Wie Farben in den Köpfen der Menschen entstehen

Prof. Dr. Jan Kremers (Bild: Matthias Vogler)
Prof. Dr. Jan Kremers (Bild: Matthias Vogler)

Kommunikation ist nicht nur Sprache – viele Kommunikationsprozesse laufen beim Menschen auch über Bilder ab. Dabei spielt Farbe eine wichtige Rolle. Und das besonders auch weil Farbe, im Gegensatz zu Helligkeit, absolut und sehr konstant ist und keinen Vergleich benötigt. Sehr häufig sind sich die Menschen einig, welche Farbe ein Objekt hat. „Rot“ ist „Rot“ und zwar nicht nur heute, sondern auch morgen. Die Menschen können sich an Farben gut erinnern. Die Rose, die sie gestern gesehen haben, war rot oder gelb – aber nicht nur das, sie können sich auch noch erinnern, ob die Rose weinrot oder rosarot war. Eine außergewöhnliche Leistung des visuellen Systems und damit des Gehirns. Viel schwieriger ist das hingegen mit der Bestimmung der Helligkeit. Können Menschen vermitteln, wie hell die Sonne scheint, oder ob sie gestern heller war als heute?

Wie kommt es dazu, dass Farbe so konstant wahrgenommen wird  und was passiert bei genetisch bedingten oder krankhaften Veränderungen der Farbwahrnehmung? Wir haben mit Jan Kremers,  Professor für Experimentelle Augenheilkunde am Universitätsklinikum der FAU gesprochen. Seit vielen Jahren fasziniert den Spezialisten für die Physiologie der Netzhaut das Farbensehen des Menschen, die Verarbeitung von Farbe in der Netzhaut und die Wahrnehmung von Farbe.

Obwohl verschiedene Personen sich einig sind über eine Farbe –„Rot“ ist für alle „Rot“ – bleibt die Frage: Sehen sie auch das gleiche „Rot“?

Das ist eigentlich eher eine philosophische Frage. Menschen mit normalem Farbensehen benutzen Nervenstrukturen, die bei allen sehr ähnlich sind. Es ist also relativ gut beschrieben, welche Nervenzellen aktiv sind, wenn wir „rot“, „grün“, „gelb“ oder „blau“ sehen. Die Verknüpfung der Aktivität bestimmter Nervenzellen mit der Benennung einer Farbe, ist aber nicht von Geburt an gegeben. Ein Baby muss diese Verknüpfung von seinen Eltern und seiner Umgebung lernen. Dadurch kann es kulturell bedingte Unterschiede bei der Farbbenennung geben. Aber generell können sogar Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen sehr gut miteinander über Farbe kommunizieren. Die neuronale Grundlage des Farbensehens ist also sehr konstant, sogar bei den verschiedensten Personen. Die naturwissenschaftliche Antwort ist damit erbracht: Bei der Wahrnehmung der Farbe „rot“ sind bestimmte Nervenzellgruppen aktiv. Danach beginnt die philosophische Betrachtung: Gibt es neben der „Materie“ auch einen „Geist“?

Was ist bei Menschen mit einer angeborenen Farbsehstörung anders? Sind Korrekturen machbar und realistisch?

Der Mensch hat eigentlich zwei Farbsysteme: Ein System für die Unterscheidung zwischen „rot“ und „grün“. Das andere ist verantwortlich für die Farben im Blau-Gelb-Bereich. Farbensehen entsteht dadurch, dass die Sehzellen in der Netzhaut, die tagsüber aktiv sind (die Zapfen), für verschiedene Wellenlängen des Lichtes empfindlich sind. Außerdem gibt es Nervenzellen, die die Aktivierung der verschiedenen Zapfen miteinander vergleichen. Wenn Licht mit überproportional mehr kurzen Wellen die Netzhaut trifft, dann werden vor allem Zapfen, die für kurze Wellen empfindlich sind, stärker aktiviert. Die nachgeschalteten Nervenzellen registrieren, dass die kurzwellenempfindlichen Zapfen stärker aktiviert sind und das führt zu einer Wahrnehmung der Farbe „blau“.

Die Gene der Sehpigmente (das sind die Pigmente, die das Licht auffangen, damit eine Sehwahrnehmung entstehen kann) der rot- und grünempfindlichen Zapfen liegen auf dem X-Chromosom. Darum kommen Farbsehstörungen im Rot-Grün-Bereich öfters vor und zwar meistens bei Männern, weil Männer nur ein X-Chromosom haben. Frauen haben zwei X-Chromosome und können den Verlust eines Gens noch ausgleichen. Bei Menschen mit Farbsehstörungen fehlen meistens ein oder mehrere Sehpigmente, oder die Sehpigmente haben veränderte Eigenschaften. Dadurch können die Sehsysteme, die farbempfindlich sind, nicht oder nicht gut funktionieren. Deswegen haben Personen mit angeborenen Farbsehstörungen Schwierigkeiten, Farben voneinander zu unterscheiden, bei denen Menschen mit normalem Farbensehen keine Probleme haben.

Es wird bei Menschen mit Farbsehstörungen versucht, mit Farbfiltern eine bessere Farbunterscheidung zu erreichen. Der Erfolg ist aber nicht belegt. Bei einem anderen Ansatz führt man das Gen für das fehlende Sehpigment gentherapeutisch ein, damit es produziert werden kann. Dieser Ansatz wurde bei farbenblinden Affen ausprobiert und laut Studie hat sich das Farbensehen dieser Tiere tatsächlich verbessert. Aber die Ergebnisse dieser Studie sind zweideutig und eine Verbesserung des Farbensehens ist meiner Meinung nach nicht belegt. Außerdem stellt sich hier die Frage, ob die Risiken (Eingriff in das Genom des Menschen), den Nutzen rechtfertigen. Farbenblindheit ist im medizinischen Sinne keine Erkrankung.

Gibt es auch Erkrankungen, die zu einer Farbsehstörung führen?

Ja. Es gibt Erkrankungen, bei denen die Funktion der Zapfen beeinträchtigt ist. Dadurch verändern sich auch die Aktivitäten in den farbempfindlichen Nervenbahnen. Im Gegensatz zu den angeborenen Farbsehstörungen sind krankheitsbedingte Farbsehstörungen oft nicht auf das Rot-Grün- oder das Blau-Gelb-Farbensehen beschränkt. Die krankheitsbedingten Farbsehstörungen sind meistens diffuser – betreffen also alle Farben. Weil weniger Zapfen, die für kurzen Wellen empfindlich und für die Farbempfindung von „blau“ wichtig sind, in der Netzhaut vorkommen, ist das Blau-Gelb-Farbsystem aber oft überproportional betroffen, da der Verlust von wenigen „blauempfindlichen“ Zapfen schon eine Auswirkung haben kann, während der Verlust von „grün-„ und „rotempfindlichen“ Zapfen anfangs noch aufgefangen werden kann.

Welche Anwendungsgebiete gibt es für Ihre Forschung?

Für die Lebensbedingungen der Menschen ist die Studie über Farbe sehr wichtig, weil Farbe oft für die Vermittlung von Information, zum Beispiel in der Flugsicherheit, aber auch im täglichen Leben benutzt wird: Eine rote Ampel heißt „warten“; grün heißt „weiter fahren oder gehen“. Außerdem spielt Licht und dessen Farbe eine Rolle bei unbewussten Prozessen wie zum Beispiel Pupillenreflexen, Jetlag und allgemeinem Wohlbefinden – Stichwort Lichttherapie.

Und hier noch ein interessanter Aspekt aus der Evolutionsforschung. Eine Frage ist zum Beispiel, warum wir so empfindlich sind für Farbveränderungen im Rot-Grün-Bereich. Die meisten anderen Säugetiere sind das nicht. Da müssen wir nach unseren Vorfahren, den Affen, schauen. Affen leben oft von Obst. Aber Obst muss reif sein, um schmackhaft und nahrhaft zu sein. Bäume „inserieren“ das Reifwerden ihrer Früchte, indem sie ihre Farbe ändern, oft von grün – „unreif“ zu rot -„reif“. Der ökologische Vorteil der roten Früchte für die Bäume ist, dass ihre Samen verteilt werden…. und sie auch noch guten Dünger dazu bekommen.

Diese Veränderung wird von Affen mit normalem Farbensehen sehr gut registriert. Bitten Sie eine farbenblinde Person, von weitem reife Kirschen in einem Baum zu finden. Er – die Person ist, wie gesagt, meistens männlich – wird Schwierigkeiten haben.

Jan Kremers ist Organisator und wissenschaftlicher Leiter des 24. Symposiums „Farbforschung von Klinisch bis Technisch angewandt“ der International Colour Vision Society (ICVS), das vom 18. bis zum 22. August 2017 in Erlangen ausgetragen wird. Die alle zwei Jahre stattfindende Tagung ist mit den rund 130 beteiligten führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet des Farbensehens „der“ Anlaufpunkt und die wichtige Austauschplattform für diesen Themenbereich. Mit dem breiten Spektrum, das von klinischen bis hin zu technischen Fragestellungen für die Produktentwicklung und -verbesserung reicht, wird die Tagung von Grundlagenwissenschaftlern und klinisch orientierten Forschern, Technikern und Ingenieuren besucht.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Jan Kremers
0931 8544595
jan.kremers@uk-erlangen.de

Buchtipp zum Thema: Kremers, J. et al (Hg.): Human Color Vision, Springer Berlin und Heidelberg 2017, ISBN 978-3-319-44976-0