Dr. Josefina Rodriguez Arribas
FAU-Kolleg „Schicksal, Freiheit und Prognose“
Divinationspraktiken der Juden im Mittelalter
Dr. Josefina Rodríguez Arribas war Mitglied des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ an der FAU (Oktober 2014 – September 2015).
Momentan bereitet Sie zwei Bücher zur Rolle der Astrolabien in der jüdischen Kultur des Mittelalters vor (Texte und Instrumente), die kritische Editionen der hebräischen Abhandlungen und einen Katalog der Astrolabien in hebräischer Schrift enthalten.
Momentan befasst Sie sich am FAU-Kolleg „Schicksal, Freiheit und Prognose“mit Textbelegen und Belegmaterial zu Divinationspraktiken der Juden im Mittelalter.
Sie waren Mitglied des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ (IKGF) der FAU. Könnten Sie uns zunächst bitte mehr über die am IKGF durchgeführte Forschung berichten?
Das IKGF ist ein forschungsorientiertes Zentrum, in dem Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler aus aller Welt für Zeiträume von mehreren Monaten bis zu einem Jahr zusammen kommen, um Fragen der Divination und Prophetie in Ostasien und der westlichen Welt zu untersuchen.
Die Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler kommen dabei aus den verschiedensten Bereichen. Die unterschiedlichen Ansätze und Überschneidungen der Praktiken und Glaubensüberzeugungen in China und im Westen machen den Forschungsaufenthalt für jeden Wissenschaftler zu einer aufregenden, erlebnisreichen Erfahrung. Sich mit der Zukunft und mit Methoden der Zukunftsbestimmung zu befassen ist ein ureigenes menschliches Bedürfnis, das man weltweit in vergangenen und gegenwärtigen Kulturen antrifft.
Einige dieser Praktiken und Theorien sind sehr komplex und auf unterschiedliche Art und Weise faszinierend. Sie verdienen aufgrund ihrer Beständigkeit mehr Beachtung und sollten genauer untersucht werden, um menschliche Kultur im allgemeinen und den Bedeutungs- und Wissensaufbau des Menschen in allen Epochen und Kontexten im Besonderen besser zu verstehen.
Am IKGF gibt es einen festen Stab an Mitarbeitern, die permanent an diesen und anderen Themen arbeiten; eine wechselnde Anzahl verschiedener Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler befasst sich mit bestimmten Aspekten der Prophetie und Divination im Rahmen ihres jeweiligen Fachgebiets (Philologie, Geschichte, Anthropologie, Archäologie, Theologie etc.).
Geomantie zählte zu den beliebtesten Formen der Zukunftsvorhersagung im Mittelalter
Worin genau bestand Ihre Aufgabe innerhalb der Arbeitsgruppe?
Ich brachte mein Hintergrundwissen zu jüdischer Divination und Kosmologie ein (beide Fachgebiete sind eng miteinander verbunden, nicht nur im jüdischen Kontext). Während meines einjährigen Aufenthalts am IKGF beschäftigte ich mich mit hebräischen Quellen zur Geomantie, einem zuvor quasi unerforschten Gebiet.
Die Geomantie, die von Muslimen in die mittelalterliche Kultur eingeführt wurde, zählte zusammen mit der Astrologie zu den beliebtesten und weit verbreitetsten Formen der Zukunftsvorhersagung im Mittelalter. Alles, was man für diese kostengünstige Form der Prognostik brauchte, waren ein Stift und ein Blatt Papier, auf das der Ratgebende die Punkte und entsprechenden Figuren zeichnete, die er zählte und verwarf, bis nur noch ein oder zwei Punkte übrig waren. Um genaue Antworten zu erhalten, musste man die Bedeutung der 16 geomantischen Figuren kennen.
Es standen jedoch mehrere Bücher mit Erläuterungen und praktischen Beispielen zu den häufigsten Anliegen der Menschen im Mittelalter zur Verfügung (Wen soll ich heiraten? Wie viele Kinder werde ich haben? Wie lange werde ich leben? Welchen Beruf soll ich ergreifen? Kann ich guten Gewissens eine Reise antreten oder ein Unternehmen gründen? usw.).
Eines dieser Bücher wurde 1203 von einem Juden in Toledo verfasst. Ich arbeitete an der Übersetzung und einem Kommentar zu diesem außergewöhnlichen literarischen und historischen Werk, das aus insgesamt 16 Manuskripten besteht. Außerdem untersuchte ich die wissenschaftlichen Hintergründe dieser Praktik (mathematische Eigenschaften des geomantischen Charts) und die wissenschaftlichen Interessen der Geomantiker (u.a. Astronomie und Medizin).
Wie würden Sie die Interaktion zwischen den verschiedenen Wissenschaftler/-innen beschreiben?
Im Rahmen meiner bisherigen Forschungstätigkeit war mein Aufenthalt am IKGF einer der erfreulichsten Forschungsaufenthalte (und ich weiß wovon ich spreche, denn ich war bereits in verschiedenen europäischen Ländern, Israel und den USA als Gaswissenschaftlerin tätig).
Alle Gaswissenschaftler kommen aus unterschiedlichen Kulturen und sprechen verschiedene Sprachen. Der Umgang miteinander wird damit von der jeweiligen Kultur und der Persönlichkeit des Einzelnen in gleichem Maße bestimmt. Da wir jedoch alle hier sind, um unsere Arbeit voranzutreiben und sie im Lichte ähnlicher Forschung unserer KollegInnen miteinander zu teilen und zu diskutieren, und da dieser Austausch durch gezielte Aktivitäten erleichtert wird, ist die Interaktion miteinander meist ein Vergnügen und auf jeden Fall immer lehrreich.
Sie haben sich auf die Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters und auf Hebräisch spezialisiert. Wie kamen Sie dazu?
Ich fing zunächst mit einem Philosophie-Studium an, mit der Absicht, einen Bachelor in diesem Bereich zu erwerben. Während meines Studiums begann ich, mich für griechisches Gedankengut allgemein und später für bestimmte Aspekte mittelalterlicher Philosophie zu interessieren. Ich hatte indessen erkannt, wie wichtig Sprachkenntnisse zum genauen Verständnis der Texte sind, die den Großteil der Diskussionen im Studium ausmachten. Daher beschloss ich, mich der Philologie zuzuwenden und studierte klassische Altertumswissenschaften und Hebräisch.
Durch die griechische Kosmologie (die ich nach wie vor faszinierend finde) kam ich zur Wissenschaftsgeschichte. Im Mittelalter wurden historische Quellen erschlossen, diskutiert und mithilfe der von Muslimen und Juden aus dem Kulturkreis des Vorderen Orients mitgebrachten semitischen Texten kommentiert. Meine Interessen verschoben sich also langsam von der Antike hin zum Mittelalter. Dieser Prozess ermöglichte es mir, andere Sprachen (wie Arabisch) und Kulturen kennenzulernen.
Wieso haben Sie sich für die FAU als Gastuniversität für Ihren Forschungsaufenthalt entschieden?
Ich habe mich hauptsächlich aufgrund des IKGFs für die FAU entschieden. Sobald ich von dessen Existenz erfuhr, war mir klar, dass ich ein Teil dieses Projekts sein wollte, das so eng mit meinen eigenen Interessen und meinem Forschungsgebiet verbunden ist.
Als ich in Erlangen ankam und mit der FAU in Kontakt trat, war ich begeistert davon, wie herzlich ich empfangen wurde und wie man sich generell darum bemüht, die Ankunft und Integration der Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler an der Universität so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Bibliothek fand ich ebenfalls fantastisch.
Beschreiben Sie bitte Ihre ersten und späteren Eindrücke der Region Erlangen-Nürnberg.
Ich wusste bereits, dass die FAU eine bedeutende Universität und Erlangen eine Studentenstadt ist. Daher war ich überrascht, wie gemütlich und locker das Leben in Erlangen ist. Ich liebe die historischen Bauten und den Schlossgarten.
Ich fühlte mich hier zu Hause
Können Sie uns ein Erlebnis nennen, an das Sie sich sicher lange erinnern werden?
Seit meiner Doktorarbeit interessiere ich mich für in der Antike und im Mittelalter verwendete Divinationspraktiken und die Bereiche, in denen diese Praktiken angewendet wurden. Dies ist ein kleines aber faszinierendes Forschungsgebiet, das oft unterschätzt und in die Randbereiche der Forschung gedrängt wird.
Divination war jedoch immer und überall ein beständiges Phänomen menschlicher Kulturen und sollte in der Wissenschaft nicht leichtfertig als Aberglaube oder Unwissenheit abgetan, sondern entsprechend gewürdigt werden. Als ich im FAU-Kolleg „Schicksal, Freiheit und Prognose“ anfing, merkte ich, dass dieser Aspekt meiner Forschung, der sich oftmals am Rande anderer Forschung bewegt, hier genau richtig verankert war – eine wunderbare Erfahrung. Ich fühlte mich hier zu Hause.
Bitte nennen Sie uns Ihre Lieblingsorte an der FAU und in der Region.
Ich liebe Bamberg und Nürnberg. Ich habe viele Stunden im Germanischen Nationalmuseum verbracht und mir die Ausstellungen dort angesehen. Ein wunderbarer Ort voller Überraschungen!
Welchen Rat würden Sie Studierenden und NachwuchsforscherInnen geben, die wissen möchten, warum sie sich für ihr Studium oder ihren Forschungsaufenthalt im Ausland für die FAU entscheiden sollten?
Man kann hier wunderbar studieren und arbeiten, und die Franken sind sehr herzlich. Die Wahl der Hochschule hängt ohnehin immer vom Fachgebiet ab, an dem man arbeitet oder das man studieren möchte, und davon, ob es Professorinnen, Professoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, die die Interessen potentieller Studierender, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen.
Möchten Sie noch etwas hinzufügen?
Ich würde gerne noch einmal an die FAU zurückkehren!
Vielen Dank für das Interview!
Über Josefina Rodríguez Arribas:
Josefina Rodríguez Arribas verfügt über umfangreiche Forschungserfahrung auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters (Astronomie und wissenschaftliche Instrumente), des mittelalterlichen Hebräisch (Entstehung und Aufbau technischer Terminologie des mittelalterlichen Hebräisch) und der Divination (Astrologie und Geomantie).
Ihre Doktorarbeit (2004) befasst sich mit der Beziehung zwischen Astronomie und Bibelexegese in jüdischen Quellen. Ein Teil ihrer Forschung wurde in dem Buch El cielo de Sefarad, los judíos y los astros (2011) veröffentlicht. Seit Beginn ihres Studiums gilt ihr Interesse den religiösen, wissenschaftlichen und philosophischen Traditionen der westlichen Welt während der Antike und des Mittelalters. Sie befasst sich insbesondere mit kritischen Ansätzen zur Definition der vormodernen Wissenschaft, der Präsenz von Wissenschaft in nicht-wissenschaftlichen Texten und Kontexten und der Verbindung zwischen Textkulturen und materiellen Kulturen in der Wissenschaft des Mittelalters.
Außerdem verfügt sie über langjährige Erfahrung im Umgang mit mittelalterlichen Manuskripten und Museumsobjekten. Seit 2009 konzentriert sie sich auf die Beziehung zwischen wissenschaftlichen Textkulturen und materiellen Kulturen im jüdischen Kontext, insbesondere auf die Rolle von Astrolabien in der jüdischen Kultur Europas und des Nahen Ostens vom 12. bis 17. Jahrhundert.
In über 50 Vorträgen bei internationalen Kongressen in Europa, den USA, Japan und Israel sprach sie zu Themen der Wissenschaft des Mittelalters, mittelalterlichen Hebräisch, jüdischer Bibelexegese, jüdischer Kosmologie, astronomischer Instrumente und Divination. Sie forschte als Gastwissenschaftlerin an der Harvard University, der Oxford University, der Hebrew University of Jerusalem, der University of Michigan, der University of London und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Interview: Dezember 2015