FAU-Forscher entdecken Wirkstoff gegen starke Schmerzen
Wer schon einmal Chilis geschnitten hat und danach mit den Fingern an die Augen gekommen ist, weiß: Es brennt höllisch. Die Substanz, die dafür verantwortlich ist, Capsaicin, kann aber auch helfen, zum Beispiel bei Post-Zoster-Neuralgie nach einer Gürtelrose. Häufig kommt es jedoch zu Nebenwirkungen wie starkem Brennen. Forscher der FAU haben nun eine Substanz ausfindig gemacht, die sich ebenso eignen könnte, um starke Schmerzen zu bekämpfen – jedoch weitaus verträglicher ist. Die Ergebnisse sind jetzt in Scientific Reports veröffentlicht worden.*
Die Nervenfasern, die im Körper Schmerz vermitteln, heißen Nozizeptoren. Werden sie aktiviert, setzen sie unter anderem entzündungsfördernde Neuropeptide frei. Um schädliche Einflüsse zu erkennen, sind die Nozizeptoren mit einer Vielzahl von Rezeptoren ausgestattet. Der Capsaicin-Rezeptorkanal zum Beispiel reagiert heftig auf den scharfen Inhaltsstoff von Chilischoten. Einen anderen könnte man den „Senföl-Rezeptor“ nennen, da er durch einen Stoff im Senf, in Meerrettich und in Zwiebeln aktiviert wird. Der Rezeptor, wissenschaftlich TRPA1, spielt eine tragende Rolle bei schmerzhaften Entzündungen des Dickdarms und der Bauchspeicheldrüse sowie bei Asthma.
Ein Team um Dr. Matthias Engel, Lehrstuhl für Innere Medizin I, und Prof. Dr. Peter Reeh, Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU, haben die Substanz Capsazepin, das den „Chili-Rezeptor“ teilweise blockiert, genauer untersucht. Der Stoff hatte in Studien anderer Wissenschaftler die chronische Dickdarmentzündung Colitis ulcerosa bei Mäusen verhindert. Jedoch musste dafür eine unbekannte Nebenwirkung von Capsazepin verantwortlich sein, denn aus eigenen Untersuchungen wusste Dr. Engel, dass der Capsaicin-Rezeptor am Krankheitsprozess dieser Entzündung gar nicht beteiligt ist. Ebenfalls in früheren Arbeiten verhinderte ein synthetischer Hemmstoff des Senföl-Rezeptors die Dickdarmerkrankung nicht nur, sondern heilte sie sogar. Daher vermuteten die Erlanger Forscher, dass Capsazepin eine solche hemmende Nebenwirkung auf den Senföl-Rezeptor haben könnte – und erlebten eine Überraschung: Der Wirkstoff hemmte den Rezeptor nicht, sondern aktivierte ihn höchst effektiv. Dies führt – wie bei vielen anderen Rezeptoren auch – dazu, dass er gegen den Reizstoff unempfindlich wird. Die schützende Wirkung von Capsazepin bestand also darin, dass die Nozizeptoren auf entsprechende Reize weniger reagierten und keine Neuropeptide mehr freisetzten.
Doch die Wissenschaftler fanden noch mehr heraus: Obwohl Capsazepin lokal im Darm verabreicht wurde, wurden auch in der Haut kaum noch Neuropeptide ausgeschüttet. Sie folgerten daraus, dass Capsazepin auf dem Blutweg alle Nozizeptoren im Körper wirksam erreichen und vielleicht desensibilisieren kann. Der Weg also zu einem neuen Mittel gegen starke Schmerzen? Dass sich grundsätzlich Nozizeptoren im ganzen Körper desensibilisieren lassen, ist schon lange bekannt und zwar mithilfe großer Dosen Capsaicin. Das Problem dabei: Der Körper kann die Temperatur nicht mehr gut regeln, das Empfinden für schmerzhafte Hitze geht verloren, die Durchblutung mancher Organe wird schlechter – alles dauerhaft und unumkehrbar. Daher wird Capsaicin beim Menschen nur lokal begrenzt mit Pflastern und in niedriger Dosis in Cremes eingesetzt.
Und tatsächlich – bei mehrtägiger Gabe von Capsazepin in hoher, aber gut verträglicher Dosis ging die Empfindlichkeit für schmerzhafte chemische und Hitzereize nach und nach im ganzen Körper deutlich zurück, und gleichzeitig wurde die Dickdarmentzündung verhindert. Ein vielversprechendes Ergebnis, das langfristig helfen könnte, hochwirksame Schmerzmittel zu entwickeln, für Krankheiten, bei denen der Senföl-Rezeptor eine wichtige Rolle spielt. Neben der chronischen Dickdarmentzündung sind dies beispielsweise Gelenkarthrose, chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung, Morbus Crohn oder chronisches Asthma.
* doi 10.1038/srep28621
Weitere Informationen:
Dr. Matthias Engel
Tel.: 09131/85-35000
matthias.engel@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Peter Reeh
Tel.: 09131/85-22228
peter.reeh@fau.de