so dass das Dunkelfeld je nach Deliktart wesentlich größer sein kann. Neben echten Veränderungen der Kriminalität spielen z. B. auch das Anzeigeverhalten in der Bevölkerung, die polizeiliche Kontrollintensität oder die Art der statistischen Erfassung eine Rolle. Deshalb haben andere Länder noch regelmäßige Opferbefragungen, die deutlich höhere Deliktraten als in der jeweiligen offiziellen Statistik anzeigen. Auch hier besteht aber längerfristig ein Rückgang der Kriminalität, der vielfältige Ursachen hat. In der Gewaltkommission und in der Zukunftskommission der Bundeskanzlerin habe ich zusammen mit anderen Experten für einen regelmäßigen ‚Opfer-Survey‘ in Deutschland plädiert, um die PKS durch eine andere Methode zu validieren; leider bislang ohne Erfolg. Was die Tatverdächtigen anbelangt, so hängen diese Zahlen in der PKS natürlich von den Aufklärungsraten ab. Diese ist bei Tötungsdelikten hoch (95%), bei Wohnungseinbruchdiebstahl aber niedrig (15%). Im Durchschnitt aller Delikte liegt sie bei etwa 56%.
Wieso scheint der Anteil der Kriminellen unter Migranten gegenüber 2015 höher zu sein?
Bei der Kriminalität von Migranten sollte man nicht nur auf die Jahre 2015-16 schauen. Hier bestehen auch längerfristige Probleme bei jungen Migranten, die schon etliche Jahre in Deutschland sind. An einem erhöhten Kriminalitätsrisiko besteht insgesamt kaum Zweifel. So wurden in 2016 laut PKS 1.406.184 deutsche und 616.230 nichtdeutsche Tatverdächtige ermittelt. Der Anteil der Nichtdeutschen lag somit bei ca. 30%, während der Bevölkerungsanteil etwas über 20% beträgt. Aber man muss differenzieren: Probleme bereiten vor allem junge Männer aus bestimmten Herkunftsländern (z.B. Nordafrika). Leider sind auch viele junge Männer, deren Eltern als sogenannte Gastarbeiter zu uns kamen, nicht so gut integriert, wie das wünschenswert wäre. Ähnliches gilt für manche junge Migranten aus Südosteuropa. Die ätiologisch wichtigen Faktoren sind dabei nicht die Herkunft und die Ethnie, sondern Merkmale, die auch bei Deutschen das Risiko der Straffälligkeit erhöhen: Junge Männer, geringe Bildung, Arbeitslosigkeit, ausgeprägte Männlichkeitseinstellungen, Impulsivität, psychische Probleme, soziale Entwurzelung, ethnisch-religiöse Stereotype, „Herumhängen“ im öffentlichen Raum und Verstärkung durch Gruppenprozesse. Bei den 2015-16 hinzugekommenen Migranten können auch Traumatisierungen und Konflikte in der Massenunterbringung hinzukommen.
Welche Konsequenzen sollten wir als Gesellschaft da ziehen?
Es gibt ein kein einfaches Rezept. Bund, Länder und Gemeinden verfolgen zu Recht vielfältige Ansätze. Dazu gehört zum einen die Investition in Integration und Bildung. Sprachkurse und Informationen zur deutschen Kultur reichen hier nicht aus. Auch bei jungen Migranten der zweiten und dritten Generation muss vermieden werden, dass sie – wie nicht selten – keinen qualifizierten Schulabschluss erreichen. Während manche Migrantengruppen hier sehr erfolgreich sind und keinerlei Problem bereiten, sind andere schwer erreichbar. Die Gesellschaft (verantwortliche Politik) muss natürlich auch konsequenter fragen, wen man in Deutschland integrieren will und kann. Andere Länder haben hier rationale Strategien, während hierzulande Migration vorwiegend über das Asylrecht erfolgt. Da ich einige Jahre Schulungen für das BAMF durchgeführt habe, ist mir das Problem sehr vertraut. Ich frage mich, warum man immer noch dabei bleibt, teilweise chaotische Migrationsbewegungen mehr oder weniger gut zu bewältigen, während in Spanien und anderen südlichen EU-Ländern etwa 40% der jungen Menschen arbeitslos sind und leichter in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren wären.
Weitere Informationen:
Pressestelle der FAU
Tel.: 09131/85-70229
presse@fau.de