Transferunion durch die Hintertür
... oder warum der Grexit eine Option bleiben muss
Ein Beitrag von Prof. Dr. Thiess Büttner, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft an der FAU
Die beispiellosen Auseinandersetzungen um die Fortsetzung der Finanzhilfen an Griechenland haben verdeutlicht, dass sehr unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wie die Finanzpolitik in der Eurozone geführt werden soll. Offiziell wird die Währungsunion als eine institutionell abgesicherte Übereinkunft souveräner Staaten verstanden, die eine gemeinsame Währung etabliert, deren Mitgliedsländer jedoch weiterhin eine eigenständige Finanzpolitik durchführen und entsprechend auch selbst verantworten. Diese Sicht ist auch im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankert: „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.“, steht dort in Artikel 125.
Angesichts der zum Teil erheblichen Risiken in der Finanzpolitik der Mitgliedsländer bestanden von Anfang an Zweifel an diesem Haftungsausschluss, so dass mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt eine ganze Batterie von Regeln vereinbart wurde, die sicherstellen sollen, dass die Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedsländer nicht aus dem Ruder läuft. Im Zuge der 2007/2008 ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise stieg in einzelnen Ländern die öffentliche Verschuldung so gravierend, dass Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Verschuldung aufkamen. Angesichts der zunehmenden Verunsicherung auf den Finanzmärkten und der Instabilität des Bankensystems, einigte man sich schließlich auf ein System von Finanzhilfen, das die Stabilität der Eurozone sichern soll, und vereinbarte eine übergeordnete Überwachung des Finanzsystems. Die Finanzhilfen sind in diesem Rahmen – entsprechend der Praxis des IWF – an gemeinsam mit der Regierung des Krisenlandes entwickelte konkrete Auflagen gebunden, die dafür sorgen sollen, dass die betroffenen Länder Maßnahmen ergreifen, um die Tragfähigkeit ihrer Verschuldung wieder herzustellen.
Nach einer anderen Auffassung ist die Währungsunion nur ein erster Schritt in einem Prozess der finanzpolitischen Integration. Diese Integration ist erst abgeschlossen, wenn die Länder auch eine gemeinsame Finanzpolitik durchführen. Viele Kritiker der Währungsunion darunter gerade auch namhafte Volkswirte aus den USA vertreten heute wie vor 20 Jahren diese Auffassung. Die fortgesetzten Schwierigkeiten mit der Finanzpolitik in Griechenland sind nach dieser Sichtweise symptomatisch für die mangelnde Integration der Finanzpolitik. Den fehlenden Willen zu einer weiteren Vergemeinschaftung der Finanzpolitik werten diese Kritiker als Zeichnen der ideologischen Verblendung der Politik großer Länder, insbesondere Deutschlands.
Kennzeichnend für die zweite Sicht ist allerdings die Vernachlässigung der Prämissen und der institutionellen Gegebenheiten der Eurozone. Insbesondere ignoriert sie, dass die in der Eurozone zusammengebundenen Staaten über wesentliche finanzpolitische Festlegungen souverän – also selbst – entscheiden. Es gibt in Europa keine Zentralregierung mit wesentlichen Kompetenzen in der Finanzpolitik. Auch gibt es bei aller Bereitschaft zur Solidarität keine erkennbare Bereitschaft für eine Transferunion, welche Finanzprobleme einzelner Länder durch ungebundene Zuweisungen abmildert, wie wir das aus dem deutschen Länderfinanzausgleich kennen.
Die institutionelle Struktur impliziert zwar die Eigenverantwortung jedes Landes für seine Finanzpolitik. Wenn aber dennoch die Finanzpolitik eines Landes nicht mehr tragfähig ist, wie sich das in Griechenland spätestens 2009 mit aller Deutlichkeit offenbart hat, ist es schwierig, die Eigenverantwortung auch tatsächlich einzufordern. Aufgrund der engen Verflechtung von öffentlichen Finanzen und Banken in der Eurozone sorgen Zweifel an der Tragfähigkeit der Finanzpolitik eines einzelnen Landes im Zuge der Neubewertung der Risiken ggf. für eine fortwährende Verschlechterung der Bedingungen auf den Finanzmärkten, die geld- oder finanzpolitische Interventionen der Eurozone auf den Plan rufen. Auch durch die politische Diskussion wird zusätzlicher Druck aufgebaut, Finanzhilfen zu gewähren. Schließlich kann es dann eben doch zu einer Abwälzung der Finanzierungslasten eines Landes auf die anderen Länder der Eurozone kommen. Verfestigt sich die Situation, wird eine Transferunion gleichsam durch die Hintertür eingerichtet. Wobei allerdings die Finanzmittel nicht etwa nach objektiven Bedarfskriterien vergeben werden, sondern sich nach der Höhe der Schulden richten.
Dieses Szenario zeichnet sich für Griechenland immer deutlicher ab. Nach Jahren der Anpassung ist Griechenland nun wieder an einen Punkt geraten, an dem die Finanzprobleme des Staates die Zahlungsfähigkeit der Banken bedrohen. Da eine Rekapitalisierung der griechischen Banken durch die griechische Regierung ohne weitere Finanzspritzen wohl kaum möglich ist, liegt der Austritt aus dem Euro nahe. Verschiedentlich wird argumentiert, dass dann ein Präzedenzfall geschaffen würde, der eine Destabilisierung des Euros herbeiführt, da in Zukunft Unsicherheit besteht, ob ein Land im Euro bleibt. Dieses Argument aber ist nur vordergründig stichhaltig. Denn die Unsicherheit darüber, ob ein Land im Euro bleibt oder nicht, reflektiert eben genau die besondere institutionelle Struktur der Währungsunion, die eine dezentrale Finanzpolitik mit Eigenverantwortung vorsieht. Würde die Finanzpolitik der Eurozone sich zum Ziel setzen, das Entstehen solcher Unsicherheit zu verhindern, müsste sie im Zweifel alle Finanzierungslasten übernehmen, die sich bei einer nicht tragfähigen Finanzpolitik eines Mitgliedslandes ergeben.
Angesichts der mangelnden Bereitschaft griechischer Regierungen, mit den Finanzhilfen verbundene Auflagen zu erfüllen, birgt die anstehende Fortsetzung der Finanzhilfen die Gefahr einer „Transferunion durch die Hintertür“. Auf Dauer wird das – bei aller Solidarität, auch in der Bevölkerung – in den Geberländern politisch nicht vertretbar sein. Vor diesem Hintergrund kann eine auf Stärkung des Euros ausgerichtete Finanzpolitik nicht ernsthaft das Ziel verfolgen, Griechenland durch fortgesetzte Finanzhilfen unter allen Umständen im Euro zu halten. Entsprechend muss der Grexit eine Option bleiben.
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Prof. Dr. Thiess Büttner
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