Die Akte Rosenburg
Strafrechtler der FAU erstellt Studie zur NS-Vergangenheit im Justizministerium
Ein wohlwollender Nachruf des Auswärtigen Amtes auf Franz Nüßlein brachte den Stein ins Rollen. Nüßlein war bis zu seiner Pensionierung Diplomat in Diensten der Bundesrepublik und Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse – mit einer finsteren NS-Vergangenheit: Als Generalstaatsanwalt in Prag soll er bis 1945 an über 900 Todesurteilen beteiligt gewesen sein. Nach heftigen Protesten änderte das Auswärtige Amt unter Minister Fischer zunächst seine Nachrufpraxis und begann 2005 damit, die eigene NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Andere Ministerien und Bundesämter zogen nach, 2012 auch das Bundesjustizministerium.
Einer der beiden Experten, die von der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in die wissenschaftliche Kommission berufen wurden, ist Prof. Dr. Christoph Safferling, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der FAU. Safferling war 2012 Strafrechtsprofessor an der Philipps-Universität Marburg und Projektleiter am dortigen Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse. „Gemeinsam mit Prof. Dr. Manfred Görtemaker, einem renommierten Zeithistoriker an der Universität Potsdam, erhielt ich den Auftrag, personelle und fachliche Kontinuitäten aus der Zeit des Nationalsozialismus bis hinein in die politischen Strukturen des Bundesjustizministeriums zu untersuchen“, sagt Safferling.
Das Rosenburg-Projekt war geboren, benannt nach dem früheren Sitz des Justizministeriums bei Bonn.
Personalakten durchleuchtet
Die mit Abstand umfangreichste Arbeit der Forscher war die Durchforstung von Personalakten. Dabei wurden nur Mitarbeiter unter die Lupe genommen, die vor 1925 geboren worden waren und somit eine Rolle in der NS-Diktatur hätten spielen können. „Glücklicherweise sind die Dokumente beim Umzug von Bonn nach Berlin nicht verloren gegangen – wir haben sie im Keller des Ministeriums in Kartons gefunden“, erzählt Safferling. 155 Personalakten der Jahre 1949 bis 1969 haben die Forscher ausgewertet – manche bis zu einem Meter dick. Der erschreckende Befund: Im Justizministerium der Nachkriegszeit haben Juristen gearbeitet, die bereits wichtige Positionen im Nationalsozialismus innehatten.
Ein prominentes Beispiel ist Franz Maßfeller, der vor 1945 im Reichsjustizministerium für Familien- und Rasserecht zuständig war und an den Folgebesprechungen zur Wannsee-Konferenz teilgenommen hatte. Nach dem Krieg war Maßfeller Ministerialrat im Bundesjustizministerium und Leiter des Referats Familienrecht. Andere Mitarbeiter hatten vor 1945 als Richter und Staatsanwälte gearbeitet und waren an der Vorbereitung und Vollstreckung von Todesurteilen beteiligt. „Ein Fall hat uns sogar nach Innsbruck geführt“, sagt Christoph Safferling. „Es ging um Eduard Dreher, der von 1951 bis 1969 im Bundesministerium der Justiz – zuletzt als Ministerialdirigent – beschäftigt war. Die Akten im Tiroler Landesarchiv belegen ganz klar, dass Dreher vor 1945 als Erster Staatsanwalt am Innsbrucker Sondergericht an zahlreichen Todesurteilen mitgewirkt hatte.“
Das wirklich Fatale an diesen personellen Verstrickungen mit der Nazidiktatur aber waren die fachlichen und politischen Konsequenzen. Safferling und Görtemaker haben nachgewiesen, dass nationalsozialistische Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Nachkriegszeit fortwirken konnte – sei es bei der Verfolgung von NS-Tätern, bei der Entschädigung von Opfern des NS-Unrechts oder bei der Bestrafung Homosexueller. 1969 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Mittäterschaft am Massenmord des Naziregimes verjährt ist – eine Amnestie für KZ-Aufseher, Deportationshelfer, Gestapo-Schergen und Blutrichter.
Das Brisante daran: Vier der fünf Richter des BGH waren vor 1945 an NS-Gerichten beschäftigt. Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1956 zur Entschädigung der von den Nazis verfolgten Sinti und Roma: Die Richter lehnten einen Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, das Leid der „Zigeuner“ sei durch „Asozialität, Kriminalität und Wandertrieb“ selbst veranlasst gewesen. 2015 entschuldigte sich die Präsidentin des BGH, Bettina Limperg, bei den Sinti und Roma öffentlich für die frühere Rechtsprechung.
Aus Fehlern lernen
Vier Jahre lang haben die beiden Juristen im Archiv des Justizministeriums, im Bundesarchiv und in verschiedenen Landesarchiven geforscht und hatten dabei auch Zugang zu hochbrisanten Verschlusssachen. Die Ergebnisse ihrer akribischen Arbeit haben sie nun in dem Buch „Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“ veröffentlicht. „Uns ist wichtig, dass das Projekt nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm bleibt, sondern eine breite Öffentlichkeit findet“, erklärt Safferling.
In den vergangenen Jahren hat die Kommission bereits mehrere Symposien veranstaltet, auf denen Zwischenergebnisse des Projektes präsentiert wurden, außerdem gab es Gespräche mit juristischen Berufsverbänden und verschiedenen Interessengruppen, etwa dem Internationalen Auschwitz-Komitee und dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Solche Veranstaltungen soll es auch künftig geben, zudem planen die Forscher eine Wanderausstellung, in der ab Sommer 2017 die Ergebnisse des Rosenburg-Projektes anschaulich präsentiert werden. „Die Erkenntnisse unserer Recherche sollen auch in die Ausbildung der Juristen einfließen“, sagt Safferling. „Denn die Rosenburg-Akte zeigt, wie leicht sich die Rechtsprechung für politische Ziele instrumentalisieren lässt. Für diese Gefahr möchten wir alle angehenden Juristen sensibilisieren.
Das FAU-Magazin alexander
Dieser Beitrag erschien zuerst im alexander – dem Magazin für Aktuelles an der FAU. Weitere Themen der aktuellen Ausgabe: ein Plädoyer für Qualitätsmedien, ein Artikel über einen Besuch in einem besonderen Informatikseminar sowie ein Besuch in der Mechanik- und Elektronikwerkstatt der FAU.