Nippon connected
Durch die globale Vernetzung sehen viele Japaner die Welt inzwischen ähnlich wie wir
Wir nehmen die japanische Gesellschaft als traditionsbewusst und eher geschlossen wahr. Doch aus welcher Perspektive betrachten die Japaner die Welt?
von Ilona Hörath
Wie zum Beispiel Deutsche das Land der aufgehenden Sonne sehen, ist in jedem Reiseführer gleich auf den ersten Seiten zu lesen: Japan ist das Land von Tradition und Moderne. Falsch sei dies nicht, sagt Professor Fabian Schäfer. Doch: „Durch diese Mischung zeichnen sich die meisten Gesellschaften aus.“
Welchem Weltbild folgt die japanische Gesellschaft denn nun wirklich?
Kurz gesagt: „Japaner sehen die Welt ähnlich wie wir“, erklärt Schäfer. Er leitet einen Lehrstuhl für Japanologie I an der FAU, zu dessen Forschungsschwerpunkten unter anderem die Kritische Medien- und Kulturtheorie in Japan, die Medien- und Populärkulturgeschichte Japans, die politische Öffentlichkeit und digitale Medien gehören. Bis zum vorvergangenen Jahrhundert sei das Land im Fernen Osten vormodern, feudal und geprägt durch traditionelle religiöse Vorstellungen gewesen, erläutert er. „Die rasche Modernisierung im 19. Jahrhundert jedoch, die Aufklärung und Rationalisierung von Gesellschaften bedeutet, entzauberte die japanische Gesellschaft, was sich in der Abwendung von Formen des Aberglaubens, Volksglaubens und vom Glauben an Mythisches und Mystisches zeigt.“
Japaner zwitschern viel
Ein Grund für den Wandel des japanischen Weltbilds in jüngster Zeit liegt in der zunehmenden globalen Vernetzung: „Ihr Weltbild wird nicht mehr nur durch die eigene Kultur geprägt“, sagt Schäfer. „Inzwischen gibt es keine von der Weltöffentlichkeit abgekoppelten nationalen Öffentlichkeiten mehr, sondern viel stärker transnational geprägte.“ Anders gesagt: Im Vergleich zur übrigen Weltbevölkerung twittern die wenigen Japaner einfach enorm viel.
Als ein Beispiel für den Einfluss der sozialen Medien auf die japanische Gesellschaft führt der Japanologe die Nuklearkatastrophe von Fukushima im März des Jahres 2011 an. „Noch bis zu sechs Monate danach vertraten viele japanische Tageszeitungen den Pro-Atom-Kurs der Regierung, während sich in den sozialen Medien Verknüpfungen mit der europäischen Anti-AKW-Bewegung intensivierten.“ Konkret: Japanischen Facebookern und Twitterern gelang es, sich intensiv zu vernetzen und eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. „Dadurch konnten sie berechtigten Anliegen Gehör verschaffen.“
Die Nutzer der sozialen Medien begannen, sich an der früheren Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland zu orientieren. Zum Beispiel übernahmen die Japaner die Atomsonne, ein Markenzeichen der europäischen Kernkraftgegner und übersetzten auch den Slogan „Atomkraft? Nein danke“ ins Japanische.
Die deutsche Berichterstattung hat großen Einfluss.
Außerdem wurde auch die kritische deutsche Berichterstattung über Fukushima ins Japanische übersetzt und über die sozialen Medien verbreitet. Fabian Schäfer betont: „Diese Berichterstattung hat unter besorgten Bürgern viel Einfluss jenseits der Berichterstattung in den japanischen Massenmedien. Man kann hier vielleicht von einem Bumerang-Effekt sprechen.“
Dank der weltweiten Vernetzung „kann es heute viel schneller passieren, dass ein ökologisches Weltbild sich gewissermaßen auf Reisen begibt und nationale Politik beeinflusst“, fasst Schäfer zusammen.
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Dieser Text erschien in unserem Forschungsmagazin friedrich mit dem Titel „Weltbilder“. Lesen Sie im friedrich Nr. 116, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber auch Fremde Welten, Weltpolitik, die Welt von morgen und die Nachwelt sind neben den Weltbildern der Wissenschaft Thema im aktuellen friedrich.
Weitere Beiträge aus dem Magazin finden Sie unter dem Stichwort „friedrich“.