Der digitale Büchertempel
Bibliotheksdirektorin Konstanze Söllner über gedruckte Inhalte, neue Lernkulturen und Urlaubsluxus
Unaufhaltsam revolutioniert das Internet die Informationswelt. Wir haben mit Konstanze Söllner, Direktorin der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg (UB), darüber gesprochen, welche Folgen das für ihre Einrichtung hat.
Frau Söllner, die Aufgabe einer Universitätsbibliothek besteht grundsätzlich darin, dass sich Studierende, Forscher und interessierte Bürger über wissenschaftliche Themen informieren können. Das wird ja in Zeiten des Internets immer einfacher, oder?
Ja, das ist richtig. Durch das Internet ist es sehr viel einfacher, sich zeit- und ortsunabhängig zu informieren. Es ist ganz egal, wo ich mich aufhalte und zu welcher Uhrzeit ich den Informationsbedarf habe, ich kann sofort auf Informationen zugreifen. Es gibt dabei allerdings ein großes Problem: Die wirklich wissenschaftlichen Inhalte sind in der Regel hinter Paywalls verborgen, also hinter Bezahlschranken. Wenn ich die Bibliothek nutze, dann habe ich den großen Vorteil, dass meine Bibliothek diese Inhalte für mich lizenziert hat und ich sie dort oder zu Hause elektronisch lesen kann.
Wie digital ist die UB?
Wir geben über die Hälfte unseres Etats für elektronische Medien aus, das waren im letzten Jahr 2,8 Millionen Euro, vor allem für elektronische Zeitschriften, die sind besonders teuer, sowie für Datenbanken und E-Books. Da sind wir auch gar keine Ausnahme. Lücken zwischen Print und elektronisch schließen wir durch den Dokumentlieferdienst FAUdok und die von DFG und Freistaat geförderte Retrodigitalisierung.
Werden Sie bald gar keine gedruckten Bücher mehr anschaffen?
Die Entscheidung, in welcher Form etwas gekauft wird, richtet sich bei uns nach den Inhalten. Wenn es einen bestimmten Inhalt, der für die Studierenden oder für die Wissenschaft benötigt wird, nur gedruckt gibt, dann wird er eben gedruckt beschafft.
Aber was es elektronisch gibt, kaufen wir möglichst elektronisch. Das spielt für unsere mobilen Bibliotheksnutzer schon eine große Rolle.
Elektronische Medien bieten natürlich aufgrund der besonderen Lage der Universität mit Standorten in zwei Städten Vorteile. Was man darüber hinaus auch nicht vergessen darf: Es gibt ja sehr viel mehr Nutzungsszenarien für elektronische Medien – die einfache Durchsuchbarkeit zum Beispiel oder automatische Textanalysen, die bei gedruckten Medien in der Weise überhaupt nicht möglich sind.
Was sind die wichtigsten Themen, mit denen sich die UB in den nächsten Jahren auseinandersetzen muss?
Die Erweiterung unserer elektronischen Angebote ist auf alle Fälle das allerwichtigste Thema. Wir verändern uns zusammen mit der Wissenschaft, mit der Lehre und mit dem veränderten Studienverhalten, das ist ganz logisch. Wir wollen aber bestimmte Themen ganz neu bedienen. So wollen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Zukunft besser zum Thema Forschungsdatenmanagement beraten. Nicht sämtliche Daten, die im Forschungsprozess anfallen, werden publiziert. Die veröffentlichten Daten müssen strukturiert und erschlossen werden, damit sie für andere auffindbar sind. Wir wollen Hilfestellung geben bei der Frage, wie kann ich das am besten tun.
Welche wichtigen Themen gibt es noch?
Ein großes Thema ist für uns auch die Sicherung des störungsfreien Zugriffs für elektronische Medien. Wenn wir dem elektronischen Medium den Vorzug geben, dann haben wir kein Printarchiv mehr, auf das wir im Zweifel zurückgreifen könnten. Die Bibliotheken verlassen sich da gegenseitig ein bisschen aufeinander und denken, es wird schon nicht gleich alle treffen.
Aber wenn ein Anbieter einer Datenbank eine Störung hat, dann trifft es eben alle. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, dass der Zugriff störungsfrei funktioniert. Wir sind an einem DFG-Projekt beteiligt, in dem untersucht wird, wie eine normale Universitätsbibliothek mit diesem Problem umgehen kann.
Welche Hindernisse gibt es bei all diesen Themen?
Kosten sind ein ganz wichtiges Thema. Wir hatten im letzten Jahr die Situation, dass die Kosten enorm gestiegen sind.
Warum?
Genaugenommen gibt es dafür zwei Gründe: Das Wachstum unserer Universität und die besondere Preisstruktur für elektronische Medien. Die Kosten von elektronischen Medien sind nicht wie bei gedruckten Medien immer gleich. Ein gedrucktes Heft einer Zeitschrift hat stets gleich viel gekostet, egal wie viele Menschen hineingeschaut haben. Aber bei elektronischen Medien ist es so, dass die einzelnen Zeitschriften gar keinen festen Preis mehr haben, sondern sich die Kosten nach der Anzahl der potenziellen Nutzer richten. Und da spielen wir preislich gesehen in einer Liga mit Einrichtungen wie dem KIT, der TU Dresden oder der LMU, gerade in Fächern, in denen die Universität stark aufgestellt ist.
Wir sind im letzten Jahr auf die Naturwissenschaftliche und die Technische Fakultät zugegangen, um die verstreuten Literaturetats der Lehrstühle zu bündeln. In der digitalen Welt können Sie mit einem solchen Literaturetat in der Regel keine einzige elektronische Zeitschrift lizenzieren. Die Mittel werden jetzt zentral von uns verwaltet, bei der Auswahl der Inhalte entscheiden die Fächer. Wir wollen nicht wie letztes Jahr noch einmal in die Situation kommen, dass wir umfangreich abbestellen müssen.
Gibt es Aufgaben, die in Zukunft einfacher werden oder sogar ganz wegfallen könnten? So übernimmt Google Books die Digitalisierung von urheberrechtsfreien Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek.
Das ist ein großer Vorteil für uns, weil das ein großes Mengenproblem löst, nicht nur der Bayerischen Staatsbibliothek, sondern eben vieler Bibliotheken, die ähnliche historische Bestände haben.
Es gibt aber auch Teile unseres Bestandes, die sind unikal, das heißt, sie existieren nur in einem einzigen Exemplar, sowohl bei den gedruckten Büchern, aber vor allen Dingen bei Handschriften und historischen Zeichnungen. Auch wenn wir schon einiges gescannt haben, stehen wir immer noch ziemlich am Anfang.
Was erwarten die Nutzer von einer modernen Universitätsbibliothek?
Sicherlich gibt es fachkulturelle Unterschiede. Aber vor allem dürften es großzügige Öffnungszeiten, vielfältige Arbeitsplätze und ein umfassendes Medienangebot sein. Gerade die unterschiedlichen Qualitäten von lernunterstützenden Arbeitsplätzen sind ein Thema, das wir gezielt verfolgen. Das ist letztlich nur an großen Standorten möglich, und deshalb bin ich sehr froh, dass sich mit der Nutzung des Himbeerpalasts auch für die Geisteswissenschaften neue Möglichkeiten auftun.
Jahr für Jahr kommen mehr Nutzer in die Universitätsbibliothek. Wie passt das zur Digitalisierung?
Die zunehmende Nutzung unserer Räume scheint eigentlich in einem Widerspruch zu stehen zur Digitalisierung. Es sind jährlich zehn Prozent Nutzerinnen und Nutzer mehr, im letzten Jahr allein in der Hauptbibliothek genau 765.903, das heißt über 2000 täglich. Ich habe den Eindruck, dass die Nachfrage nach Lernräumen in der Bibliothek durchaus in demselben Maß steigt wie auch der Grad der Digitalisierung.
Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, es hat etwas mit veränderten Lernkulturen der Studierenden zu tun. Ebenso wie sie Informationen nach Bedarf im Internet finden, möchten sie sofort allein oder in der Gruppe lernen. Und dafür sind Räume der UB gut geeignet. Dort finde ich die volle Infrastruktur, ich habe Beratung, ich habe die Internetangebote, die gedruckten Angebote und meine Kommilitonen sind dort.
Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?
Wir versuchen differenzierte Lernplatzangebote in der Bibliothek zu schaffen. Es gibt laute Lernräume, es gibt leise Lernräume, es gibt ein Eltern-Kind-Zimmer. Wir haben Foyerflächen freigegeben fürs Lernen und wir experimentieren im Moment mit einer sogenannten Workbay, die einerseits offen und andererseits einigermaßen schallgeschützt ist. Wir merken einfach, die Anforderungen ändern sich laufend und die Studierenden sind ja nicht zehn Jahre an der Universität, sie brauchen jetzt eine Lösung.
Nehmen Sie in den Urlaub einen E-Book-Reader oder Taschenbücher mit?
Da ich im Beruf fast überhaupt keine gedruckten Bücher mehr in der Hand habe, erlaube ich mir im Urlaub den Luxus, gedruckte Bücher zu lesen.
Neugierig auf mehr?
Dieser Text erschien auch in unserem Magazin alexander, das Sie hier als PDF herunterladen können.
Weitere Themen der Ausgabe Nr. 101: ein Interview mit Medienexperte Dr. Sven Grampp, der erklärt, wann eine Serie eine gute Serie ist sowie ein Artikel darüber, wie Zahnmedizin-Studierende an der FAU lernen, mit Notfällen in der Zahnarztpraxis richtig umzugehen.
Weitere Beiträge aus dem Magazin finden Sie unter dem Stichwort „alexander“.