Wie und warum gehen Dinge eigentlich kaputt?
FAU-Materialforscher erhält ERC Consolidator Grant in Höhe von 2 Millionen Euro
Andere Jungs haben etwas zusammengeschraubt – er interessierte sich schon als Kind eher für das Gegenteil: Wie und warum gehen Dinge eigentlich kaputt? Dieses Interesse hat Prof. Dr. Erik Bitzek konsequent verfolgt: Er entwickelte eine Leidenschaft für Materialien, für ihre Strukturen – und für die Stellen, an denen sie brechen. Ob er die Steine aus seiner Mineraliensammlung, seine Lieblingsschokolade oder Stahl für seine Beobachtungen heranzog, war dem gebürtigen Ludwigsburger dabei zunächst herzlich egal. Bis er nach seinem Physikstudium in Stuttgart am Max-Planck-Institut für Metallforschung seine Promotion begann und seine Leidenschaft zum Beruf machte. Nun hat Bitzek vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen der begehrten ERC Consolidator Grants in Höhe von zwei Millionen Euro erhalten – um noch intensiver zu erforschen, warum Dinge kaputtgehen. Ziel seines neuesten Forschungsprojekts „microKIc – Microscopic Origins of Fracture Toughness“ an der FAU ist es, die Wechselwirkungen zwischen Rissen und Materialdefekten aufzuklären und die Einflussfaktoren welche zu einer hohen Bruchfestigkeit führen zu untersuchen.
„Wir wissen bislang nicht genug über Bruchprozesse in Metallen, intermetallischen Verbindungen und Halbleitern, um theoretische Vorhersagen über die Bruchfestigkeit solcher Materialien machen zu können“, erklärt Bitzek. Dabei ist genau dieses Verständnis so wichtig: Der Widerstand gegenüber der Ausbreitung von Rissen ist eine der essenziellen Eigenschaften von Strukturmaterialien wie Stählen, die zum Beispiel im Bau- und Transportwesen, für die Konstruktion von Bauteilen und Maschinen bis hin zu Reaktordruckbehältern verwendet werden. Eine Eigenschaft, die an vielen Stellen auch über die Sicherheit von Menschen entscheidet.
Wie hängen Bruchprozesse – die längst bevor wir einen Riss mit dem Auge wahrnehmen können, auf kleinster Skala im atomaren Bereich beginnen – von der Mikrostruktur, Temperatur oder der Belastungsgeschwindigkeit ab? Das sind Fragen, denen der FAU-Wissenschaftler in seinem Projekt auf den Grund gehen will. Ausgehend von Simulationen mit mehreren Millionen von Atomen entwickelt er hierzu mikromechanische Modelle für die Bruchfestigkeit und vergleicht diese mit Bruchversuchen, die direkt im Rasterelektronenmikroskop durchgeführt werden.
Wenn Materialien einer Belastung ausgesetzt sind, sind Risse die üblichen Begleiterscheinungen. Und: Sie breiten sich nicht zweidimensional, sondern immer dreidimensional aus. Frühe Stadien der Rissbildung daher in 3-D-Modellen und mit unterschiedlichen Simulationsmethoden für die einzelnen Längenskalen zu untersuchen, verspricht daher besonders realitätsnahe Ergebnisse. Die sollen der Forschung zu einem umfassenden Verständnis für die mikroskopischen Prozesse an der Rissspitze verhelfen. Auf ihrer Basis können Materialwissenschaftler dann neuartige, ausfallsichere Materialien entwickeln und die Konstruktionsrichtlinien für sicherheitsrelevante Strukturen und Komponenten weiter verbessern.
Dass Erik Bitzek in diesem Forschungsfeld herausragende Arbeit leistet, zeigt schon ein Blick auf seine bisherige Laufbahn. Bevor er 2009 die Juniorprofessur für Werkstoffwissenschaften (Simulation und Werkstoffeigenschaften) am Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften I (Allgemeine Werkstoffeigenschaften) in Erlangen übernahm, war er an der Technischen Universität Karlsruhe – heute Karlsruhe Institute of Technology (KIT) – maßgeblich am Aufbau des neuen Instituts für Zuverlässigkeit von Bauteilen und Systemen beteiligt. Nach Abschluss seiner Promotion im Fachbereich Maschinenbau am KIT forschte er am Paul Scherrer Institut in der Schweiz, an der Ohio State University in Columbus, Ohio, und an der University of Pennsylvania in Philadelphia, Pennsylvania.
An der FAU ist er seit 2013 für den Elitemasterstudiengang Advanced Materials and Processes (MAP) verantwortlich und ist Mitglied im Vorstand des Graduiertenkollegs 1896 – In situ Mikroskopie mit Elektronen, Röntgenstrahlen und Rastersonden. Außerdem erhielt er im Jahr 2013 mit dem EAM Starting Grant eine wissenschaftliche Anschubfinanzierung innerhalb des Exzellenzclusters Engineering of Advanced Materials (EAM) der FAU, um individuelle Projekte auf den Weg zu bringen und so seine Chancen für die Akquise von Fördergeldern im nationalen und internationalen Rahmen zu verbessern – eine Investition, die sich jetzt ausgezahlt hat.
Eines freilich wird mit wachsendem Erfolg immer geringer: Eventuelle Ähnlichkeiten zwischen dem Comic-Fan Erik Bitzek und seiner liebsten Comicfigur, Gaston Lagaffe. Anders als beim schrulligen Antihelden aus André Franquins Feder finden Chaos und Zerstörung mittlerweile hauptsächlich in Bitzeks Computer und nicht in seinem direkten Umfeld statt. „Ich finde es aber immer noch total spannend, wenn etwas im realen Leben kaputt geht“, lacht Bitzek.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Erik Bitzek
erik.bitzek@fau.de
Tel.: 09131/85-27507